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Coworking in einem Hotel der Kette, zu der auch das Andel's in Lodsz gehört.

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Einrichtungs-Phänomen: Ausweitung der Zwischenzone

Egal wohin wir heute gehen – unsere Wohlfühlblase müssen wir nicht mehr verlassen. Ein globaler Einheitsstil ergreift Cafés, Hotels und Wohnungen.

Lódz ist eine dreckige Stadt – die Stadtführerin sagt, sogar eine vergessene. Viele der knapp 700 000 Einwohner, die einst in der Textilindustrie arbeiteten, sind arbeitslos. Heute ist in einer der größten Fabriken aus dem 19. Jahrhundert ein Hotel untergebracht. Es ist mit Geschmack eingerichtet, moderne Sofas in der Lobby, weiche Teppiche, tiefe Sessel vor rauen Backsteinwänden. Sitzt man in dieser Wohlstandsblase, will man es kaum glauben, nur eine Straße weiter verkaufen alte Frauen ihre im Garten geschnittenen Blumen und geernteten Kartoffeln, um überleben zu können. Und an der Hotelbar schmeckt der Flat White genauso, wie er schmecken soll und klar, es gibt ihn auch mit Soja.

Wer will, kann heute in fremde Länder reisen, ohne die eigene gewohnte Blase zu verlassen. Die entsprechenden Cafés findet man auf Plattformen wie Foursquare, die passenden Ferienapartments auf AirBnB.

Das passende Wort dazu hat der amerikanische Journalist Kyle Chayka eingeführt: Airspace. "Welcome to Airspace" überschrieb er einen Artikel, der im September in der New York Times erschien. Dort schildert er, wie es kommen konnte, dass es heute überall auf der Welt Cafés gibt, die sich nicht nur von ihrer Einrichtung her ähneln, sondern auch vom Angebot gleich schmecken und riechen, egal ob man nun in New York, Warschau oder Berlin ist. Er schreibt: "Den Ort zu wechseln ist heute so schmerzlos wie eine Website hochzuladen."

Und das, obwohl hinter all diesen Cafés, Apartements nicht ein großer Konzern steckt. Jeder richtet sich ganz individuell geradezu identisch ein. Nicht weiter verwunderlich ist, dass Chayka das Internet und Silicon Valley als Verursacher ausmacht. Bei Instagram finden sich tonnenweise Orte, die sich in ihrem guten Geschmack gleichen und nicht mehr durch lokale Besonderheiten voneinander zu unterscheiden sind. Wer einen Eamesstuhl für seine Gäste bereithält, Zeitschriften stapelt und Poster mit sinnigen Lebenssprüchen an die roh belassenen Wände hängt, ist auf der sicheren Seite.

Im "The Apartment" in der Mulackstraße in Mitte treffen sich Freunde von Freunden.
Im "The Apartment" in der Mulackstraße in Mitte treffen sich Freunde von Freunden.

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Und dieses Gefühl, im Nirgendwo zu sein, in einer Art Zwischenwelt, das einen früher in Flughäfen oder in großen Hotelketten befiel, kann man heute eben auch in privaten Räumen auf der ganzen Welt haben, nur dass es halt gut aussieht. Da kann man erst mal auch niemandem einen Vorwurf machen - die Möbel, die dazu von Start-ups wie Made.com angeboten werden, orientieren sich an den klaren Formen des Bauhauses und sollen auch funktionieren, also bequem sein. Es ist ein reproduziertes Erlebnis - nicht original und neu, nicht individuell, auch wenn es so daherkommt. Und langsam dämmert das auch denjenigen, die sich eigentlich darin wohlfühlen und es weiterverbreiten sollten, dass es den Horizont nicht gerade erweitert.

Das Phänomen Airspace treibt auch Frederik Frede um. Wenn er den Begriff hört, legt sich seine Stirn in Falten. Das Thema behagt ihm nicht, doch er will sich ihm stellen. Frede gehört zum Gründungsteam von Freunde von Freunden, einem Berliner Wohndesign-Blog, der seine Leser mitnimmt in das Zuhause internationaler Kreativer. Als Frede und zwei Mitstreiter das Projekt 2009 starteten, besuchten sie dafür die Wohnungen ihrer Bekannten, schrieben deren Geschichten auf und dokumentierten ihren Einrichtungsstil mit der Kamera. "Durch die Kreise, in denen wir uns bewegten, haben sich gewisse Muster ergeben", gibt Frede rückblickend zu. Vieles von dem, was auf den Fotos zu sehen war, prägt inzwischen die Ästhetik der Airspace: Industrieschick gepaart mit skandinavischem Minimalismus.

Freunde von Freunden machten ihre schnell wachsende Leserschaft mit diesem Stil bekannt. Dennoch will Frederik Frede die Seite nicht als Teil des Phänomens verstanden wissen: "Wir bewegen uns in einem Zwiespalt." Kommerziell war das Ganze nicht ausgelegt, mit der Seite wollten Frede und Partner zeigen, wie Menschen leben und sich in ihrem Umfeld ausdrücken. Dass Angebote wie das ihre von großen Firmen als Inspirationsquelle für einen stilistischen Einheitsbrei genutzt wurden, war von den Freunden von Freunden nicht geplant, trug aber zum Erfolg der Seite bei.

Nun wollen sie bewusst gegensteuern, um sich nicht vom Einheitsbrei vereinnahmen zu lassen. Im vergangenen Monat lud das Team Kyle Chayka, mit dem die Gründer befreundet sind, für einen Vortrag nach Berlin ein. „Um zu zeigen, dass wir uns bewusst sind, dass dieses Phänomen existiert und dass wir darüber diskutieren wollen“, sagt Frede. In kleinen Schritten versucht die Seite, alte Muster zu durchbrechen. "Wir sind wählerischer geworden als in unserer Anfangszeit und fragen uns häufiger: Was ist das Besondere an dem, was wir vorstellen?"

In der eigenen Wohlfühlblase zu verharren, das ist eine individuelle Entscheidung

2014 eröffneten sie in der Mulackstraße in Mitte "The Apartment", eine vollständig eingerichtete Wohnung, in der sie nun Veranstaltungen ausrichten, Produkte ihrer Kooperationspartner ausstellen und Gäste unterbringen. Auf den ersten Blick scheint "The Apartment" geradezu die Verkörperung eines Airspace zu sein. Viel Weiß, viel Holz, Glühlampen, die von der Decke hängen. Doch: "The Apartment" soll kein steriler Showroom für ein elitäres Hipstertum sein, sondern sich mit Leben füllen. Wenn die Gäste Abnutzungsspuren hinterlassen – umso besser. Die Gegenstände, mit denen es eingerichtet ist, sollen nicht im Jahrestakt ausgewechselt werden. Vielleicht wird hier schon bald ein Künstler unentgeltlich als Artist in Residence wohnen und arbeiten dürfen. "Wir sind uns bewusst, dass die Welt nicht nur aus Berlin-Mitte besteht", sagt Frede.

Freunde von Freunden waren Teil der Entwicklung einer Ästhetik, die von großen Unternehmen aus dem Silicon Valley zum Leitbild auserkoren worden ist. Dass es sich so viele Menschen darin bequem machen, wundert Frede nicht. Doch in welchem Ausmaß man sich das Angebot überstülpen lässt und in einer Komfortzone verharrt, hält er für eine individuelle Entscheidung: "Interessiert mich mein Gegenüber, das mir auf der Straße entgegenkommt? Unterhalte ich mich auch mal mit einem Menschen am Kiosk, dem Busfahrer? Letztlich bin ich immer selbst verantwortlich dafür, aus meiner Blase hinauszuschauen."

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