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Mühsamer Weg. Stottern zu überwinden kann sehr lange dauern.

© dpa

Online-Hilfe für Stotterer: Gute Verbindung

Eine neue Online-Therapie will Stotterern helfen, wieder flüssig zu sprechen. Vor allem Jugendliche sind die Zielgruppe. Im Herbst geht’s los.

Als Mitglied der königlichen Familie hatte George VI selbstverständlich einen „Personal Trainer“. Der half dem britischen Monarchen, trotz seines Stotterns zu einem guten Redner zu werden – der Film „The King‘s Speech“ erzählt davon. In der Zeitschrift der britischen Selbsthilfevereinigung für Stotterer wurde der Streifen sofort enthusiastisch gefeiert, denn er hat ein Bewusstsein wachsen lassen. Dafür, dass es möglich ist, gegen Sprechblockaden, das Festhängen und Stocken, Wiederholen und Dehnen von Buchstaben und Silben anzugehen. Der Film zeigte aber auch, dass es ein mühsamer Weg ist. Und einer, der das Problem nicht ganz zum Verschwinden bringt.

In einem Pilotprojekt soll nun getestet werden, ob der Weg zum flüssigeren Sprechen auch am heimischen Bildschirm möglich ist. Die Techniker Krankenkasse (TK) hat sich mit Ärzten und Psychologen zusammengetan, die schon seit Mitte der 90er Jahre die „Kasseler Stottertherapie“ anbieten. Diese Behandlung läuft ein Jahr, sie beginnt mit einer 14-tägigen Präsenzphase, gefolgt von mehreren Wochenend-Treffen, regelmäßigen Übungen zu Hause und späteren Wochenenden, an denen das Erlernte aufgefrischt wird.

In der Online-Version, für die eine eigene interaktive Plattform entwickelt wurde, sieht der zeitliche Ablauf ähnlich aus. Die Teilnehmer stellen sich jedoch nur einmal, vor Beginn des Programms, zur Diagnostik im Institut vor. Die weiteren Termine finden am Rechner statt, sind allerdings ebenfalls feste Verabredungen mit den Therapeuten, zu Einzelsitzungen, aber auch zu virtuellen Gruppentreffen mit maximal vier Mitgliedern. 300 Patienten ab 13 Jahren sollen ab diesem Herbst online behandelt werden, ihre Erfolge werden im Rahmen der Studie mit denen von 300 Patienten verglichen, die sich für die schon etablierte Therapie entschieden haben.

Die Methode, die auf dem Prinzip des „Fluency Shaping“ basiert, wurde von dem Arzt Alexander Wolff von Gudenberg – der das Problem aus eigener Erfahrung kennt – anhand amerikanischer und israelischer Vorbilder weiterentwickelt. Sie soll Betroffenen helfen, in normalen Alltagssituationen mit neuem, weichem Sprechmuster gute Kontrolle zu haben. Dafür wird zunächst bewusst sehr langsam, gedehnt und gebunden gesprochen. Man übt, mit weichem Stimmeinsatz einzusetzen und die Konsonanten mit weniger Druck und weniger Luftverbrauch zu artikulieren. Dass das Programm hilft, belegen mehrere Studien, die der Psychologe Harald Euler von der Universität Kassel begleitete.

Online erreicht die Therapie vielleicht Jugendliche, die sich sonst nicht dafür begeistern würden

Bei vier von fünf Kindern verliert sich das Stottern, doch einer von Hundert hat auch als Erwachsener damit zu kämpfen. Man weiß inzwischen durch den „Hirnscanner“ fMRT mehr darüber, was beim Stottern im Gehirn passiert: Dann sind in der linken Hirnhälfte, in der die Sprache angesiedelt ist, Regionen aktiv, die normalerweise nur bei Versprechern aktiv werden und dann unsere Aufmerksamkeit erhöhen, dazu Bereiche der rechten Hirnhälfte. Beim Schreien oder Flüstern sind dagegen andere Hirnregionen im Spiel – weshalb das Modulieren der Lautstärke therapeutisch genutzt werden kann. Auch dass es Auffälligkeiten der Struktur des Gehirns im motorischen Sprachareal gibt, wurde inzwischen von mehreren Forschergruppen nachgewiesen. Allerdings nur bei Erwachsenen. Bisher weiß noch keiner, ob diese Veränderungen Ursache oder Folge des Stotterns sind. Martin Sommer, Oberarzt an der Universität Göttingen, widmet sich dem „Henne-oder-Ei“-Problem in einer DFG- geförderten Studie mit Familien, in denen Eltern und Kinder betroffen sind.

Wer das Stottern nicht im Verlauf der kindlichen Sprachentwicklung von selbst verliert, der wird davon mehr oder weniger stark sein Leben lang begleitet. „Alle kommunikativen Anforderungen gut zu bewältigen und auch Sprechberufe ausüben zu können, ist aber ein realistisches Therapieziel“, sagt Jutta Tepp, Lehrlogopädin an der Charité-Gesundheitsakademie. Doch es braucht Zeit – für die Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und das Trainieren neuer Sprechmuster. „Anbieter, die behaupten, man könne es in Zehn-Tages-Kursen komplett überwinden, machen falsche Hoffnungen.“

Das Teletherapie-Projekt findet Jutta Tepp spannend. „Hoffentlich werden damit Jugendliche erreicht, die sonst nicht für eine Therapie zu begeistern wären.“ Aber werden sie auch genug Ausdauer mitbringen? „Täglich längere Zeit vor dem Bildschirm zu sitzen, erfordert ja große Disziplin. Mit dem Therapeuten und anderen Gruppenmitgliedern in einem Raum zu sitzen, motiviert mehr.“ Den eigentlichen Ansporn zum Durchhalten bietet aber letztlich das wirkliche Leben – ob die Behandlung nun im Therapieraum stattfindet oder im Wohnzimmer.

Mehr Informationen unter www.teletherapie-stottern.de

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