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Sicherheit geht vor. Feuerwehrleute auf dem Dach eines Bierzelts auf der Wiesn.

© dpa

Münchner Oktoberfest: Die Hochsicherheits-Wiesn

Das Münchner Oktoberfest wird von Furcht vor Anschlägen geprägt sein. Trotz Zaun, Rucksackverbot, mehr Polizei und Videoüberwachung haben viele ein ungutes Gefühl.

Anfangs gibt sich Josef, genannt Seppi, Schmid noch widerspenstig. „Über die Sicherheit habe ich doch schon mehrfach informiert“, sagt der Münchner CSU-Wirtschaftsbürgermeister, der für das Oktoberfest zuständig ist. „Ich möchte jetzt die schönen Seiten der Wiesn zeigen.“ Es ist Schmids traditioneller Rundgang vor dem Fest. Diesmal wirbt er etwa für das Laufgeschäft „Amazonas“, bei dem Besucher auf Wasserfälle, Vulkane und lebende Piranhas stoßen. Schmid zeigt das rasende Karussell „Breakdance No. 1“. Er meint: „So etwas bin ich früher auch gerne gefahren.“

An die 150 Medienvertreter sind dieses Mal zum Rundgang gekommen, mehr als sonst. Schmid – gekleidet in Janker, kariertem Hemd, Lederhose, dunkelroten Kniestrümpfen und Haferlschuhen – wird klar, dass er sich fügen muss. Dass er ungezählte Male antworten muss auf das beherrschende Thema: die Sicherheitslage, die Furcht vor Anschlägen. In Bayern hatten sich in der zweiten Juli- Hälfte gleich drei Bluttaten binnen wenigen Tagen ereignet. Bei den islamistisch motivierten Attentaten von Würzburg und Ansbach wurden Passagiere und Passanten zum Teil lebensgefährlich verletzt. Der Amoklauf am Münchner Olympia-Einkaufszentrum forderte neun Todesopfer, meist junge Ausländer. Zwei Täter wurden erschossen, einer sprengte sich selbst in die Luft.

In eine Kamera nach der nächsten sagt Josef Schmid nun Sätze wie: „Es gibt keinen Grund zur Sorge, es gibt keine konkrete Bedrohungslage.“ Und so wird das 183. Oktoberfest an diesem Samstag um 12 Uhr eröffnet, es dauert 17 Tage und endet am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter zapft traditionell das erste Fass an und hofft darauf, wieder nur zwei Schläge für die Prozedur zu benötigen. Dann erhebt er den Krug und wünscht „eine friedliche Wiesn“.

Angst vor Terror

Zumindest gewöhnlich wird die Wiesn nicht, das zeigt sich schon seit Wochen. Zwei Trachtenvereine etwa haben ihre Teilnahme am Umzug abgesagt, der am ersten Wiesn-Sonntag stattfindet. Begründung: Angst vor Terror. Firmen halten sich dieses Jahr zurück mit alkoholreichen Betriebsausflügen in eines der 14 großen Bierzelte. Einen bisherigen Höhepunkt nimmt die Absage einer der bekanntesten Veranstaltungen ein: Regine Sixt, Gattin des Mietwagen-Unternehmers Erich Sixt, hat ihre „Damen-Wiesn“ abgesagt. Zu dieser Veranstaltung hatte sie in der Vergangenheit 1400 Frauen eingeladen – Freundinnen, Bekannte, Geschäftspartnerinnen. Für viele von ihnen war das immer das Highlight des Oktoberfestes. Nun sagt Regine Sixt, sie könne zwar Verantwortung für sich selbst übernehmen, „aber nicht für alle anderen“. Damit bricht eine 25-jährige Tradition ab. Der Wirte-Sprecher Toni Roiderer schimpft unverblümt: „Frau Sixt schürt die Terrorangst.“

Josef Schmid und die Wiesn-Organisatoren betonen unermüdlich, dass alles getan wird, damit die Wiesn sicher ist. Gemäß einem neuen Konzept gelangt man nur durch die zwölf bewachten Eingänge auf das Areal, das so groß ist wie 59 Fußballplätze. Bisherige Lücken sind mit einem 350 Meter langen mobilen Rollzaun geschlossen worden. Die Münchner Boulevardpresse bezeichnete das Oktoberfest daraufhin als „Wiesn-Käfig“. Die am häufigsten geäußerte Befürchtung, dass der Zaun im Falle eines Anschlags oder einer Panik zu einem womöglich tödlichen Hindernis werden könnte, hält Bürgermeister Schmid für unbegründet: „Der Zaun ist in nur 50 Sekunden komplett eingerollt.“

Rucksäcke sind nicht erlaubt

Neu ist auch das Verbot von Rucksäcken – diese und größere Taschen dürfen nicht auf das Gelände mitgenommen werden, man kann sie bei neuen Gepäckaufbewahrungsstellen abgeben. Kleine Handtaschen werden an den Eingängen durchsucht. 350 Polizisten werden auf dem Gelände im Dienst sein, die Wiesn-Wache hat die Zahl der Videokameras von 19 auf 29 erhöht. Für die Sicherheit in den Zelten sind die Gastwirte zuständig, die meisten von ihnen haben mehr Security-Personal eingestellt und teilweise auch Videokameras installiert.

Doch trotz dieses ganzen Aufwands bleibt bei vielen Bürgern ein ungutes Gefühl. Der Rektor einer Münchner Grundschule etwa verkündete seinem Kollegium zum Schulbeginn, dass es dieses Jahr keinen gemeinsamen Wiesn-Abend der Lehrerinnen und Lehrer geben wird. „Ich habe keine Lust dazu“, sagt er. „Ich würde nicht entspannt feiern können.“

Viele diskutieren in diesen Tagen die Wiesn-Frage. „Wir genießen immer diese besondere Jahreszeit“, sagt Maren. „Doch jetzt ist die Stimmung gedämpft.“ Die 14-jährige Tochter hat mit ihren Freundinnen beschlossen, diesmal nicht auf das Fest zu gehen. Die Eltern werden zwei Einladungen wohl absagen. Maren hat für sich beschlossen, „das Wiesn-Flair außerhalb der Theresienwiese zu genießen“. Zugleich meint sie: „Aber schad is scho.“

Bisher ist nicht absehbar, ob und wie viele Einbußen es geben wird. Normalerweise kommen pro Oktoberfest rund sechs Millionen Besucher. 7,5 Millionen Maß Bier werden ausgeschenkt, eine halbe Million halbe Hendl werden verzehrt und – so die Zahlen des vergangenen Jahres – 122 Ochsen und 51 Kälber. Der wirtschaftliche Wert der Wiesn wird von der Stadt München auf 1,1 Milliarden Euro taxiert. Nun werben Kabarettisten wie Luise Kinseher mit Oktoberfest-Herzen um den Hals, auf denen steht: „I geh! Du aa?“

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