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Loro Blonyo heißen die Figuren in der Landessprache. Große Exemplare können mehr als 400 Euro kosten, kleine gibt es schon für weniger als 20. Ihre Geschichte reicht zurück bis ins 16. Jahrhundert.

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Urlaub in Indonesien: Javas Puppenstube

Kunstvoll gekleidet, aufwendig bemalt. Keiner entrinnt den Hochzeitsfiguren in Indonesien. Was steckt hinter den Deko-Lieblingen der jungen Mittelschicht?

Sie sind überall. Die beiden Figuren begrüßen majestätisch elegant Gäste am Eingang des Manohara-Ressorts, von wo aus morgens noch in der Dunkelheit Touren zum buddhistischen Borobudur-Tempel starten. Sie hüten das Buffet des Rama Shinta Garden Restaurants neben dem imposanten Prambanan, einer der größten hinduistischen Tempelanlagen Südostasiens. Aber sie erwarten auch die Gäste im kleinen Ausflugslokal mit Selbstbedienung. Was hat es mit diesem Paar auf sich, das Besucher der indonesischen Insel Java auf Schritt und Tritt begleitet?

Die erste Begegnung mit den beiden fand auf der Nachbarinsel Bali statt. Beim Stöbern in einem etwas heruntergewirtschafteten Laden in einer engen Straße hockten zwischen allerlei Trödel zwei hölzerne Figuren im Regal. Rund 20 Zentimeter hoch, etwas angestaubt, schwarz-rot-goldene Roben, weißes Gesicht mit spitzer Nase und roten Lippen.

Ein paar Regalmeter weiter ein ähnliches, aber sehr viel aufwendigeres und größeres Paar, um die Ecke noch eins. Diesmal mit gütiger Miene. „Das hier gibt es sogar mit Zertifikat, es ist antik“, sagte der Besitzer. Alarm, meldete das Touristenhirn. Antik, das kann ja jeder sagen. „Das sind Hochzeitsfiguren“, fügte der Händler hinzu. Hochzeitsfiguren? Ein indonesischer Freund klärte später auf: „Es gibt bei uns die Sitte, Hochzeitspaaren solch ein Figurenpaar als Symbol fürs gemeinsame Glück zur Trauung zu schenken.“

"Hochzeitsfiguren? Nie gehört"

Und warum sitzen sie nun im heute vorwiegend muslimisch geprägten Yogyakarta auf jedem Buffettisch? Essen als das ultimative gemeinsame Glück? Viele zucken bei der Frage mit den Schultern. „Hochzeitsfiguren? Nie gehört.“ Jeder, der ein neues Appartement einrichtet und etwas auf sich hält, erstehe ein solches Paar. Am besten lebensgroß. Alles Lüge mit der Hochzeitsgeschichte? Sind die beiden einfach nur die Deko-Lieblinge der jungen Mittelschicht?

Da, wo die an einen Nationalhelden erinnernde mehrspurige Jalan Letjen S. Parman den Fluss überquert, sitzt vor dem Haus Nummer 37 eine beige-gelbe Figur aus Holz auf einem Mauervorsprung. Unter dem Vordach steht barfuß ein Mann im Eingang und zeichnet konzentriert mit schwarzer Farbe die linke Augenbraue ins Gesicht. Mit kritischem Blick wacht Mbah Surojo von einem zerschlissenen Sessel aus über die Arbeit vor der Tür seines gleichnamigen Ladens, der etwa die Größe einer Doppelgarage hat.

Von der Decke baumeln bunte Masken. Darunter: eine Armada hölzerner Paare. Kleine, mittlere, große. Helle und dunklere. Kniende, mit übereinandergeschlagenen Beinen, stehende. Vielleicht gibt es hier eine Antwort.

Der 78-jährige Mbah Surojo hat seinen gegen Diebe mit einer Metallkette gesicherten Lehnstuhl verlassen, sitzt inzwischen mit zahnlosem Lächeln im Innern auf einem Sofa, das sehr viel besser in Schuss ist als sein Gebiss. Er umarmt seine „liebe Frau“ und weist seinen 48-jährigen Sohn Sarapi, der gerade draußen mit einem feinen Pinsel Hand die roten Lippen aufmalt, an, ihm die Frauenfigur dazu auf den Arbeitstisch zu hieven, der das Zentrum der Werkstatt bildet. Mbah Surojo ist ein fröhlicher Mann mit weißem Haupthaar, Schnäuzer und Stoppelkinn. Nach der vierten Klasse hat er die Schule verlassen, vier Kinder, sieben Enkel und sogar einen Urenkel bekommen, erzählt er, bevor er von seinen Figuren berichtet.

Einen Reisetag muss man einplanen, um nach Indonesien zu gelangen.
Einen Reisetag muss man einplanen, um nach Indonesien zu gelangen.

© picture alliance / dpa-tmn

Sie sind sein Leben. „Praktisch alle, die heute diese Pärchen herstellen, haben bei mir gelernt“, sagt er und macht eine ausladende Handbewegung durch den Raum. Dann klettert er zwischen Pinselgläsern und Farbdöschen auf den Tisch, schickt seine Frau nach Werkzeug und malt aus freier Hand eine Bordüre als Abschluss des Gewands auf den Rücken der Frauenfigur. Als seine Frau Bohrer für die Maschine bringt, lacht er: „Man muss nicht alles von Hand machen.“ Er bohrt stehend ein Loch in den Kopf der Figur und steckt ihr eine bunte Holzblume an einem Draht aufs Haupt. Ein paar kurze Schläge mit einem kleinen Hammer und der Meister betrachtet sein Werk zufrieden.

Dann wird er pathetisch: „Ich habe eine Verantwortung für die javanische Kultur.“ Die speist sich aus vielen verschiedenen Traditionen der Landesgeschichte. „Heute sind meine lebensgroßen Figuren oft lediglich Statussymbol für reiche Leute, die sie nur als angesagte Dekoration für ihr neues Zuhause haben wollen“, erzählt Mbah Surojo. Anderthalb Monate sitzt er an einem solchen Paar, bemalt mit buntem Batikdress und üppig dekoriert. Umgerechnet 450 Euro sind auf Java ein ziemlich stolzer Preis. Aber auch die kleineren brauchen ihre Zeit. Knapp drei Wochen rechnet Mbah Surojo für die 50 Zentimeter großen Exemplare.

Ihre Geschichte reicht zurück bis ins 16. Jahrhundert

Im Moment warten viele kleinere in der Werkstatt in nicht mehr ganz neuen Glasregalen auf Käufer. Die kleinsten gibt es für umgerechnet 16 Euro. Und weil es die Leute gern mögen, bemalt er männliche Figuren mit verschiedenfarbig verzierten Hüten. Rot ist der König, blau der Kronprinz, schwarz der Premier. „Manchmal schaut drei, vier Monate niemand vorbei und kauft etwas. Aber es kommen auch Sammler“, sagt er. Denn, so lautet seine Geschichte, die Tradition der Figuren gehe zurück bis ins 16. Jahrhundert. Damals habe sich der Begründer des Reiches Mataram, Prinz Senopati, mit der Königin der Südküste zusammengetan und so auch eine Verbindung der Königreiche auf Java geschaffen. „Harmonie findet man nur als Ehepaar“, glaubt Mbah Surojo und umarmt abermals seine Frau. Darum gebe es diese Figuren als Einheit von Braut und Bräutigam.

Traditionell heißen sie in Indonesien „Loro Blonyo“ („das untrennbare Paar“). In einem traditionellen javanischen Haus gehören sie in das „Sentong Tengah“, erzählt Mbah Surojo. In diesem Verbindungszimmer zwischen den verschiedenen Bereichen des Hauses stehe ein Bett. Darin schlafen aber nicht die Eigentümer, sondern es ist als Ruhestätte für Dewi Sri, Hüterin der Reisfelder und Göttin von Fruchtbarkeit und Wohlstand reserviert. Sri gilt auch als weibliche Form der indischen Gottheit Vishnu. Vor diesem zeremoniellen Bett wird das Paar (meist aus Holz oder Keramik) platziert. Während ihrer Hochzeit nehmen Braut und Bräutigam den Platz des Paares ein – oft ähnlich kunstvoll gekleidet und mit gelber Paste geschminkt wie das „Loro Blonyo“. So soll ihnen der göttliche Segen hold sein und Glück, Wohlstand und Kinder bescheren. Damit passen die Figuren perfekt in die „Stadt des Gedeihens“, als die Yogya (die alltägliche Kurzform für Yogyakarta) von Stadtführern gern beschrieben wird. Die Stadt, die heute noch ein Sultanat ist.

Ohne Arbeit bekommt er Kopfweh

„Für diese Kultur habe ich eine Verantwortung“, betont Mbah Surojo jetzt majestätisch. Es will so gar nicht zu der einfachen Umgebung seines Werkstattladens passen. Aber es ist ihm anzumerken: Ihm ist es damit sehr ernst. Kann er mit seinen 78 Jahren nicht aufhören und die Arbeit dem Sohn überlassen? Mbah Surojo guckt entsetzt. „Wenn ich nicht an meinen Figuren werkele, bekomme ich Kopfweh“, sagt er und kichert. „Sobald ich an einer arbeite, gehen die Kopfschmerzen weg.“ Dann nimmt er wieder seine Bohrmaschine zur Hand, beginnt ein Lied zu singen und drückt den Bohrer langsam in den Kopf der Dame.

Reisetipps für Yogyakarta

Loro Blonyo heißen die Figuren in der Landessprache. Große Exemplare können mehr als 400 Euro kosten, kleine gibt es schon für weniger als 20. Ihre Geschichte reicht zurück bis ins 16. Jahrhundert.
Loro Blonyo heißen die Figuren in der Landessprache. Große Exemplare können mehr als 400 Euro kosten, kleine gibt es schon für weniger als 20. Ihre Geschichte reicht zurück bis ins 16. Jahrhundert.

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HINKOMMEN

Von Berlin aus fliegt unter anderem KLM nach Jakarta (rund 700 Euro für Hin- und Rückflug). Mindestens einen Umstieg und einen Reisetag muss man jedoch einplanen. Von der Hauptstadt sind es noch mal gute 540 Kilometer bis nach Yogyakarta.

UNTERKOMMEN
Wer nicht dort schläft, sollte unbedingt mal reingehen: „The Phoenix Hotel“. Ursprünglich gebaut für einen chinesischen Gewürzhändler, war der aufwendig renovierte Kolonialbau lange Residenz von Präsident Suharto.

RUMKOMMEN
Für den Kopi Joss (Holzkohlen-Kaffee) auf dem Nachtmarkt in der Jalan Wongsodirjan werden an vielen Ständen Kaffeepulver, Zucker sowie heißes Wasser aus einem Metallkessel in ein Glas gegeben und mit einem glühenden Stück Holzkohle veredelt. Es zischt und brodelt, vor dem Trinken angelt man die Kohle aus dem Glas und wirft sie auf den Boden. Wer rasch trinken will, bekommt einen Unterteller, von dem er das

Getränk schlürfen kann. Soll auch gegen Magenbeschwerden helfen. Mehr Infos unter tourismus-indonesien.com

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