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So kann Kunst im Museum aussehen: Ausstellungsansicht aus "Tüchfühlung" im Frankfurter Museum für moderne Kunst.

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Mode im Museum: Material in der Metamorphose

Kostas Murkudis ist ein Modedesigner aus Berlin, der sich gerne im Grenzgebiet zur Kunst bewegt. Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt widmet ihm die Ausstellung "Tuchfühlung".

Die Saison, ein Schreckgespenst. So kann man das lesen im Lebenslauf von Kostas Murkudis, auch wenn der renommierte Modemacher aus Berlin die Erwartungen seiner Branche stets perfekt erfüllt. Als Creative Director der Marke Closed, als Berater von Balenciaga und Pringle of Scotland und gefragter Designer einzelner Kollektionen für Swarovski, Mykita oder Coccinelle. Doch dann gibt es die andere Seite: einen Murkudis, der in Zusammenarbeit mit dem deutschen Label "Haltbar" von 2004 an drei Jahre lang Kleidung entwirft, die möglichst langlebig ist. In klarer ästhetischer Sprache und mit einem Seitenblick auf funktionelle Berufsbekleidung, die oft erst durchs Tragen immer mehr zur zweiten Haut wird. Es gibt den Murkudis, der 2009 entschieden hat, aus dem Karussell der rasenden Saisonproduktion auszusteigen, und seitdem mit "Laborkollektionen" experimentiert. Dabei kommen Unikate heraus, die nicht einfach tragbar, sondern konzeptuell gedacht sind. Und schließlich ist da jener Murkudis, den es mit seinem Schaffen immer mehr zur Kunst zieht.

Mit Kostas Murkudis auf Tuchfühlung in Frankfurt

Im Spiel mit dem Material: Kostas Murkudis setzt Stoffe virtuos und kunstvoll ein.
Im Spiel mit dem Material: Kostas Murkudis setzt Stoffe virtuos und kunstvoll ein.

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Im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main ist derzeit zu sehen, wie ein Dialog zwischen den Genres aussehen kann. 2010 war der Designer schon einmal im Haus, um seine neue Entwürfe im Rahmen einer Modenschau mit dem Titel "Not in Fashion" zu präsentieren. Anschließend überließ er dem MMK drei komplette Kollektionen verschiedener Jahrgänge. Sie bilden das Zentrum der aktuellen Ausstellung "Tuchfühlung", um die sich andere Werke aus der Sammlung gruppieren – Kunst ab den 1960er Jahren etwa von John Chamberlain, Blinky Palermo, Yves Klein, Jack Goldstein oder Franz Erhard Walther. Von Protagonisten also, die ebenfalls auf Grenzerfahrungen aus waren oder es noch sind. Anschaulich wird dies besonders bei Walthers legendärem "Werksatz 1", den er 1969 erstmals in New York ausstellte. 58 Objekte aus Stoff, Holz und anderen Materialien sollten von den Museumsbesuchern benutzt werden. Wie genau, schrieb der Künstler nicht vor, er hatte aber ein paar Ideen: überstülpen, hineinlegen oder mit dem eigenen Körper zusammen geometrische Formen bilden. Als Kostas Murkudis vier Jahrzehnte später seine Kollektion für das Frühjahr und den Sommer 2014 in einer Berliner Galerie präsentierte und "4D – A Tribute to Franz Erhard Walther" nannte, griff er damit einen alten Gedanken der Performance-Kunst wieder auf.

Im Taunus-Turm, wo das MMK vergangenen Herbst die Dependance MMK2 eröffnete und sich damit eine Büroetage im Rohzustand gesichert hat, liegen die Kleider auf einem niedrigen weißen Sockel, der auch als Boden durchgehen könnte. Darauf ein paar Kreise aus Stoff mit Öffnungen, die sich als Löcher für Kopf und Arme deuten lassen können. Daneben sorgsam Zusammengelegtes, von dem ein Video erzählt, wie es sich entfalten und an den Körper anpassen lässt. Das Ganze erinnert an ein Atelier, wo erste Entwürfe zum Ausprobieren liegen. Komplett wird das Ensemble dank inzwischen historischer Fotos aus New York, die Fotograf Timm Rautert damals von Walthers partizipatorischem Angebot und seiner Umsetzung schoss. Das stellt natürlich einen Anspruch. Und es fordert zum Vergleich heraus. Verbindend ist in jedem Fall das Skulpturale, Walther wie Murkudis artikulieren sich über die Stofflichkeit ihres Materials. Fast ebenso schnell fallen aber auch die Unterschiede auf. Franz Erhard Walther will als Künstler jene Distanz überwinden, die traditionell zwischen dem Kunstwerk und seinem Betrachter herrscht. Berühren sollen seine Skulpturen, die später immer weicher und haptischer wurden, im doppelten Sinn – visuell und in der körperlichen Begegnung. Ein Reflex auch auf die pure Ideenkunst vieler seiner Kollegen in den 60er Jahren.

Die Käufer wollen ganz nah ran, Murkudis sucht Distanz.

Mit ernstem Blick: Kostas Murkudis.
Mit ernstem Blick: Kostas Murkudis.

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Murkudis, 1959 in Dresden geboren, Anfang der Siebziger mit der griechischstämmigen Familie nach West-Berlin übergesiedelt und nach langer Assistenz bei Helmut Lang 1996 mit einer ersten Prêt-à-porter-Damenkollektion in Paris vertreten, kommt fast vom anderen Ende der Skala, einem extrem auf Schnelligkeit und Konsumieren ausgerichteten Business. Sein Reflex ist der Schutz, der Antrieb ein Unwillen, das eigene kreative Potenzial nach den Rhythmen der Saison zu verschleudern. Und während die Käufer allein schon der Sache wegen auf Tuchfühlung mit seinen Kreationen gehen, geht Murkudis auf Distanz. Trotz gegenläufiger Ansätze bietet die Ausstellung eine Schnittmenge, und die sieht überaus verführerisch aus. Zwischen Goldsteins "A Suite of Nine 7-Inch Records" oder den "Stripes" von Morris Louis hängen weitere Entwürfe von Murkudis an Bügeln im Raum. Schwerelos schlaff, fragil und so zartfarbig, dass man unwillkürlich melancholisch wird. Die Kleider, Röckchen, Oberteile mit ihren offenen Nähten, unvernähten Fäden und lose hängenden Ärmeln wirken nicht nur verletzlich. Man hat auch den Eindruck, als würden sie sich nachts immer wieder neu zusammensetzen. Material in der Metamorphose.

Die Mischung aus Kunst- und Naturfasern sorgt für sensible Kontraste, und man ahnt ebenso Murkudis’ kurzes Studium der Chemie wie den Einfluss seines ersten Besuchs der Pariser Defilees im Jahr 1984. Was die beiden japanischen Designer Yohij Yamamoto und Rei Kawakubo (für ihr Label Comme des Garçons) damals zeigten, hat ihn nicht wieder losgelassen. Beider Kleider wurden noch ein Jahrzehnt später gleichermaßen gern von Galeristinnen wie Sammlerinnen getragen. Das trägt auch zur Klärung der Frage bei, weshalb Murkudis sich latent von der bildenden Kunst angezogen fühlt und mit ihren Protagonisten häufig kollaboriert: Es gibt eine tiefe innere Verbundenheit.

Skulpturale Schnittführung und gedämpfte Farbe: Auch dafür steht Kostas Murkudis. Viel wird er für diesen Stil in seinen Jahren bei Helmut Lang gelernt haben.
Skulpturale Schnittführung und gedämpfte Farbe: Auch dafür steht Kostas Murkudis. Viel wird er für diesen Stil in seinen Jahren bei Helmut Lang gelernt haben.

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Mode im Einklang mit Raum, Architektur und Licht.

Die Ausstellungsarchitektur von "Tuchfühlung" hat er zusammen mit dem Leipziger Künstler Carsten Nicolai konzipiert, der wiederum als Musiker unterwegs ist und seine elektronischen Tonexperimente zurück in die Installationen fließen lässt. Der Gang durch die rohe Betonetage, das Spiel mit Ein- und Durchblicken, der Wechsel von fließenden Stoffen mit Chamberlains verschnürtem Schaumgummi namens "Funburn" von 1967 oder den Backstage-Fotografien von Juergen Teller lösen vermeintlich leichthändig ein, was Murkudis als seinen Anspruch formuliert: "Wie funktioniert Kleidung im Raum, im Austausch mit der architektonischen Struktur, aber auch mit dem Licht?" Dass er aus dem oft unterkühlten White Cube des Museums einen Ort mit "vier, fünf, sechs sinnlichen Dimensionen machen" kann, braucht ebenfalls keinen weiteren Beweis. Kuratorisch ist die Schau eine Wucht. Doch was mit der Mode im Museum geschieht, die sich ohne Trägerin radikal unangezogen präsentiert und damit auf die eigenen skulpturalen Qualitäten verweist, kann erst die Zeit zeigen. Spricht heute noch einer von den Ausflügen des Mode-Dekonstruktivisten Martin Margiela in die Kunstmuseen? Vielleicht verbleiben die Kollektionen von Kostas Murkudis tatsächlich im MMK, statt wie die meisten Kleider in Kunstgewerbemuseen zu wandern. Bis das geklärt ist, wünscht man sich von ihm ein neues Label, dem endlich gelingt, woran die nähende Avantgarde bislang verlässlich scheitert: dass es bezahlbar ist.

"Tuchfühlung", MMK2, Frankfurt am Main, Taunustor 1, bis 14.2.2016

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