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Gerhard Paulus, Professor für Physik an der Universität Jena, spielt nahe des Geländes des Festivals ·Tage der nationalen Bewegung· in Themar Posaune.

© FrM/dpa-Zentralbild/dpa

Update

Rechtsrock-Festival: Stadt Themar stellt sich gegen die Neonazis

Mitten im ländlichen Raum in Thüringen treffen sich Hunderte Neonazis zu einem Rechtsrock-Festival. Der Protest dagegen ist bunt und kreativ - und viel schwerer zu organisieren, als der Protest gegen Rechtsextreme in großen Städten.

Selbst eine Hüpfburg steht nur ein paar Meter vom Festivalgelände der Neonazis im südthüringischen Themar entfernt. Ein paar Kinder spielen darauf, während Banner und Schilder mit Aufschriften wie „Schöner Leben ohne Nazis“ oder „Nazis raus“ in unmittelbaren Umgebung hängen. Jede Stunde stellen Menschen weiße Kreuze auf, die an Opfer rechter Gewalt in Deutschland erinnern. Themar hat etwa 2800 Einwohner. Nach Polizeiangaben beteiligen sich am Samstag etwa 300 Menschen an den Gegenprotesten.

Zum Rechtsrock-Festival waren deutlich mehr Rechtsextremisten gekommen, als erwartet worden war. Mehr als 1900 Besucher hielten sich nach Polizeiangaben am Samstagabend, dem zweiten Festivaltag, auf dem Gelände auf, weitere waren auf dem Weg dorthin. Der Thüringer Verfassungsschutz hatte mit bis zu 1500 gerechnet.

In Themar hatte 2017 das wohl bundesweit größte Rechtsrock-Konzert stattgefunden. Damals waren nach Polizeiangaben etwa 6000 Neonazis in die Stadt gekommen. Am Samstag schätzte die Polizei die Zahl der rechtsextremen Konzertbesucher auf 1000 Männer und Frauen. Der Thüringer Verfassungsschutz hatte im Vorfeld der Veranstaltung erklärt, die Sicherheitsbehörden rechneten mit bis zu 1500 rechtsextremen Festivalbesuchern aus dem gesamten Bundesgebiet sowie dem europäischen Ausland. Das Festival soll bis Sonntag dauern.

Proteste im ländlichen Raum seien besondere Herausforderung

Bis Samstagabend registrierte die Polizei einer Sprecherin zufolge 55 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, darunter 32 Verstöße wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In fünf Fällen wird wegen des Zeigens des Hitlergrußes ermittelt. Am Freitag wurde laut Polizei zudem ein Journalist leicht verletzt. Ein mutmaßlich rechter 33-Jähriger soll dem 27-Jährigen ins Gesicht geschlagen haben.

Schon während eines Friedensgebets am Freitagabend hatten mehrere Redner darauf verwiesen, dass es nicht einfach ist, im ländlichen Raum Proteste gegen Fremdenfeindlichkeit zu organisieren. Auch Themars Bürgermeister Hubert Böse (parteilos) sieht es als eine besondere Herausforderung an, Proteste gegen Neonazis im ländlichen Raum auf die Beine zu stellen. „Man muss immer froh sein, dass sich Menschen aufmachen, auch die andere Seite von Themar zu zeigen“, sagte er am Samstag. „Ich bin dankbar für jeden Einzelnen.“ Das gelte umso mehr, weil es inzwischen auch im Alltag der Stadt eine Polarisierung zwischen denen gebe, die sich gegen Rechtsextremismus stellen und denen, die mit dem rechten Gedankengut sympathisieren.

Der Sprecher des lokalen Bündnisses gegen Rechts, Thomas Jakob, sagte dagegen, er sei enttäuscht von der Teilnahme der Menschen aus Themar an den Protesten. Tatsächlich seien mehr Menschen aus der Umgebung oder aus Erfurt, Jena und Arnstadt zu den Demonstrationen gekommen als aus der 2800-Einwohner-Stadt selbst.

Viele Gegendemonstranten zeigten sich auch enttäuscht darüber, dass es wieder nicht gelungen ist, das Rechtsrock-Konzert zu verhindern oder wenigstens mit harten Auflagen zu belegen. Gerichte hatten zuvor den Weg für die Veranstaltung frei gemacht und ein striktes Alkoholverbot gelockert. Ab 20 Uhr dürfen die Rechten nun bei den Konzerten Bier trinken.

Rechtsrock-Konzerte sind wichtige Einnahmequelle für die Neonazi-Szene

Auch Kritik an Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) wurde laut. Maier hatte nach dem Festival im vergangenen Jahr gesagt, das Land werde die Kommunen im Freistaat deutlich besser als in der Vergangenheit beraten - um zu verhindern, dass deren Bescheide immer wieder von Verwaltungsgerichten kassiert werden.

Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hatte das Verbot des Landkreises gegen das diesjährige Konzert aber unter anderem mit der Begründung kassiert, die darin behaupteten Gefahren für geschützte Tiere seien „ohne Substanz geblieben“ - und das, obwohl die Behörden fast ein halbes Jahr lang Zeit gehabt hätten, den Sachverhalt genauer zu erforschen.

Neonazi-Konzerte haben nach Einschätzung von Rechtsextremismus-Experten eine besondere Bedeutung für die Szene. Einerseits dienen sie der Vernetzung von Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland. Andererseits sind sie eine wichtige Einnahmequelle für die Szene. Auch während des Festivals in Themar werden auf dem Veranstaltungsgelände zahlreiche T-Shirts, CDs und Bücher angeboten. Trotz der hohen Summen, die regelmäßig bei solchen Veranstaltungen umgesetzt werden, gelten sie in der Regel als politische Kundgebungen und stehen deshalb unter dem Schutz der grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit. (dpa)

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