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Jardin Majorelle: Das Geheimnis der blauen Oase

In Marrakesch hat der Maler Jacques Majorelle im Laufe seines Lebens einen wundersamen Garten geschaffen, der auch Yves Saint Laurent beeindruckte.

Marrakesch ist eine Stadt der Mauern, konsequent rostrot angestrichen, ob Hauswand oder Garteneinfassung. Was sich dahinter verbirgt, bleibt ein Geheimnis – und die Neugier wird geweckt. Die schmale Rue Yves Saint Laurent im westlich geprägten Stadtteil Guéliz wird ebenfalls von Mauern gesäumt. Auf der einen Seite erheben sich Apartmenthäuser, auf der anderen ragen hohe Palmen und dichtes Grün über den Mauerrand. Durch eine schmale Pforte betritt man einen kleinen Hof, in dessen Mitte ein Springbrunnen plätschert. Das Brunnenbecken ist mit grünen und blauen Kacheln verziert; ein intensives Blau, das einen sofort fesselt. Von dort führt ein rostroter Weg in den Jardin Majorelle: eine Oase, ein dreidimensionales Gemälde aus Pflanzen und Architektur, das der Maler Jacques Majorelle im Laufe seines Lebens geschaffen hat.

Geradeaus schlängelt sich der Weg weiter in einen Dom aus meterhohen Bambuspflanzen. Gelbe und tiefblaue Blumenkübel setzen auf dem roten Betonweg vor der grünen Bambuswand erste Farbtupfer. Dann schimmert es zwischen den Pflanzen mintgrün und wieder tiefblau, versetzt mit weiß: ein Pavillon im marokkanischen Stil, verziert mit allerfeinsten Stuckgirlanden. Von hier führt ein schmaler Kanal durch ein Dickicht aus Palmen und Kakteen, Wasserpflanzen treiben auf der Oberfläche. Der Weg biegt ab – und plötzlich ergibt sich eine Sichtachse auf das „Blaue Haus“, eingerahmt von hohen Palmen, um deren Stämme sich feuerrote Bougainvillea windet.

Selbst das leuchtende Blau des marokkanischen Himmels kommt nicht an gegen den intensiven Farbton dieses eleganten Gebäudes, das wie eine Villa anmutet – geschmückt mit schmalen, marokkanischen Säulen und doch ein moderner Betonbau mit Balkonen und Terrassen. Ein blaues Ausrufezeichen inmitten des wuchernden Grüns. Es ist vor allem dieses Blau, das fasziniert. Man findet es überall: Die Pergola, die Brunneneinfassungen, die Pflanzkübel – alles ist in diesem Ton gestrichen, den sich Jacques Majorelle als „Majorelle Bleu“ patentieren lässt.

Majorelle stammt aus einer berühmten Künstlerfamilie in Nancy. Sein Vater Louis ist Mitbegründer der Jugenstilbewegung „Ecole de Nancy“, und sein Sohn – 1886 geboren – verkehrt von Kindesbeinen an in diesen Künstlerkreisen. Als Maler steht er jedoch stets im Schatten seines berühmten Vaters. Nach einer überstandenen Tuberkulose bereist er die Mittelmeerregion, besucht 1910 Ägypten und den Nil und gewinnt einen neuen Blick auf den Orient jenseits aller orientalistischen Fantasien. 1917 kommt er zum ersten Mal nach Marokko, zwei Jahre später kauft er sich ein Haus in der Medina.

Die Basare, das Licht, die einfachen Menschen, das werden Majorelles Themen. Er reist in die Berbergebiete des Hohen Atlas und ist fasziniert von der Kultur dieses Volkes – vor allem aber von dem Blau, das sie um die Fenster ihrer Häuser malen, und das sich in ihren Kacheln und ihrer Kleidung wiederfindet. 1924 kauft er sich zehn Acre Land vor den Stadtmauern Marrakeschs und lässt sich 1931 von dem Architekten Paul Sinoir sein Atelierhaus bauen, das er in seinem geliebten Blau anstreicht. Das einzige Haus Marrakeschs, das nicht rotbraun ist.

Wer heute den Garten betritt, vermag sich nicht vorzustellen, dass dort vor 80 Jahren nichts als Sand und Steine waren. Majorelle wird zu einem leidenschaftlichen Pflanzensammler. Aus der ganzen Welt bringt er Kakteen herbei, Palmen, Bambus, Kübel- und Wasserpflanzen. Sie sind so angeordnet, dass sich immer wieder überraschende Blickwinkel ergeben. Man tritt aus dem Schatten heraus ins Licht, taucht ein unter eine Pergola mit blauen Säulen und steht vor einem rechteckigen Teich mit Wasserpflanzen.

Inmitten der heutigen Millionenmetropole Marrakesch hat Majorelle eine Oase geschaffen, die den Idealen des orientalischen Gartens entspricht: überraschende Perspektiven, Sichtachsen, Wasser, üppiges Grün, Schatten, farbenfrohe Blumen – wobei letztere nicht im Überfluss gesetzt sind, sondern eher als Akzente dienen. Die wahre Farbe kommt von der Architektur, den Töpfen, den roten Wegen, die auf engem Raum so verschlungen geführt sind, dass man sich auf einem großen Spaziergang wähnt.

Majorelle, der durch Vermittlung von Winston Churchill auch Decken- und Wandgemälde im legendären Luxushotel Mamounia geschaffen hat, kehrt nach einem schweren Autounfall nach Frankreich zurück, wo er 1962 stirbt. Zwar ist der Garten seit 1947 öffentlich zugänglich, doch nun droht ihm der Verfall. Niemand ist für die Pflege zuständig. 1966 dann reist der Modeschöpfer Yves Saint Laurent mit seinem Partner Pierre Bergé nach Marrakesch und verliebt sich in die Stadt. Und alsbald besuchen sie immer wieder den verwunschen Garten des verstorbenen Malers. Als dieser 1980 einem Hotelprojekt weichen soll, kaufen die beiden kurzerhand den Garten samt Haus und retten damit ein einzigartiges Kunstwerk, das sie alsbald restaurieren und ausbauen lassen.

Die Zahl der Pflanzensorten kann auf mehr als 300 verdoppelt werden, ein intelligentes Bewässerungssystem ist individuell auf die Bedürfnisse der Pflanzen eingestellt und spart 40 Prozent des kostbaren Wassers. Yves Saint Laurent setzt mit der behutsamen Einführung der gelben Pflanzenkübel einen eigenen Akzent.

Seit 2001 kümmert sich eine Stiftung um die Anlage, die von 20 Gärtnern betreut wird. Im „Blauen Haus“ haben die beiden Besitzer mit ihrer Sammlung ein Museum für islamische Kunst eingerichtet, in dem zur Zeit eine Sonderausstellung die Einflüsse Marokkos auf die Mode Yves Saint Laurents zeigt.

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