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Heute kommen nach Angkor Wat auch die Mönche als Touristen.

© Helge Bendl

Kambodscha: Die Göttinnen tanzen noch

Kambodschas Tempelanlage Angkor verzaubert die Besucher. Doch das Kulturgut droht zu verfallen.

Sie lächelt verführerisch, hat ihren Mund sinnlich geöffnet. Ihre Haare sind pompös zu einer Krone hochgesteckt, über ihren Arm fließt elegant ein edles Tuch. Ein sehr, sehr knappes Stück Stoff bedeckt ihre knabenhaften Hüften. Darunter zeichnen sich schlanke Beine ab, und ihre vollen blanken Brüste ziehen alle Blicke an. Eine aufregende Gestalt – doch leider hat die Apsara-Tänzerin kaum etwas im Kopf. Und ist deswegen ein Fall für Restauratorin Emmeline Decker. Denn die Schöne ist aus Sandstein, und in ihrem Inneren bröckelt es.

Mitten im kambodschanischen Dschungel, in der Tempelanlage von Angkor, hat Emmeline Decker ihren Arbeitsplatz. Wer die 31-jährige Deutsche in Angkor Wat sucht, im größten Tempel der Welt, muss zuerst wie alle Besucher und Pilger den Wassergraben überqueren, dann den langen Prozessionsweg nach Osten gehen und schließlich Treppe um Treppe nach oben steigen bis ins zentrale Heiligtum, eine imposante Pyramide. Dort, auf einem schwindelerregend hohen Gerüst im Herzen der Anlage, hört man es leise pochen. Dämonen und Affen, Sklaven und Könige und die zur Unterhaltung der Götter himmlisch tanzenden Apsaras, jene grazilen Nymphen von überirdischer Schönheit – die Restauratorin sitzt an einem Relief und prüft Zentimeter für Zentimeter alle Figuren. Es sind tausende.

Mehr als 600 Jahre lang, vom 9. bis ins 15. Jahrhundert, bauten 36 Könige der Khmer von Angkor aus an ihrem Imperium und schufen das mächtigste Reich Südostasiens. Nicht nur Kambodscha, sondern weite Teile von Thailand, Laos und Vietnam wurden von ihnen beherrscht. Und sie, die Gottkönige, bauten den Göttern eine eigene Stadt – eine Symphonie in Stein mit Dutzenden großen Tempeln und vielen kleinen Heiligtümern, mit geheimnisvoll lächelnden Gesichtern, mit unzählbaren Reliefs, Statuen und Verzierungen. Wenn auch heute nur noch wehmütige Erinnerung an vergangene Größe: Kambodscha ist Angkor. Die Türme des wichtigsten Tempels Angkor Wat zieren Kambodschas Flagge und Kambodschas Banknoten und Kellnerinnen servieren Angkor-Bier. Das Original altert derweil. Doch nicht immer in Würde.

„Allein in Angkor Wat wurden mehr Steine verbaut als in der Cheopspyramide. Dann kommen die Tempel in der näheren Umgebung. Außerdem gibt es heilige Wälder, in denen Tierfiguren aus dem Fels geschlagen wurden: Restauratoren haben hier wirklich genügend Arbeit“, sagt Emmeline Decker. Sie ist in Angkor die Verantwortliche des „German Apsara Conservation Project“. Der Kölner Fachhochschulprofessor Hans Leisen hat das Projekt 1995 initiiert. Mit Unterstützung des Auswärtigen Amts und der Hilfe diverser Sponsoren werden die vom Verfall bedrohten Reliefs des Areals konserviert. „Der Sandstein kann aufblättern, abschuppen, abschalen, absanden oder abbröckeln“, erklärt die Expertin. „Das ist wie beim Doktor: Fertig bist du nie.“

Dass das deutsch-kambodschanische Team so viel Arbeit hat, liegt nicht nur am nagenden Zahn der Zeit, sondern auch an unklugen Restaurierungsmaßnahmen in der Vergangenheit. Erst kamen die Franzosen und rodeten in Angkor Wat viele Bäume, so dass inzwischen die Sonne ungeschützt auf den Stein brennt – der sich nach einem Regenschauer schlagartig abkühlt, porös wird und zu zerfallen beginnt. Dann kamen die Inder – und leisteten ganze Arbeit. „Da wurden die Flechten mit Drahtbürsten abgekratzt, zack-zack“, sagt Emmeline Decker mit blitzenden Augen, und man versteht ihre ehrliche Empörung, dass man diesen Tempel, ihren Tempel, einst derart unsanft behandelt hat.

Später spritzten die ungelernten Arbeiter Ammoniak und spülten die Fassaden mit ungereinigtem Wasser aus dem Umfassungsgraben ab – woraufhin plötzlich Algen und Bakterien auf dem Stein gediehen. Auf Postkarten sieht man Angkor Wat noch in Weiß erstrahlen, doch das ist seither vorbei: Innerhalb von ein paar Jahren wurde alles schwarz. War das alles? „Sie haben versucht, den Stein mit Acrylharz wasserdicht zu machen. Das ist wie eine Regenjacke ohne Gore-Tex: Wasser, das im Stein drin ist, kann nicht mehr raus – alles geht kaputt.“

Asiatischen Besucher ziehen hier durch wie eine Dampfwalze

Emmeline Decker ist an der Restaurierung der Anlage beteiligt.
Emmeline Decker ist an der Restaurierung der Anlage beteiligt.

© Helge Bendl

Emmeline Decker und ihre kambodschanischen Helfer arbeiten nun mit Gaze-Handschuhen und Zahnbürsten und manchmal auch nur mit feinen Pinseln, mit Glasfaserdübeln und Kieselsäurestern. Sie injizieren Füllmassen in Hohlräume, die genau auf die Eigenschaften des Steins abgestimmt sind und mürbe Teile mit einem Spezialkleber verbinden. Sie testen, welche Chemie am besten gegen die Algen wirkt, und dokumentieren penibel, was sie tun. Das alles dauert seine Zeit. „Wir haben allein in Angkor Wat noch viele Jahre zu tun. Außerdem spielen wir auch Feuerwehr an anderen Tempeln, an denen eine Notsicherung ansteht. Und irgendwann werden wir uns hoffentlich auch an die Tempel machen, die vom Dschungel überwuchert worden sind und noch freigelegt werden müssen“, heißt es.

Die Macht der Natur, sich die Tempelstadt zurückzuerobern, hatte schon im 19. Jahrhundert europäische Abenteurer begeistert, die den Mekong hinauffuhren und bis nach Angkor vordrangen. „Die Realität übertrifft den schönsten Traum“, schwärmte 1866 der Expeditionszeichner Louis Delaporte in seinem Tagebuch. „Würgefeigen-Bäume, die mit ihren Wurzeln Steinmauern umarmen. Blühende Orchideen in den Ritzen der riesigen Quader, das grüne Dickicht der Lianen.“ Vor allem der französische Naturkundler und „Entdecker“ Angkors, Henri Mouhot, ließ seine Landsleute von dem mystischen und scheinbar unerreichbaren Ort im Urwald träumen, wo Tiger zwischen den Ruinen umherstreiften: „Angkor ist gewaltiger als alles, was uns Griechen oder Römer hinterlassen haben.“

Knapp 150 Jahre später wird die Tempelanlage von Touristen nur so überrannt. Rund 1,6 Millionen Ausländer waren es im vergangenen Jahr, und noch einmal so viele Einheimische. Besonders populär sind die Heiligtümer bei asiatischen Besuchern, die in großen Gruppen anreisen – Vietnamesen, Chinesen, Koreaner, Taiwanesen. „Die ziehen hier durch wie eine Dampfwalze“, sagt Emmeline Decker und muss sich sehr zusammennehmen, um nicht aufzuspringen, als sich ein Hochzeitspaar für Fotoaufnahmen an die gedrechselten Säulen der Umfassungsmauer lehnt.

Doch viele europäische Besucher machen es nicht besser: Rucksäcke schrammen an fein ziselierten Gesichtern vorbei, die Brüste der tanzenden Göttinnen werden betatscht, Namen in den weichen Stein geritzt. Die Aufseher sind unterbezahlt und trauen sich meist nicht, energisch einzugreifen. Ein Großteil der Eintrittsgelder geht derweil an die Firma eines Mannes, der inzwischen als reichster Kambodschaner gilt. „Vor 20 Jahren gab es in Angkor mehr Schlangen als Menschen. Doch jetzt ist es eine Herausforderung, Gästen ein exklusives Erlebnis zu bieten. Niemand will schließlich durch die Tempel durchgeschoben werden“, sagt Choup Lorn, der im Auftrag der Agentur Diethelm Travel deutsche Besucher in Angkor betreut. Seine Lösung, zumindest vorübergehend: „Wir schicken unsere Gäste schon früh am Morgen in die Tempel – dann sind die großen Gruppen noch beim Frühstück.“

Dass die Tempel durch den Besucherandrang leiden, weiß auch die Unesco – nur will man der kambodschanischen Regierung nicht öffentlich auf die Füße treten. Im Juni kommt die Welterbekommission zu ihrer Jahreskonferenz zusammen – ausgerechnet in Kambodscha. Dann soll, mehr als 20 Jahre nach der Ehrung Angkors als Weltkulturerbe, erstmals ein Konzept für ein Besuchermanagement präsentiert werden. Ob es dazu kommt, ist indes noch unklar: In ihrem Entwurf geben die australischen Berater keine konkreten Antworten auf die wichtigsten Fragen: Wie soll der Besucherstrom gelenkt werden? Und wie kontrolliert man das Wachstum der nahen Stadt Siem Reap? Schon jetzt ist das Wasser für die Einheimischen dort rationiert, weil die Hotels so viel davon fürs Duschwasser und für ihre Pools brauchen.

Genießen kann man das himmlische Erbe der Khmer-Könige trotzdem. Wo sich tagsüber die Gruppen drängeln, im verwunschenen Tempel Ta Prohm, sieht man morgens um fünf noch keine Touristen. Nur ein einsamer Mönch huscht durch die Trümmerlandschaft aus verfallenen Gebäuden und mächtigen Würgefeigen, um vor den Resten einer Buddhastatue zu beten. „Der Rest der Welt entdeckt die Mystik von Angkor gerade aufs Neue“, sagt Ros Borath, Architekt und bei der staatlichen Denkmalschutzbehörde zuständig für die Erhaltung der Monumente von Angkor. „Doch für uns Kambodschaner ist Angkor die Seele des Landes – wir haben die Tempel nie vergessen.“

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