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Der Rio Oiapoque bildet die grüne Grenze zwischen Brasilien von Französisch-Guayana.

© Autumn Sonnichsen/dpa

Mitten im Amazonasgebiet: Die Probleme an der abgelegensten EU-Außengrenze

Am Rio Oiapoque verläuft die Grenze zwischen Brasilien und Französisch-Guayana. Weil Frankreich Ureinwohnern Kindergeld zahlt, gibt es Schwierigkeiten.

Der Händedruck sucht seinesgleichen. Als der Kommandant der Fremdenlegion wieder loslässt, ist man froh, dass nichts gebrochen ist. Bei ihm ist die Sicherung der europäischen Grenze, im tiefsten Regenwald in Südamerika, sicher in guten Händen. Zwei Meter groß, die blonden Haare kurz geschoren, russischer Akzent. Seine Herkunft will er nicht preisgeben, er sei nun Franzose, hier im Dschungeleinsatz. 30 Soldaten der französischen Fremdenlegion sind hier stationiert, um im Auftrag Frankreichs die ungewöhnlichste europäische Außengrenze zu sichern. Der Rio Oiapoque ist die Trennlinie zwischen Brasilien und Französisch-Guayana, dem Überseegebiet Frankreichs und damit auch die Grenze zur EU.

Es ist ein isolierter Ort von bezaubernder Schönheit. Gerade morgens, wenn der Nebel über das Wasser zieht und die Tierwelt erwacht. Und ein Ort der Gegensätze: Der Rasen im Camp der Legion ist fein getrimmt. Es gibt Stromleitungen, während auf der anderen Flussseite des Rio Oiapoque, in Brasilien, Generatoren höchstens für ein paar Stunden am Tag Strom liefern. Das Mobilfunknetz ist auf beiden Seiten ein französisches – mit einem europäischen Handy fallen keine Roaminggebühren an, man ist in der EU.

Wer ins Dorf will, muss acht Stunden Boot fahren

Der Oiapoque bildet auch die Grenze zum brasilianischen Nationalpark Tumucumaque, einem der größten Regenwald-Schutzgebiete. Er hat fast die Ausmaße der Niederlande und ist seit Jahrhunderten Heimat von ein paar hundert Wayapi-Ureinwohnern. Auf der Seite Brasiliens sind zum Schutz des Regenwaldes Siedlungen verboten, aber dank des französischen Dorfes Camopi, wo die Fremdenlegion stationiert ist, gibt es eine kleine Siedlung, Vila Brasil. Die meisten der 90 Häuschen und Holzbaracken wurden errichtet, bevor der Tumucumaque 2002 zum Nationalpark erklärt wurde.

Dort gibt es Musik, Freiluft-Frisöre, Alkoholläden und Bordelle. Acht Stunden braucht das Boot den Rio Oiapoque hinunter, um zum abgelegensten Außenposten der EU zu gelangen. Immer wieder heißt es aussteigen, sonst ist das Boot zu schwer für die Stromschnellen. Transportiert werden Kisten voll Fisch, Bier, Brot, Mais, manchmal auch ein ganzes Schwein. Auch die 16 Jahre alte Wayapi Mariejeanne macht die beschwerliche Reise. Sie träumt davon, nach der Schule in einem Restaurant in Cayenne zu arbeiten, der Hauptstadt Französisch-Guayanas. Sie berichtet aber auch von großen Alkoholproblemen. „Einige fangen schon mit 13 an zu trinken“, sagt Mariejeanne, die auf der französischen Seite wohnt. Sie rühre keinen Alkohol an.

„Ich bin hier geboren und werde hier sterben“

Als Grund für den Alkoholismus unter den Wayapi gilt auch das französische Kindergeld. Um mehr darüber zu erfahren, ist Joseph Chanel der richtige Ansprechpartner. Mit Unterbrechungen ist er seit 1992 Bürgermeister von Camopi. An diesem Tag ist er aber nur bis 12 Uhr zu sprechen. Es ist ein Sonntag, später will er Cachaça, Zuckerrohrschnaps, trinken. Eigentlich heißt er Joseph Chandet, aber die Franzosen verstanden irgendetwas falsch und dachten an das Parfüm, so wurde er im Pass zu Joseph Chanel. Er liegt in einer Hängematte, die Lesebrille auf der nackten Brust, er trägt nur einen roten Lendenschurz. Wenn man so will, ist er der Chef der „Euro-Indianer“.

„Ich bin hier geboren und werde hier sterben“, sagt Chanel. Die hier seit Jahrhunderten lebenden Wayapi sind Wanderer zwischen den Welten, sie kennen keine Grenzen. Frankreich schon. Nirgendwo hat das Land eine längere Grenze als hier, 730 Kilometer mit Brasilien. Rund 800 der 1800 Bewohner in Campoi sind Indigenas. Viele stammen von der brasilianischen Seite, sie kamen, damit die Frauen hier ihre Kinder zur Welt bringen. „Es gibt 400 bis 1200 Euro an Kindergeld, je nach Alter und Anzahl“, erzählt Chanel. Hinzu kommen weitere Sozialhilfen. Das Geld wird oft in Alkohol auf der anderen Seite im günstigeren Vila Brasil investiert, oder auch in Benzin und Diesel – in der Gegend sind viele Goldsucher aktiv, die Sprit für die Motoren und Diesel für Stromgeneratoren brauchen.

Sarkozy war auch schon zu Besuch

Kontrolle am Ende der Welt: Ein französischer Polizist am Eingang des Gendarmeriepostens.
Kontrolle am Ende der Welt: Ein französischer Polizist am Eingang des Gendarmeriepostens.

© Autumn Sonnichsen/dpa

Eine bizarre Amazonas-Ökonomie. Der 300-Einwohner-Ort ist der einzige im 207-Millionen-Einwohner-Land Brasilien, wo der Euro das Zahlungsmittel ist. „Oft kommen sie von Brasilien auch nur rüber, um sich hier in unserem Gesundheitsposten behandeln zu lassen, da fehlen dann Medikamente für die Franzosen“, klagt Chanel. Das Alkoholproblem habe bereits mehrere Präsidenten beschäftigt, betont Chanel – einmal wurde sogar Nicolas Sarkozy per Hubschrauber eingeflogen. Er schenkte dem Dorf einen Bootsmotor. Der Motor wurde später von der Polizei an einem Boot entdeckt, das massenhaft Benzin für die Goldgräber schmuggelte. Im Oktober war auch Präsident Emmanuel Macron in Französisch-Guayana. Schon mehrfach gab es Überlegungen, das Kindergeld in Camopi nicht mehr auszuzahlen, sondern per Zahlkarte an Sachleistungen und Lebensmittel zu koppeln. „Aber passiert ist bisher nichts“, sagt Chanel. Etwas weiter gibt es einen Gendarmerieposten, auf der Theke stehen Gläser mit eingelegten Schlangen. Ein Gendarm klagt, bei Verbrechen flüchteten die Täter über den Fluss, dann seien sie in Brasilien und er machtlos. Hier gibt es keine Passkontrollen, die Indigenas pendeln zwischen Südamerika und der EU.

Brasilianischen Soldaten üben "Krieg im Dschungel"

Es sind zwei Welten. In Vila Brasil ist alles etwas unsortierter – auch die Mentalitäten. Das zeigt der Posten der brasilianischen Armee. Der Kommandant kommt persönlich zum Bootsanleger am Rio Oiapoque – und hier sind die Soldaten anders als bei der Fremdenlegion äußerst redselig. Mehrere haben einen Spezialkurs „Guerra na Selva“, „Krieg im Dschungel“, absolviert. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, zu wessen Gunsten hier eine Konfrontation beider Staaten ausgehen dürfte, auch wenn die Brasilianer etwas mehr Soldaten am Grenzfluss stationiert haben.

Der Kommandant erzählt von der Vorliebe für Grillabende, während die anderen Soldaten Fußball spielen und Gewichte stemmen. An seinem Gürtel trägt der Kommandant einen Dolch mit goldenem Jaguarkopf. „Das größte Problem ist die Logistik, wir müssen alles per Boot herbringen“, klagt der Mann, der anonym bleiben will. Probleme mit der Fremdenlegion auf der gegenüberliegenden Flussseite gebe es nicht. „Frankreich ist ja ein befreundeter Staat.“

Die Schule gleicht einer Art Kolonisierungskonzept

Jemand, der sich um die Situation der Wayapi stark sorgt, ist die Leiterin der Grundschule. Marianne Mayet sucht hier in Camopi vor dem Ruhestand noch einmal das Abenteuer. Sie stammt aus Südfrankreich. Eine elegante Frau mit viel Grandezza, immer im schicken Kleid, mit pinkfarbener Brille. Auch am Ende der Welt gelte es, Stil und Ordnung vorzuleben. Sie tischt gegrillten Fisch auf. Durch die ganzen illegalen Goldminen im Umkreis gibt es eine erhöhte Quecksilberbelastung in den Gewässern, das Gold wird damit gefördert. „Es ist eine ökologische Katastrophe“, sagt sie. Auf Fisch wolle sie trotzdem nicht verzichten. „Sterben tun wir irgendwann sowieso.“

Mit Blick auf die Indigenas fragt sie sich, „ob die Schule gut für sie ist“. Mit zunehmender Kinderzahl wurde die 2013 gegründet, heute gibt es 270 Schüler. Letztlich handele es sich aber um eine Art Kolonisierungskonzept. Camopi sei der Versuch, die als Nomaden lebenden Wayapi sesshaft zu machen. Eigentlich hätten sie ein reiches Universum, erzählen Träume, leben mit dem Wald. Sie haben auch ihr eigenes Zahlenverständnis. „Es gibt bei ihnen nur 1, 2, 3 – und ganz viele.“ Aber es sei schwierig, Lehrer zu bekommen, die auf Wayapi unterrichten können – der einzige sei weggegangen. Auch ein Englischlehrer wird seit drei Jahren gesucht. Bürgermeister Chanel sei ein Kritiker des Schulkonzepts, das zu wenig auf die indigenen Traditionen Rücksicht nehme, alles läuft auf Französisch, sagt die Lehrerin. „Sie verlieren ihre Kultur, ihre Sprache, verlernen das Töpfern und Jagen.“ (dpa)

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