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Spucken ist vielerorts verboten, nicht nur auf dem Fußballplatz. Aber das interessiert etliche Leute genauso wenig wie Frank Rijkaard damals im Jahr 1990.

© picture alliance / dpa

Spuckende Mitmenschen: Da bleibt einem die Spucke weg

Auf den Boden zu rotzen, ist ekelhaft, findet unsere Kolumnistin. Als sie wieder einem Mitbürger dabei zusehen muss, schreitet sie ein.

Von Maris Hubschmid

Achtung, es wird eklig. Sie können aufhören zu lesen. Ich aber muss es erleben – auf offener Straße, am helllichten Tag, überall. Mir wird schon beim Anblick schlecht, wenn das Geräusch dazukommt, würge ich. Manchmal kann ich noch Stunden danach nichts essen. Ich fühle mich angegriffen und beschmutzt. Es sind wildfremde Menschen, die mir das antun: ausschließlich Männer. Sie spucken, vor meinen Augen, Ohren und Füßen, und vor denen zahlreicher anderer Frauen und Kinder.

Was bitte ist ein Hundehaufen, über den man sich allerorten empört, die in der Regel gut umkurvbare Notdurft des Deutschen liebsten Haustiers, gegen den jähen, schleimigen Auswurf eines fremden Mannes? Da konfrontiert mich einer gegen meinen Willen mit Körperflüssigkeit, unvermittelt, gewaltsam, respektlos.

In der Kölner Stadtordnung ist die Tat als Verunreinigung öffentlicher Fläche erkannt und kann mit einem Bußgeld von 50 Euro belegt werden (Berlin wäre über Nacht reich!). In Mumbai ahndet man die Handlung als gesundheitsgefährdend, weil zum Beispiel Tuberkulose durch Tröpfcheninfektion verbreitet wird. In New York City versucht man es mit Humor: „Keine kostenlosen Vaterschaftstests hier“, klären Sprechblasen auf, die neben die Speichelflecken geklebt werden.

In Berlin tut keiner was

In Berlin tut keiner was. Einer muss doch aber diesen Idioten die Stirn bieten. Nur im übertragenen Sinn natürlich, igitt. Wie oft schon habe ich Luft geholt und bin stumm geblieben. Aus Angst. Wer in der Gegenwart von Frauen ungeniert speit, dem ist alles zuzutrauen. Eine Mutprobe darum: jeden anzusprechen, den ich dabei erwische.

Der da, groß, plump, Typ Möchtegern-Türsteher, ausgerechnet der soll also der Erste sein. „Entschuldigung (wieso entschuldige ICH mich?), ist Ihnen klar, wie eklig das ist?“ Mein Herz wummert. Er geht weiter. „Stöpsel im Ohr“, sagt eine ältere Dame neben mir.

Es entspinnt sich ein Gespräch über die Verrohung der Sitten, in das sich ein Herr im gebügelten Karohemd einschaltet. Ob wir wüssten, woher das Ganze überhaupt komme? Die mutigsten Krieger hatten noch kurz vor der Schlacht genug Spucke, um sie auszuspucken, im Gegensatz zu den Angsthasen, die vor Nervosität einen trockenen Mund bekamen.

Mir blieb die Spucke weg

Der junge Mann an der Bushaltestelle sieht so gar nicht nach Krieger aus. Ein schmales Bürschchen, vielleicht 19, blass, Trainingshose. „Das ist widerlich, so was macht man nicht, hat dir keiner Manieren beigebracht?“, frage ich. „Willst du’n Stück Brot dazu?“, antwortet er seelenruhig. Mir bleibt die Spucke weg.

Ein grimmig aussehender Südländer fortgeschrittenen Alters zeigt mir stumm den Mittelfinger. Ein dicker Deutscher um die 40 sagt: „Kümmern Sie sich lieber um die Flüchtlinge!“, Zusammenhang unklar. Und wieder ist es ein höchstens 18-Jähriger, der besonders unverschämt reagiert: „Gerade kein Taschentuch dabei, Mutti, aber wenn du mir deinen Schal gibst, wisch ich’s weg.“

Das nächste Mal lasse ich mich aber nicht so abfertigen, ja, da ist wieder so ein bleiches, schlaksiges Jünglein, spuckt mitten auf den Bürgersteig.

Ich blaffe ihn an. Gequält blickt er hoch. Nuschelt was von Entschuldigung und Kieferorthopäden und Abdruck mit bröseliger, bitterer Paste. Tatsächlich hängt da eine Spangendose um seinen Hals. Er hat Tränen in den Augen.

Ob er von meinem Handy vielleicht kurz seine Mutter anrufen könne, dass sie ihn abholt? Sein Akku sei leer. Darf er natürlich. Der Arme. Ging mir auch immer so.

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