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Raus aus der Stadt. In der israelischen Arava-Wüste findet jedes Jahr das größte Yogafestival des Landes.

© Raphael Pincas

Yogakolumne: Katze-Kuh am Gazastreifen

Goethe zitieren in der Wüste? Was mache ich hier nur? Wie ich nach Israel reiste, um Yoga zu unterrichten und plötzlich in Panik geriet.

Da saß ich nun, bei bullernder Hitze und schwächelnder Klimaanlage in einem heruntergekommenen Pick-up in der israelischen Arava-Wüste und versuchte, eine Panikattacke in den Griff zu bekommen: Lavendelöl aufs Taschentuch geträufelt und Atemübung Sitali, bei der man die Zunge zu einem U aufrollt.

Was mache ich hier nur?, dachte ich. Schon im Vorfeld zu meiner Reise auf das größte Yogafestival im Nahen Osten hatten mich Freunde und Bekannte kritisiert. Wie naiv ich sei, 20 Kilometer vom Gazastreifen entfernt eine pinke Yogamatte ausrollen zu wollen. Ob ich wirklich glaubte, dass Katze-Kuh-Übungen angemessen seien, wo unweit palästinensische Kinder sterben.

Ich hatte die Einladung, an diesem Ort zu unterrichten, dennoch angenommen. Weil ich mir selbst ein Bild machen wollte, und um hinter all dem, was hier trennt, quält und verhärtet, das zu suchen, was uns Menschen verbindet: Sanftmut, Wertschätzung und Frieden – denn darum geht es beim Yoga.

Darf ich hier als Deutsche die Führung übernehmen?

Aber vielleicht hatte ich mich auch übernommen, zweifelte ich, während mir der Lavendel zu Kopfe stieg. Auch wenn ich gern eine mutige Friedenskämpferin wäre, so bin doch vor allem eine ziemlich ängstliche Mutti Anfang 50 aus dem wohlbehütenden Berlin-Zehlendorf.

Wie würden die hauptsächlich jüdischen Teilnehmer auf meine Art, Yoga zu unterrichten, reagieren? Ist es angemessen, Goethe zu zitieren und Bach zu spielen, wie ich es zu Hause tu? Und darf ich, als Deutsche, „Achtung“ rufen, um aus gewohnten Bewegungsmustern aufzuwecken? Oder anders: Könnte es zum Problem werden, dass eine große, blonde Deutsche hier die Führung übernimmt?

Es war stockdunkel, als ich in dem Kibbuz, in dem ich während des Festivals übernachten sollte, ankam. Mit meinem Rimowa-Rollkoffer und einer Tüte voll bis dahin geschmolzener Schweizer Schokolade für meine Gastgeber lief ich an heulenden Hyänen vorbei durch die Mondlandschaft auf eine gräuliche Baracke am Horizont zu. In meinem spartanischen Gästezimmer ohne Schloss an der Tür surrten die Mücken. Roni, eine andere Yogalehrerin, knipste fürsorglich ein blaues Licht neben dem Bett an. Es machte zzzz und eine Mücke nach der anderen verelendete. „We call this the insect Auschwitz“ sagte Roni trocken. Und legte nach: „Let’s celebrate life and drink wine.“

Die Botschaft des Yoga wird überall wohlwollend aufgenommen

Meine Gastgeber begrüßten mich wie eine alte Freundin. In den folgenden Tagen feierten wir immer wieder bis zum Morgengrauen. Die Israelis, mit denen ich Yoga teilen durfte, waren nicht nur herzlich und aufgeschlossen, sie haben sich vor allem ihren Spirit bewahrt. Wenn sie ihre Lieder singen und nah am Abgrund tanzen, tun sie das, weil sie wissen, dass morgen alles zu Ende sein kann.

Beeindruckende Kulisse. Die Teilnehmer meditierten und feierten bis zum Morgengrauen.
Beeindruckende Kulisse. Die Teilnehmer meditierten und feierten bis zum Morgengrauen.

© Raphael Pincas

Ich war gerührt zu sehen, dass Goethe und Bach willkommen waren. Dass sie diesen Gruß aus einem Deutschland vor der Nazizeit sogar wertschätzten. Ich konnte durch die riesengroße atemberaubende Gala führen, so, wie ich es wollte. Ich musste mich nicht verstellen. Die Botschaft des Yoga, merkte ich, wird überall wohlwollend aufgenommen.

Am Flughafen dann lief ich an einer Gruppe orthodoxer Juden vorbei, die Richtung Jerusalem beteten – was in diesem Fall ein riesiges Plakat für Sonnenbrillen war, darauf ein Model mit Silikonlippen. Es kam mir ähnlich absurd vor wie mein Besuch in der Wüste.

Wie wichtig es ist, dachte ich, solche Widersprüche auszuhalten.

Patricia Thielemann ist Chefin von Spirit Yoga.

Patricia Thielemann

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