zum Hauptinhalt
Das "Tischtuch" aus Wolken schiebt sich über den Tafelberg.

© Reuters

Wind in Südafrika: Was der Wind mit dem Alltag in Kapstadt macht

Der "Cape Doctor", wie sie den Wind liebevoll nennen, vertreibt den Smog aus der Stadt und die Läuse von den Reben. Im Alltag kann er ganz schön nerven.

Von Weitem sehen die Wolken so dicht aus, als könne man sie mit einem Schwung wegziehen. So kam das „Tischtuch“ zu seinem Namen. Es bedeckt den Tafelberg, das unvermeidliche Motiv jeder Postkarte, die irgendwann einmal aus Kapstadt verschickt wurde. Von der Stadt aus ist meist nur ein Teil der Wolkenwand zu erkennen. Um ihr ganzes Ausmaß zu begreifen, lohnt sich der mühsame Aufstieg auf den Devil’s Peak, den Nachbarberg.

Der Legende nach lebte hier einst – präziser werden Legenden selten – ein Pirat namens van Hunks. Eines Tages gesellte sich eine zwielichtige Gestalt zu ihm, die sich als der Teufel höchstpersönlich entpuppte. Und wie könnte es anders sein, wenn Teufel und Pirat zusammen abhängen: Sie veranstalteten einen Rauch-Wettbewerb. Weil beide einiges vertragen – niemand sonst käme nach einem solchen Aufstieg über Abschnitte wie „The Knife’s Edge“, des Messers Schneide, auf die Idee, eine zu rauchen – dampften sie den gesamten Tafelberg ein. Übrigens: Der Pirat gewann, aber das war am Ende nicht so wichtig.

Der wahre Schöpfer des Tischtuchs ist natürlich der Wind. Der „ Cape Doctor“, der Kapstadt in den Sommermonaten besucht. Der Passatwind kommt aus Südosten, schiebt sich um den Tafelberg herum und über ihn drüber – sind Wolken dabei, entsteht so das Tischtuch – dann fällt er hinunter in die City Bowl, die Innenstadt und zieht weiter auf den Atlantik.

Kitesurfer und Winzer lieben den Wind, andere sind genervt

Dabei bläst er Abgase raus aufs offene Meer. Ein Segen für die Luftqualität in der fast vier Millionen Einwohner umfassenden Metropole, deren Autos keinerlei Abgas- oder Tüv-Kontrollen unterliegen und in deren Townships vorwiegend mit Paraffin gekocht wird. In den weiter im Inland gelegenen Winelands, wo der Cape Doctor schon viel weniger Kraft hat, vertreibt er Schädlinge von den Reben, schwärmen Südafrikas Winzer.

Weil der „South-Easter“, wie er manchmal auch genannt wird, sehr konstant und nicht böig weht, veredelt er die Strände der Kaphalbinsel zu angesagten Hotspots für Kitesurfer. Sobald er bläst, zieht es Hunderte von ihnen aufs Wasser. Von oben hat der Küstenbereich jetzt mehr Farbtupfer als ein Gemälde von Monet, nur dass sich die Punkte bewegen. Ob das Monet gefallen würde?

Vom Strand aus kann man sich das Treiben nicht lange anschauen. Nach kürzester Zeit haben Wind und Sand in brutaler Einheit jede Stelle des Körpers gepeelt. Ein tolles Andenken, das man noch Wochen später aus den Dielen der Berliner Altbauwohnung kratzen kann.

Mühsam, aber lohnend. Ein Aufstieg auf den Devil's Peak gibt den Blick auf City Bowl, Küste und die benachbarten Berge frei.
Mühsam, aber lohnend. Ein Aufstieg auf den Devil's Peak gibt den Blick auf City Bowl, Küste und die benachbarten Berge frei.

© Christian Vooren

Zu sagen, „In Kapstadt wird es heute stürmisch“, ist etwa so präzise wie die Aussage „In Europa wird es demnächst regnen“. Jedes Viertel unterliegt seinen eigenen Naturgesetzen. So kann man sich jederzeit vor einem unerwünschten Kaparztbesuch drücken. Es kann sein, dass Badeurlauber im Stadtteil Clifton ungestört am Strand liegen, während es einem wenige Kilometer entfernt, am Kap der Guten Hoffnung, die Beine wegzieht.

Es kommt auch vor, dass in Woodstock, dem Hipsterviertel Kapstadts, die Sonne brennt, während es auf der anderen Seite des Tafelbergs regnet. Dafür säumen sattgrüne Palmen die zu breiten Zufahrten zu den zu großen Villen, die sich um den Botanischen Garten Kirstenbosch an die Hänge pressen. Die Wolken bleiben hier am Berg hängen, und der Regen lässt die Gärten in allen Farben erblühen.

Weht er gerade mal nicht, wird der Wind herbeigesehnt. Zum Beispiel, wenn man auf dem Gipfel des Devil’s Peak sitzt und nach Abkühlung lechzt. Weht er, kann der Cape Doctor ziemlich nerven. Dann drückt er sich durch jede Gasse, pfeift bis in die letzten Ritzen der Häuser, rüttelt an Fenstern und schlägt Türen zu. An extremen Tagen, zum Glück selten, kann das sogar gefährlich werden. Dann bringt er Glasscheiben zum Bersten und wirft ganze Doppeldeckerbusse um. In der Table Bay wurden schon Windgeschwindigkeiten bis zu 160 Kilometern pro Stunde gemessen.

Ziemlich schräg. Der Cape Doctor lässt die Bäume an der Seapoint Promenade reichlich schief wachsen. Dafür heizen die Autos nicht so sehr auf.
Ziemlich schräg. Der Cape Doctor lässt die Bäume an der Seapoint Promenade reichlich schief wachsen. Dafür heizen die Autos nicht so sehr auf.

© Christian Vooren

Für viele Kapstädter ist der Wind eine Art notwendiges Übel

Jedes Jahr sterben auf dem Tafelberg Menschen – Touristen wie Einheimische – weil sie die Witterung auf dem Berg unterschätzen. Wenn der South-Easter die Wolken auf das Plateau drückt, bleiben nur ein paar Meter Sichtweite. Abstieg unmöglich. Wer leichtfertig in Shorts und Shirt hochgekraxelt ist, läuft Gefahr, da oben zu erfrieren.

Die Wetterumschwünge machen den Wind so heimtückisch. Bringt der South-Easter Regen mit, wird er zum Black-South-Easter. Im Januar 1981 kam es zu einer der größten Naturkatastrophen Südafrikas, der Flut von Lainsburg. 104 Menschen starben, als der Sturm den Buffels River in nur wenigen Stunden über die Ufer treten ließ und mehr als 200 Häuser zerstörte.

Wäre er wirklich unbeliebt, hätten die Kapstädter ihm wohl kaum den liebevollen Spitznamen gegeben. Für viele von ihnen ist der Capedoktor eine Art notwendiges Übel, dessen heilsamen Wert sie zu schätzen wissen. Wie einen Arztbesuch eben.

Zur Startseite