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Ausstellungs-Kritik: Das elegante Nichts

Zum ersten Mal wird die Arbeit von Jil Sander im Museum gezeigt. Wer nun eine Retrospektive mit ihren Entwürfen erwartet, kennt die Designerin schlecht. Sie zeigt ihr Gesamtkunstwerk.

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Erstaunlich wenig Textilien für eine Modeausstellung. Genauer gesagt: keine. Die weißen Kleiderstangen, die über den ersten Ausstellungsraum verteilt sind, bleiben leer. Kleidungsstücke sieht man Jil-Sander-Ausstellung im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main lediglich auf den sehr glatten Imagebildern, die eine ganze Wand einnehmen. Außerdem wird auf der anderen Seite des Raums ein Modefilm an die Wand projiziert.

Fast wünscht man sich in die hektische Backstageszene der Schau, die im Film zu sehen ist, um die Entwürfe, Schuhe und Taschen genauer betrachten zu können. Clean und pur ist der Ausstellungsraum gestaltet. Wie auch anders, denn genau für ihre deutsche Schlichtheit wurde Jil Sander weltweit gefeiert. Damit war sie eine der wenigen Deutschen, die Einfluss auf die internationale Mode hatten.

Zum ersten Mal blickt die scheue Designerin zurück auf ihr Werk

Das Konzept der gesamten Präsentation entspricht dem zeitlosen Stil Jil Sanders. Um welche Schau es sich in dem kurzen Film handelt und wann sie stattgefunden hat, bleibt unklar. Überhaupt fehlen in der Ausstellung Hintergrundinformationen, die es dem Besucher ermöglichen, die Arbeiten einzuordnen. Jil Sander erschafft einen Raum, in dem Zeit und Ort keine Bedeutung haben. Passend dazu ist auch der Titel der Ausstellung „Jil Sander. Präsens“ gewählt.

„Zurückzublicken und in ihr Archiv zu sehen, ist für Jil Sander etwas sehr Ungewöhnliches. Sie hat immer nur nach vorne geschaut“, sagt der Direktor des Museums Angewandte Kunst, Matthias Wagner K. Sein Museum ist das weltweit erste, das der 73-jährigen Designerin aus Dithmarschen im hohen Norden Deutschlands eine Ausstellung widmet. „Vorher hat sie noch keine Zeit zum Zurückblicken gehabt“, meint Wagner K.

Ein Bild von Mode. In der Ausstellung gibt es viel zu sehen, aber fast keine Kleidung
Ein Bild von Mode. In der Ausstellung gibt es viel zu sehen, aber fast keine Kleidung

© Boris Roessler/ dpa

Bis 2013 arbeitete Jil Sander als Kreativdirektorin ihrer eigenen Marke. Alles begann 1973, als sie ihre erste Kollektion in Hamburg präsentierte. Kurz nachdem sie 1999 ihre Firma an den italienischen Modekonzern Prada verkauft hatte, verließ sie ihr Haus, der Name Jil Sander blieb bestehen. Zwei Mal kehrte sie als Kreativdirektorin zurück, bis sie sich 2013 endgültig zurückzog.

Eineinhalb Jahre lang plante Jil Sander ihre Werkschau zusammen mit Matthias Wagner K. Obwohl sie an jedem Detail der Ausstellung akribisch mitgearbeitet hat, stellt sie sich nicht als Repräsentantin zur Verfügung. Denn die Person Jil Sander ist zurückhaltend und keine eigene Marke, wie zum Beispiel ein Karl Lagerfeld. Der Pressekonferenz blieb sie fern, nur für den Fototermin nahm sie sich eine Minute Zeit.

Motiv aus der Kampagne für Herbst/ Winter 2004
Motiv aus der Kampagne für Herbst/ Winter 2004

© David Sims

Und so ist ihre Ausstellung keine typische Retrospektive, in der Kleider aus einen Schaffensarchiv nach einem bestimmten Ordnungsprinzip gezeigt werden, sondern eine Ausstellung, die versucht, das Gesamtwerk Jil Sanders zu erklären. Darin spielen Architektur, Musik und Fotografie wichtigen Rollen.

Im Raum „Kunst und Mode“ finden die Besucher zum Beispiel das Modell der Skulptur, die Jil Sander gemeinsam mit dem italienischen Künstler Mario Merz für die Biennale in Florenz 1996 schuf. In einem anderen Raum wird ein Kurzfilm abgespielt, der den selbst entworfenen Landschaftsgarten der Designerin zeigt. Mit dem Komponisten und Klangkünstler Frédéric Sanchez, der ab 1991 die Musik für ihre Defilees machte, entwickelte Jil Sander für jeden Raum eine eigene Komposition. Besonders die Architektur spielte in ihrer Arbeit eine zentrale Rolle, sie arbeitete mit berühmten Architekten zusammen. 1993 eröffnete sie in Paris ihren ersten Flagship-Store in der Avenue Montaigne.

Zur bekanntesten deutschen Designerin wurde Jil Sander durch ihre klare Silhouette und ihre akribische Materialrecherche. Sie importierte Hightech-Gewebe aus Japan und arbeitete mit italienischen Produzenten an der Entwicklung neuer Stoffe. Jil Sander erschuf einen Stil, der auch heute wieder aktueller denn je für deutsche Mode steht. Betrachtet man die Kollektionen junger Designer wie Perret Schaad, Malaikaraiss oder Hien Le, stehen sie genau wie Jil Sander für einen puren und modernen Stil.

„Jil Sander. Präsens“, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt, bis 6. Mai 2018

Isabel Leonhardt

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