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Mund zu! Im Yoga atmet man generell immer durch die Nase. So wird die Luft besser gefiltert.

© imago/Westend61

Yogakolumne: Endlich nicht mehr atmen wie ein Karpfen

Viele praktizieren Yoga so, wie sie leben, kurz und schnell. Ich sage in den Kursen: Atmet groß und ganz!

Immer und immer wieder fordere ich meine Schüler in der Yogasession auf: „Atmet!“ Würden sie andernfalls auf der Matte einen elenden Erstickungstod erleiden? Will ich sie damit einlullen? Nein, die bewusste Atemführung ist ein elementarer Bestandteil der yogischen Lehre. Wir gehen davon aus, dass wir über den Atem nicht nur Sauerstoff, sondern auch Energie aufnehmen, Pranayama genannt. Mit jeder Inspiration, also Einatmung, wird uns neue Lebensenergie geschenkt und mit jeder Expiration geben wir etwas her. Durch den Atem stehen wir im Dialog mit der Welt.

Denn unser Atem reagiert auf das, was um uns herum passiert: Wenn wir eine dunkle Kellertreppe hinabgehen, halten wir ihn an. Wenn neben uns etwas scheppert, stockt er. Wir seufzen, wenn wir Erleichterung erfahren. Unter Stress wird unsere Atmung flach und schnell, der Körper verkrampft sich.

Die yogische Lehre nimmt an, dass wir umgekehrt unsere Gemütsverfassung steuern können, wenn wir unseren Atem lenken. Eine neue Studie, an der die Universität Heidelberg beteiligt ist, belegt, dass sich durch ruhige, stetige Atmung beispielsweise unsere Gedächtnisleistung verbessert.

Bewegungen mit dem Luftholen synchronisieren

In meinen Stunden übe ich verschiedene Techniken: Meeresrauschen, auf Sanskrit „Ujjayi“. Dabei verengt man die Stimmritze hinten im Hals und zieht so den Luftstrom in die Länge, ähnlich wie wenn man den Daumen auf einen Gartenschlauch hält. Man atmet dann nicht wie ein Karpfen, sondern steuert die Luftzufuhr. Oder die Wechselatmung, bei der wir erst durch das eine Nasenloch ein-, dann durch das andere ausatmen. Generell atmen wir im Yoga immer durch die Nase, weil die Luft so besser gefiltert wird und der Mund nicht austrocknet.

Wir trainieren, unsere Bewegungen mit dem Luftholen zu synchronisieren. Wenn wir die Arme zu den Seiten hin öffnen, hebt sich das Brustbein, dabei atmen wir ein. Führen wir die Hände zurück vors Herz, atmen wir aus. Durch den bewusst gelenkten Atem während der Übungen bleiben wir auch mit dem Geist bei der Sache und hängen nicht irgendwelchen Gedanken hinterher. Wir kommen in der Geistesgewärtigkeit an, weil die Übung im Jetzt passiert.

Wie ein Kind vor Weihnachtsgeschenken

Insofern sind diese Techniken die Vorstufe zur Meditation. Unsere Aufmerksamkeit bleibt beim Atem. Wir bringen Körper und Geist in Einklang, erleben uns selbst wieder als Einheit. Und zwischen Ein und Aus bauen wir beim Yoga immer eine kurze Pause ein, ein Innehalten, das steht für den Handlungsspielraum, den wir uns erlauben sollten. Klar, nicht alle weltlichen Probleme lassen sich mit Atmen lösen. Aber ich bin überzeugt, dass eine richtige Atmung eine solide Grundhaltung sein kann, die Herausforderungen unserer Zeit anzugehen.

Oft erlebe ich, dass die Leute nach der Aufforderung „Atme mal tief“ die Brust aufpumpen, statt Bauch und Lunge voll Luft zu saugen, dass sie einatmend gierig die Welt verschlingen, um dann ausatmend wie ein Sack in sich zusammenzufallen. Wir sollten hingegen eher staunend einatmen, wie ein Kind vor seinen Weihnachtsgeschenken. Diese Idee lässt sich auf alles übertragen.

Viele praktizieren Yoga so, wie sie leben, kurz und schnell. Ihre Praxis wird dann oberflächlich und hohl, sie hecheln. Mit den Atemübungen bringe ich sie dazu, ihr Lebenstempo zu drosseln, wenigstens für den Moment. In den Kursen sage ich: So wie wir atmen, so leben wir auch. Also atmet groß und ganz!

Patricia Thielemann

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