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Albanien: Truthähne im Moscheegarten

Albanien war lange abgeschottet. Jetzt ist das „Land der Skipetaren“ jedoch gut zu bereisen. Man sollte es tun, bevor auch hier Kreuzfahrtschiffe anlegen

Hundert Meter hinter der EU-Außengrenze werden uns die Pässe abgenommen. Zwei Mitarbeiter der Tirrenia Navigazione, die an der Auffahrtrampe der Fähre Bari–Durres die Tickets kontrollieren, werfen sie in einen Karton, der auf dem Boden steht. Wir bekämen sie am nächsten Morgen wieder. Dabei war uns eben noch vorgeführt worden, was dieses Dokument wert ist: Die italienischen Grenzer hatten uns einfach durchgewunken, während sich albanische Staatsbürger durch eine Befragung quälen mussten. Es geht natürlich alles gut. Am nächsten Morgen bekommen wir auf der Fähre unsere Pässe zurück und dazu eine herrliche Aussicht auf die albanische Küste.

Minibunker wie Maulwurfshügel

Willkommen in Europas einzigem Land, in dem es noch keine McDonald’s-Filiale gibt und der nächste Bunker selten mehr als ein Steinwurf entfernt ist. Mehr als eine halbe Million von diesen VW-Käfer- großen Betonkuppeln ließ der paranoide Diktator Hoxha bauen. Die Minibunker überziehen wie Maulwurfshügel das ganze Land. Die typisch monströse Ostblockarchitektur beschränkt sich hingegen auf die Hauptstadt Tirana. Von der Et’hem Bey Moschee abgesehen stehen rund um den zentralen Skanderbegplatz kommunistische Prachtbauten mit eher kühlem Charme. Das Nationalmuseum ist eines davon. Es liefert für den Einstieg einen guten Überblick über die Geschichte des Landes. Im Museumsshop kann man neben Tischdecken auch Miniaturbunker kaufen – als Aschenbecher.

Cafés in Kadervillen

Am lebhaftesten ist Tirana im Quartier Blloku (Block). Einst residierten dort Enver Hoxha und seine kommunistischen Parteifunktionäre, heute wird hier gefeiert. Die Villen sind zu Cafés und Bars umfunktioniert. In den Vorgärten, teils auf den Balkons, trifft sich am Abend Tiranas Jugend.

Das Zentrum der 500 000-Einwohner- Stadt ist übersichtlich und lässt sich leicht zu Fuß erkunden, ein Vergnügen ist das allerdings nur bedingt. Zwar gibt es Parkanlagen wie den Jugendpark, doch ansonsten regiert der Autoverkehr. Die Albaner lieben Mercedes. Taxifahrer kutschieren in Anzug und Krawatte durch die Stadt, der Fußraum ihrer teils uralten Autos ist schonend mit Zeitungspapier ausgelegt. Und der Mitfahrer auf dem Beifahrersitz, den wir ganz selbstverständlich auflesen und ein Stück mitnehmen, fummelt die Fensterscheibe hoch, wenn diese mal wieder in die Tür rutscht.

Wir haben unsere Wanderschuhe im Gepäck sowie den vagen Plan, Albanien zumindest teilweise zu Fuß zu erkunden. Eine von den Österreichern erbaute Seilbahn bringt uns von der Talstation am Stadtrand von Tirana auf den Berg Dajti. Oben steigen alle Passagiere bis auf uns in einen Minibus, der ein Restaurant mit Panoramablick ansteuert. Wir nehmen zunächst mal denselben Weg und spazieren dann durch teilweise bewachtes Militärgelände. In der Ferne fallen Schüsse. Wanderwege – Fehlanzeige.

Alles Bio

Wieder zurück im Zentrum, finden wir schließlich mitten in der Stadt idyllische Ruhe: auf dem Markt. Kein Verkehr, und die Albaner sind auch wirklich keine Marktschreier. Im Gegenteil. Hinter einem Marktstand nickert ein Verkäufer. Vor ihm auf einem niedrigen Brett seine Ware: Tabak in verfilzten Knäueln.

Statt Hähnchen drehen Schafsköpfe auf dem Spieß ihre Runden. Der Markt quillt über vor kleinen, krummen Auberginen, Paprikaschoten und unbekanntem Blattgemüse – alles liebevoll drapiert. Obst und Gemüse schmecken herrlich, ebenso das trübe, dickflüssige, in Plastikflaschen abgefüllte Olivenöl. Praktisch alles, was angebaut wird, ist Bio. Die Bauern können sich Kunstdünger oder Pflanzenschutzmittel einfach nicht leisten.

Die Küche Albaniens ist schlicht, aber schmackhaft. Vieles erinnert übrigens an die türkische Küche; schließlich war Albanien mehr als 500 Jahre lang Teil des Osmanischen Reichs. Hackfleischröllchen mit viel Knoblauch (Qoftë), Oliven, Schafskäse, kalte Joghurt-Gurken-Suppe und gegrilltes oder mariniertes Gemüse fehlen auf keiner Karte. Außerdem kann man praktisch überall sehr gut italienisch essen, da viele Exil-Albaner mittlerweile als Unternehmer aus Italien zurückgekehrt sind. So hat Espresso den traditionellen türkischen Mokka weitgehend verdrängt.

Bus? Gute Idee!

Albaniens Straßen sind in teilweise beklagenswertem Zustand, und Kartenmaterial gibt es praktisch überhaupt nicht. Die wenigen, sehr langsamen Bahnverbindungen im Land sind auch keine Option, und so reisen wir mit dem Bus, und das ist kinderleicht. Am Busbahnhof nennen wir Wem-auch-immer den Zielort und werden von freundlichen Menschen direkt zum entsprechenden Fahrzeug geleitet. Kassiert wird unterwegs. Die Busse stammen oft aus deutscher Fabrikation, hier und da hängen noch „Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen“-Schilder. Keine Sorge, es gibt genug zu gucken. Hier ist man dem Alltag der Albaner nah wie sonst kaum. Einmal nehmen wir am Straßenrand eine Frau mit Federvieh an Bord. Drei junge Hühner strecken ihre Köpfe aus einer Plastiktüte – sie kommen unten im Gepäckraum unter.

Schüchtern, aber immer hilfsbereit

Unser Reiseplan sieht als nächstes Ziel Berat vor, ein historisches Städtchen im Tomorri-Gebirge, 120 Kilometer südlich von Tirana. Berats Altstadt türkischen Ursprungs erstreckt sich pittoresk an Berghängen entlang dem Fluss Osum. Im idyllischen Moscheegarten picken Truthähne nach Würmern. Am nächsten Tag, es ist Markt, sind sie schon verkauft und liegen mit zusammengebundenen Füßen an der Bushaltestelle. Eine Romafamilie auf einem Pferdewagen, voll beladen mit gebrauchter Kleidung, durchkreuzt die Szene.

Die Menschen sind freundlich, hilfsbereit und zuerst ein wenig schüchtern. Man spürt, sie sind an den Umgang mit Touristen nicht gewöhnt. Gleichzeitig tun sie alles dafür, gute Gastgeber zu sein. Verzichtet ein halb gefülltes Café auf Espresso, weil gerade der Strom ausgefallen ist, wirft der Besitzer für uns das Notstromaggregat an. Noch ein typisches Alltagsproblem: 120 Lek sind zu zahlen, wir haben nur einen 100- und einen 500-Lek-Schein. Die Händler, die äußerst ungern ihre Münzen oder kleinen Scheine rausrücken, nehmen sich nicht selten nur 100 Lek und bedanken sich.

Labyrinth aus Stein

Die vielleicht schönste Stadt Albaniens liegt 40 Kilometer vor der griechischen Grenze. Die typisch osmanischen Häuser der Altstadt sind in den Hang gebaut und fügen sich mit ihren Steindächern perfekt in die Berglandschaft ein. Gjirokastra ist ein einziges verwunschenes Labyrinth. Einmal falsch abgebogen, verliert man in den steilen Gassen rasch an Höhe oder läuft vergeblich bergauf. Reife Trauben und Granatäpfel ragen über die Mauern der Hinterhofgärten.

Da es praktisch nirgendwo in Albanien Straßennamen gibt, machen wir uns mithilfe einer einfachen Übersichtskarte auf die Suche nach dem Ethnografischen Museum. Dort führt uns eine alte Frau durch die traditionell eingerichteten Zimmer des Museums. In einem Regal finden wir Broschüren aus dem Jahr 1988. „Museum des antifaschistischen nationalen Befreiungskampfes“ hieß es damals, denn unter diesem Dach wurde der kommunistische Diktator Enver Hoxha geboren. 40 Jahre lang regierte er das Land, zerstritt sich mit den Russen, später mit den Chinesen, bis Albanien schließlich für Jahrzehnte während des Kalten Krieges ähnlich isoliert und abgeschottet war wie heute Nordkorea.

Im Sommer 1990 war es auch in Albanien so weit: Menschenmassen stürmten die Botschaften westlicher Länder. Fünf Jahre später hatten zwölf Prozent der Bevölkerung ihr Heimatland verlassen. In einem Wandschrank spüren wir noch ein paar achtlos hineingeschmissene Exponate aus der Zeit vor der Wende auf. Hoxhas Geburtshaus wirkt wie flüchtig umdekoriert.

Badeschlappen inklusive

Die Reise endet im Süden. In Saranda empfiehlt der gut recherchierte Reiseführer eine Pension. Die Unterkünft mittlerer Preisklasse in Albanien sind durchweg in Ordnung, und für 20 bis 40 Euro gibt es ein geräumiges Doppelzimmer mit kleinen Kuriositäten: Im Bad warten immer zwei Paar Plastikschuhe auf die Gäste. Wir haben von unserem Balkon aus einen fabelhaften Blick auf den Frachthafen und weiter über die Bucht von Saranda hinüber nach Korfu. Von dort bringt die Fähre täglich Tagestouristen. Die meist älteren Herrschaften werden direkt in bereitstehende Busse nach Butrint verfrachtet. Butrint, ein Naturschutzgebiet mit See, Marschland und einer beeindruckenden Vogelwelt, liegt 20 Kilometer südlich von Saranda. Und mittendrin eine weitläufige, gut erschlossene Ausgrabungsstätte, wegen der die Touristen hierherkommen. Heute zählt Butrint wie Berat und Gjirokastra zum Unesco-Weltkulturerbe.

Nachdem es mit dem Wandern nicht so recht geklappt hat, nehmen wir das Schnellboot, das uns von Saranda in einer halben Stunde nach Korfu bringt. Dort liegen zwei Kreuzfahrtschiffe im Hafen, die ihre Fracht über die kleine Altstadt ausgießen. Eine Art Kulturschock, wenn man aus Albanien kommt. Waren wir doch dort zwei Wochen lang nur selten anderen Touristen begegnet. Wie lange mag es dauern, bis die Schiffe auch in Albanien anlegen? Wer auf wenig ausgetretenen Pfaden reisen will, der sollte sich das Land bald anschauen, bevor man mit der Masse schwimmt.

Anja Fleischhauer

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