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Ökologische Mode: Bio essen, Bio tragen?

Die Verbesserung der Welt: Bio-Lebensmittel gehören schon lange zum Lebensstandard, jetzt wird auch nachhaltige Bekleidung salonfähig. Ein schwieriger Prozess.

Als Claudia Lanius ins Modegeschäft einstieg, hing ökologisch korrektes Verhalten mit einem ewig schlechten Gewissen zusammen. Seit 20 Jahren arbeitet sie mit nachhaltigen Produkten; damals war in der Ökomode die Gestaltung weniger wichtig als die astreine Gesinnung. Heute muss Kleidung vor allem gut aussehen – aber natürlich erwarten die Kunden außerdem, dass die Qualität besser ist als bei konventioneller Bekleidung, dass nicht Kinder die T-Shirts zusammennähen und dass die Erwachsenen von ihrer Arbeit leben können und dabei keinen Schaden nehmen.

Wie bei Nahrungsmitteln wollen die Konsumenten auch bei Kleidern mittlerweile wissen, wo sie herkommen. Zurzeit wird mit großem Tamtam der Weltklimagipfel in Paris abgehalten – es ist klar, dass ein besserer Umgang mit der Umwelt nottut. Dazu gehört auch, bewusster auszuwählen, was man anzieht.

Die Beweisaufnahme gehört zu Claudia Lanius’ täglicher Arbeit. Sie diskutiert mit dem Garnhersteller, ob das Garn stärker gedreht werden kann, damit es haltbarer ist und keine chemische Ausrüstung braucht, um Hosen strapazierfähig zu machen.

Lanius hat eine Mitarbeiterin, die sich um nichts anderes kümmert als um Zertifizierungen und deren Kontrolle. Nicht alle Materialgruppen sind 100 Prozent durchzertifziert, bei jedem neuen Stoff fängt die Arbeit von vorne an. Wie zum Beispiel bei dem Bouclémantel in Eiform. Den wollte sie unbedingt in der aktuellen Kollektion haben: „Wir wollten was Haariges machen.“ Aber damit die Wolle zusammenhält, musste ein Polyesterfaden verwebt werden. Dafür hat der Stoff keine Antipillierung und andere chemische Ausrüstung.

Das Problem mit der Chemie ist größer, als man denkt. Wer weiß denn schon, dass es besser ist, Herrenhemden nur bei weit geöffnetem Fenster zu bügeln, weil fast jeder Stoff mit Chemikalien behandelt wurde, um ihn möglichst knitterfrei zu machen. Ein wenig absurd ist es da schon, dass diejenigen, die es besser machen wollen, die Beweislast haben – und nicht diejenigen, die ihre Kleider inklusive giftiger Zusätze verkaufen.

Claudia Lanius ist eine Designerin von fünf, die im Berliner Warenhaus Manufactum dessen neues Konzept für Bekleidung repräsentieren sollen. Seit ein paar Wochen können Frauen dort nur noch nachhaltige Bekleidung kaufen.

Und dabei soll es nicht bleiben: „Wir überprüfen jetzt alle Produktgruppen auf mehr Nachhaltigkeit“, sagt Angele Zettner, Leiterin Produkt- und Sortimentsentwicklung. Für den Bereich Bekleidung passt der Slogan „Es gibt sie noch, die schönen Dinge“ aber schon jetzt nicht mehr. Kein einziges Label gehört zu denen, die bei Manufactum normalerweise angepriesen werden wie das reinste Weltkulturerbe. Keines kann auf eine Tradition verweisen, die sich seit den Anfängen der Industrialisierung behauptet hätte. Lanius gehört da mit 20 Jahren schon zu den Veteranen.

Viele der angebotenenen Labels gibt es erst seit kurzem

Viele der angebotenen Labels gibt es im Gegenteil erst seit ein paar Jahren, wie Wunderwerk, gegründet von Tim Brückmann und Heiko Wunder. Der arbeitete 25 Jahre in der konventionellen Mode bei Esprit und O'Neill, bis er beschloss: „Es ist genug, das kann ich besser und anders.“ Das sei, wenn man in der Branche arbeitet, eigentlich ein zwingender Gedanke. Doch er ist nicht von missionarischem Eifer getrieben, er bleibt gelassen und setzt in großen Buchstaben den Schriftzug „Don't Panic“ auf eine Mütze.

Die Auswahl für das neue Manufactum-Sortiment hat Magdalena Schaffrin getroffen. Vor sechs Jahren gründete sie zusammen mit Jana Keller die Messe „Green Showroom“. 2012 übernahm die Messe Frankfurt ihre kleine Nischenveranstaltung, seither ist sie dort Kreativdirektorin. Grüne Mode ist ein Wachstumssegment, auf der Fashion Week im Januar 2016 werden 160 Aussteller im Postbahnhof ihre Kollektionen zeigen.

Wohl kaum ein anderes deutsches Unternehmen arbeitet länger an der Verbesserung der Welt als Hess Natur. Schon seit 1976 handelt das Unternehmen mit Babystramplern aus Biobaumwolle und Praktischem für die Mutter, doch in den vergangenen Jahren hat sich viel verändert. Nicht nur, dass Hess Natur inzwischen jährlich mit einem Wettbewerb auf der Fashion Week dabei ist, seit Neuestem arbeitet man auch mit Designern zusammen. Es ist offensichtlich – hier wird eine neue Zielgruppe angepeilt, modischer und jünger, um aus der Betulichkeit gewalkter Überzieher herauszukommen.

Die Designerin Tanja Hellmuth hat jetzt die Gestaltung übernommen und das gesamte Sortiment modisch überarbeitet. Für die Herrenkollektion wurde der junge Berliner Designer Tim Labenda engagiert. Die Aussage ist klar: Produktionsbedingungen und Zertifizierung hat das Unternehmen im Griff – jetzt kann an der modischen Aussage gearbeitet werden. Damit ist Hess Natur der wachsenden Zahl an Mitbewerbern einen Schritt voraus.

Bei Bekleidung ist die Produktionskette besonders mühsam nachzuweisen, und das Vertrauen bei den Verbrauchern ist nicht allzu hoch. „Weil hier viel geschummelt wird“, sagt auch Claudia Lanius. Die Begehrlichkeiten sind inzwischen groß, Biobaumwolle ist heute durchaus ein Verkaufsargument.

In Berlin kann man seit ein paar Jahren sogar nachhaltige Mode studieren. „Gerade große Unternehmen suchen nach Mitarbeitern, die sich mit dem Thema auskennen. Und zunehmend nicht nur als faule Ausrede, dass man ja etwas für die Umwelt tue, sondern im operativen Geschäft“, sagt Friederike von Wedel-Parlow, die an der Modeschule Esmod den Masterstudiengang „Sustainability in Fashion“ leitet.

Zum diesjährigen Abschluss des Masterstudiums wurde vergangene Woche in der Aula der Esmod diskutiert, anstatt einfach nur Mode zu zeigen. Das Thema: „Mode gegen Hunger – nur eine Utopie?“. Auf dem Podium saßen Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, Gunter Beger vom Entwicklungsministerium und Riyaz Haider, der in Tansania Baumwolle anbauen lässt.

Immer wieder wurde von Wedel-Parlow gefragt, ob man überhaupt bei H&M einkaufen dürfe, auch wenn die Kette immer mehr Produkte in Biobaumwolle anbietet. „Besser so als gar nicht“, kommentierte sie. Die Präsidentin der Welthungerhilfe pochte auf genaue Kennzeichnung, denn: „Ein 50-Euro-Hemd kann genauso schlecht sein wie eins für fünf Euro.“ Der Vertreter des Entwicklungsministeriums pries das Engagement des Staates: „Wir unterstützen den Aufbau von Gewerkschaften“, die Professorin betonte, dass Biomode nicht mehr aussieht wie Biomode: „Es gibt keinen Unterschied mehr in der Gestaltung.“ Ihre Studenten konnten an diesem Abend den Beweis liefern, die Abschlussarbeiten zierten das Treppenhaus der Schule.

Hier ging man mit dem Begriff Nachhaltigkeit viel experimenteller um, als das auf dem Markt heute möglich ist. So verarbeitete Miriam Laubner zum Beispiel Seehundfell, sie färbte es, laserte ein Muster hinein und schor es. „Wie kannst du nur?“, wurde sie oft gefragt. Denn wenn eins klar ist, dann das: Seehund geht gar nicht! Die von Miriam Laubner verwendeten Felle stammen aber von den Inuit und sind Abfallprodukte ihrer Jagd. Immer schon haben sie mit den Fellen, die sie nicht selber verbrauchten, Handel getrieben, aber jetzt sind die Kühlhallen voll mit den Fellen, denn keiner will sie mehr haben. Dass sich das ändert, ist für Miriam Laubner eine Frage der Nachhaltigkeit.

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