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Allmählich ähneln sich Isherwood (l.) und Don Bachardy (r.) - das Porträt wurde vor 30 Jahren gemalt.

© Getty

Zum internationalen Tag gegen Homophobie: Die Legende von Don und Chris

Christopher Isherwood war sein Mentor und Partner. Don Bachardy erzählt die Geschichte dieser großen Liebe. Aus unserem Archiv.

Der Strand von Santa Monica! Die Abendessen bei Igor Strawinski! Die Mittagsverabredung mit Truman Capote! Er lacht, nein, kichert. Wenn es um die 1950er Jahre geht wird aus dem 80-jährigen Porträtzeichner Don Bachardy wieder der 20-jährige Kunststudent Donnie.

Er erzählt schmunzelnd, wie er den eitlen Schriftsteller Capote 1954 das erste Mal in Santa Monica getroffen hat, in dem Haus, das er sich mit seinem Partner, dem Schriftsteller Christopher Isherwood teilte, wie aus zwei vier Stunden wurden – und Capote am Ende fragte, ob das Paar nicht mit ihm im Flugzeug nach New York fliegen möchte. „Oh, yes“, antwortete Don Bachardy.

Einen Tag später saßen sie in der Maschine, Capote natürlich in der ersten Klasse, die zwei Mitreisenden in der Economy, der Flieger hob ruckelnd vom Flughafen ab, es gab Turbulenzen, die Anschnallzeichen leuchteten noch, doch Truman Capote stand einfach auf, die Stewardessen kreischten ihm hinterher. „Bitte setzen Sie sich!“ Capote ging ungerührt nach hinten, bis er die Freunde fand, und fragte mit seiner Fistelstimme: „Na, haben meine kleinen Hasen Angst?“

60 Jahre später sitzt Don Bachardy in einem Hotel am Kurfürstendamm, den Kopf voller Erinnerungen, das Herz voller Liebe, immer noch für jenen Mann, den er an einem Herbsttag 1952 am Strand kennenlernte: Christopher Isherwood. Bis zu seinem Tod 1986 blieben die beiden Männer ein Paar, eines der ersten offen schwulen in den USA. Trotz des großen Altersunterschieds: Bachardy war 30 Jahre jünger.

Christopher Isherwood war an jenem Tag bereits 48 Jahre alt, ein gut vernetzter Schriftsteller, Drehbuchautor und Intellektueller. Er hatte seine Heimat England aufgegeben, um in Amerika zu leben, liebte dieses Land, das den Klassendünkel der Briten nicht kannte. Seine erste Amtshandlung nach der Einbürgerung, so erzählt es Don Bachardy: Er ließ seine Mittelnamen löschen. „Er war so froh, diese Manierismen abzulegen“, sagt Bachardy.

Sandfarbenes Hemd, erdfarbene Hose, graue Haare und eine randlose Brille. Wenn Don Bachardy geht, fallen seine Schultern nach vorn, als würde er eine unsichtbare Last tragen. Während er die Neuübersetzungen von Isherwoods Werken im Verlag Hoffmann & Campe bewirbt, unternehmen seine mitreisenden Freunde eine Tour durch das Schöneberg des britischen Schriftstellers – nach wie vor ein schwuler Kiez. Ende der 20er Jahre hatte Isherwood das Nachtleben am Nollendorfplatz genossen, auf der Suche nach dem archetypischen „German Boy“, und daraus die berühmten „Berlin Stories“ entwickelt – Grundlage für das Musical und den Film „Cabaret“.

Isherwood war bekannt dafür, dass er junge Männer mochte. „Ich glaube nicht, dass Chris jemals Sex hatte mit jemandem, der älter war als er“, sagt Don Bachardy. Den High-School-Studenten störte es damals nicht, dass sein 22-jähriger Bruder Ted zuvor eine Affäre mit Isherwood hatte. „Chris sagte, Ted habe die schönsten Beine, die er je gesehen hätte.“

Als die Brüder an jenem Wochenende 1952 von ihrer Wohnung im Stadtteil Atwater aufbrachen, zwei Stunden später aus der Tram an der Ocean Avenue ausstiegen, eineinhalb Kilometer den Strand nordwärts liefen, bis sie zum Will Rogers State Beach kamen, da fielen Don Bachardy als Erstes die „funkelnden Augen“ von Isherwood auf. „Er lächelte die ganze Zeit, interessierte sich für das, was ich sagte. Es war angenehm, angehimmelt zu werden.“

Der junge Mann hatte keine Ahnung, was Isherwood bisher geschrieben hatte. Glamourös lebte der Brite trotz Hollywood-Bekanntschaften nicht. „Er war sparsam“, sagt Bachardy, „und wohnte im Gartenhaus eines Freundes in Brentwood, zwischen Beverly Hills und Santa Monica.“ Wie wenig Isherwood materielle Güter bedeuteten, erfuhr Bachardy bald. Ein halbes Jahr nach ihrem Treffen am Strand zogen die beiden Männer zusammen, der britische Schriftsteller W. H. Auden kam zu Besuch, ein Weggefährte aus der Berliner Zeit, und fragte Isherwood, wie viel Geld er auf der Bank hätte. 800 Dollar, antwortete dieser – etwa 7000 Euro heute, nicht viel für einen Bestsellerautor. „Auden war entsetzt“, erinnert sich Don Bachardy. „Er sagte, wenn ich weniger als 10 000 Dollar auf meinem Konto habe, beginne ich wieder zu arbeiten.“

Christopher Isherwood hat seinen Partner nie versteckt. Selbst in den ersten Jahren nicht, als niemand sicher sein konnte, ob diese Beziehung von Dauer sein würde. Der Schauspieler Joseph Cotton nannte Don Bachardy auf einer Party einen „half-man“, einen halben Mann. Filmstar Henry Fonda drehte sich absichtlich weg, als Christopher Isherwood gerade sagen wollte: „Das ist Don Bachardy.“ Frauenschwarm Rock Hudson („Bettgeflüster“), der selbst homosexuell war, mied ihre Gesellschaft. „Er fürchtete wohl, enttarnt zu werden.“ Ob sie von den Affären des Filmstars mit anderen Männern wussten? „Aber natürlich.“

Das Geheimnis ihrer Beziehung

So hat Don Bachardy (r.) in den 80er Jahren seinen Partner gemalt.
So hat Don Bachardy (r.) in den 80er Jahren seinen Partner gemalt.

© CapFSD/face to face

Die Beziehung zwischen dem älteren Literaten und Bachardy, der in den 50er Jahren vier Jahre Kunst studierte, hielt, weil beide sich Freiheiten zubilligten. Die größte Liebe ihres Lebens war keine exklusive. „Ich hatte kaum sexuelle Erfahrung, als ich Chris traf“, erzählt Bachardy. „Nach ein paar Jahren sagte ich ihm, dass es nur fair wäre, dass ich Sex außerhalb unserer Beziehung haben dürfte. Er hatte schließlich so viele vor mir.“

In seinen Tagebücher bekennt der Schriftsteller freimütig, mit rund 400 Männern geschlafen zu haben – bevor er Don Bachardy traf. Dieser erinnert sich: „Als ich 1957 in den Sommerferien zwei Wochen frei hatte, fuhr ich allein nach New York. Ich übernachtete bei Freunden, traf Männer, es war wirklich aufregend. Aber ich war sehr glücklich, danach wieder nach Santa Monica und zu Chris zurückzukehren. Er war immer meine Nummer eins.“

Es gab Regeln. Nie Bekanntschaften mit nach Hause nehmen. Nie von Affären erzählen. „Wir wussten instinktiv, dass der andere eifersüchtig darauf wäre.“ Don Bachardy ist sich sicher, dass der respektvolle Umgang mit der Freizügigkeit der Schlüssel zu ihrem Glück war.

Und natürlich, dass der jüngere Mann selbst ein Schaffensfeld fand. Bachardy wurde ab den 1960er Jahren ein gefragter Porträtzeichner. Marlene Dietrich, Fred Astaire, die schwangere Angelina Jolie – sie alle saßen ihm Modell. Sein erstes Objekt: Christopher Isherwood. Der ermutigte seinen Freund, das Zeichnen zu intensivieren, nachdem er Skizzen gesehen hatte. Das erste wichtige Porträt: vom Komponisten Igor Strawinski. Nach einem Abendessen bei sich zu Hause ließ er sich abbilden. „Die ganze Zeit las Strawinski dabei, das würde ich heute nicht mehr dulden.“ Vier Porträts entstanden so Mitte der 50er Jahre, die Karriere des Künstlers begann.

Bachardys liebstes Motiv: der Schriftsteller Gore Vidal. Er gehörte zum Freundeskreis von Isherwood, lebte jahrzehntelang mit seinem Partner Howard Austen in Italien und saß über Jahre hinweg immer wieder Modell. „Als ich sein erstes Porträt 1959 malte, war er ein unheimlich gutaussehender Mann. Das letzte Mal arbeitete ich mit ihm 1996. Auf dem Bild sah er so unattraktiv aus, dass ich Angst hatte, es Gore zu zeigen.“ Der sah das Bild – und sagte kein Wort. „Er war eitel, aber auch Realist.“ Einen weiteren Termin räumte er Bachardy nicht ein – den eigenen Verfall wollte der 2012 verstorbene Vidal nicht dokumentiert wissen.

Wie der Körper langsam seine Kraft verliert, wie der Tod näher rückt, das hat Don Bachardy bereits in den 80er Jahren erfahren. Christopher Isherwood wurde mit über 80 Jahren bettlägrig. Sechs Monate lang pflegte Bachardy jenen Mann, von dem er sagte: „Ich bin seine Schöpfung.“ Jeden Tag zeichnete er ihn, bis zu 12 Bilder, am Ende stapelten sich 440 Skizzen. „Ich habe meine Trauer abgelenkt“, sagt Bachardy über diese schlimme Zeit. Christopher Isherwood starb am 4. Januar 1986.

Seitdem lebt Bachardy im Schatten des Schriftstellers. Er bewohnt nach wie vor das gemeinsame Haus, hat eine Stiftung ins Leben gerufen, die Tagebücher zur Veröffentlichung freigegeben und den Verkauf der Filmrechte von „Der Einzelgänger“ gebilligt. Die Romanverfilmung durch den Modemacher Tom Ford erhielt 2010 eine Oscar-Nominierung für Colin Firth, der die Hauptrolle spielte.

In Beziehungsfragen hat Don Bachardy seinen Lebenspartner kopiert. Eineinhalb Jahre nach Isherwoods Tod war er zehn Jahre mit einem 26 Jahre jüngeren Architekten zusammen. „Unendlich faszinierend. Ich redete dauernd mit mir, als würde ich zu Chris sagen: Ach, so hast du dich damals gefühlt!“ Zum Beispiel? Als der eine mehr Freiraum wollte und der andere sich an seine Sommer im New York der 50er Jahre erinnerte.

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