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Wie befreiend! Bei der Totenstellung wird der Rest der Welt für eine kleine Weile ausgeblendet.

© imago/Science Photo Library

Yogakolumne: … und jetzt alle: Savasana!

Der Rücken auf der Matte, Handinnenflächen nach oben: Wie Yoga dabei hilft, das Älterwerden zu akzeptieren.

Es ist kalt geworden, Nudelsuppenwetter. Als ich mir vergangenen Sonntag auf der Kantstraße eine dampfende, vietnamesische Pho holte, sah ich ihn wieder – zwischen Winkekatzen und Rettichrosen. Nach 33 Jahren. Michael, meine erste große Liebe.

„Til samen e himlin“, flüstere ich ihm wehmütig zu. Damals haben wir uns immer mit diesen Worten verabschiedet. Das ist Norwegisch und bedeutet frei übersetzt „Auf immer und ewig“.

Natürlich ist alles ganz anders gekommen.

Er erzählte mir an diesem Totensonntag, dass er nach einigem Hin und Her viele Jahre mit einem Zahnarzt aus der Pfalz verpartnert war, der vor vier Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist. Weil er nicht ganz allein sein wollte, hat er seitdem einen Hund.

Grau ist Michael über die Jahre geworden, aber ich verstehe noch gut, warum ich damals so in ihn vernarrt gewesen bin. Ich stellte die Tüte mit der Suppe ab und nahm im Nieselregen seine Hand.

„Und du so?“, fragte er, mit der ihm eigenen Lakonie. „Du alte Schachtel hast dich gut gehalten. Ist es wegen des Yoga?“

Früher oder später wird der Tod kommen

Später, zu Hause, rangelten die Kinder wie so oft lauthals um das Tablet. Ich sah ihnen zu, löffelte meine aufgewärmte Suppe aus und war unfähig, einzugreifen. Mehr denn je wurde mir meine Vergänglichkeit voll und ganz bewusst.

Vielleicht, dachte ich, sollte ich das beklemmende Gefühl gleich wieder beiseiteschieben und ein besonders hübsches Anti-Aging-Yoga-Programm konzipieren. Ein paar leichte, nette Übungen, die suggerieren, dass es mit Yoga möglich ist, dem Älterwerden zu entrinnen. Dann schob ich den Gedanken ans Wegschieben schnell beiseite. Denn früher oder später wird der Tod trotzdem kommen. Wenn nicht gleich der große, dann einer der vielen kleinen Tode, die jeder Mensch immer wieder sterben muss. Und wer davor nicht wegläuft, sondern sich den Höhen und Tiefen, die das Leben mit sich bringt, stellt, kann reifen und ganz werden.

Yoga als Wunderwaffe gegen das Älterwerden ist also nicht zielführend. Sehr wohl kann Yoga dagegen ein sinnvolles Werkzeug sein, um gesund zu bleiben und sich auch den Schattenseiten des Lebens zu stellen.

Nicht umsonst heißt Savasana auch „Totenstellung“. Man legt sich auf dem Rücken auf die Matte, Handinnenflächen nach oben, wird still, löst den Kiefer, gibt sich konsequent an den Boden ab – und lässt sein ganzes weltliches Leben für eine kleine Weile hinter sich.

Ich gönne mir den Blick durch eine rosarote Designerbrille

Wie befreiend! Nichts wird zwanghaft aufrechterhalten, stattdessen rückt das ewige Stirb-und-Werde ins Zentrum.

Mir hat es auf jeden Fall sehr gut getan, das Älterwerden zu akzeptieren. Das Bewusstsein um meine Endlichkeit dient mir täglich als Kompass.

Ja, ich bin auch ein bisschen verletzlicher geworden, doch ich habe über die Jahre an Kraft und Klarheit gewonnen. Früher war ich weitaus schmallippiger und habe das Leben in seinem ganzen Schein bierernst genommen. Heute bin ich dank Yoga endlich so frei, dass ich mir manchmal mit voller Absicht den Blick durch eine tolle rosarote Designerbrille gönne. Ich liebe es, wenn sich die Welt hin und wieder in rosa Licht taucht – so wie der Himmel über Berlin manchmal um diese Jahreszeit pastellfarben leuchtet.

Totensonntag ist vorüber.

Patricia Thielemann ist Chefin von spirityoga.de.

Patricia Thielemann

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