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Martin Suter, 69, mochte schon als kleiner Junge Krawatten, damals noch mit Gummizug.

© imago/Sven Simon

Schriftsteller Martin Suter: "Ich kann aus einem Shirt eine Shorts machen"

Martin Suter hat Prinzipien: Er trägt keine Jeans, schreibt nur im Anzug und verachtet Manager am Casual Friday. Warum der Zwinglianer in ihm unter der vulgären Weltpolitik leidet.

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Herr Suter, für Ihren neuen Roman „Elefant“ haben Sie in der Zürcher Obdachlosenszene recherchiert. So wie heute – im maßgeschneiderten Anzug?

Die Obdachlosen sind ziemlich tolerant. Trotzdem hat mich einer meiner Führer durch die Szene, bevor wir zu einem dieser Treffpunkte gingen, gewarnt: Kommst mir nicht in der Schale!

Haben Sie sich daran gehalten?

Ich habe die Krawatte weggelassen.

Fiel einem Snob wie Ihnen das schwer?

Ich mochte schon als kleiner Junge gern Krawatten, damals die mit einem Gummizug. Ein Mann sieht damit einfach gut angezogen aus. Ich habe es immer eine besonders spießige Form der Unkonventionalität gefunden, keine Krawatte zu tragen. So wie die Manager am Casual Friday. Lächerlich.

Der „Tagesanzeiger“ nannte Sie einst „fetischistisch“, weil Sie in Ihren Büchern sehr genau schildern, was die Figuren tragen. Vom „Kaschmirsakko mit Hahnentrittmuster“ bis zur „unförmigen braunen Lammfelljacke“.

Joseph Roth hat in „Radetzkymarsch“ die k. u. k. Uniform bis ins Kleinste beschrieben. Das ist nicht vermessen, den zu erwähnen, ich habe mal den Joseph-Roth-Preis gewonnen! Jetzt kommt der gefährlichere Vergleich: In den „Buddenbrooks“ erfahren Sie noch viel detaillierter als bei mir, zu welchem Friseur die Leute gegangen sind, wie sie sich rasieren ließen, was sie verdient haben oder wie viel Geld sie womit verloren haben.

Thomas Mann hatte mehr Platz in seinen Büchern.

Sie meinen, das Verhältnis von Kleiderbeschreibung und Handlung ist bei mir gekippt? Mich hat nicht nur immer interessiert, wie jemand gekleidet ist, sondern auch wie ein Zimmer eingerichtet ist, wie eine Landschaft aussieht. Dafür gebe ich Figuren selten Gesichtszüge. Wenn ich mir dann die Verfilmungen meiner Bücher anschaue, sehen die meist anders aus, als ich sie mir vorgestellt habe. Gérard Depardieu in „Small World“ hätte ich nie besetzt. Ich hatte an Dustin Hoffmann gedacht. Als ich ihn als Konrad Lang sah, habe ich ihn geliebt.

Wo haben Sie Ihren Blick für Äußerlichkeiten geschult?

Wir hatten in den frühen 50er Jahren eine Störschneiderin, die zu uns kam und Kleider nähte. Für Sonntage besaß ich kleine Anzüge, im Winter mit Knickerbocker, im Sommer mit kurzen Hosen aus Tweed. Mit 19 habe ich mir meinen ersten Maßkonfektionsanzug in Basel machen lassen, tatsächlich mit Hahnentrittmuster. Zwei Knöpfe, die Reverse waren abgesteppt. 300 Franken waren damals viel Geld für mich.

In dieser Zeit hätten sich andere eine Jeans gekauft.

Das habe ich schon auch gemacht. Jeans unten hochrollen, umgeschlagen, bloß nicht kürzen, damit in die Badewanne gehen, am Leib trocknen lassen. Furchtbar. Man fühlt sich wie ein noch nicht trockenes Kleinkind.

Kritiker nennen Suter "Romanfabrik", weil er so eifrig Bücher veröffentlicht.
Kritiker nennen Suter "Romanfabrik", weil er so eifrig Bücher veröffentlicht.

© Franco P Tettamanti

Man kann Sie sich schwer als Hippie vorstellen.

Ich trage auch keine Jeans mehr. Irgendwann entspricht das nicht mehr dem Alter. Es sei denn, man ist ein Cowboy. Kürzlich habe ich meine letzten entsorgt. Wenn ich zu Hause in meinem Büro schreibe, ziehe ich mich auch ordentlich an, frisch gebügeltes Hemd, Anzug. Mir würde es nie einfallen, mich im Joggingdress dort hinzusetzen.

Auf Transatlantikflügen tragen jetzt alle Leggings.

Je nachdem, in welcher Klasse man fliegt, bekommt man heute ganze Jogginganzüge gestellt. Wenn Sie eine lange Reise vor sich haben, ist es bequemer, sich nicht im Anzug hinlegen zu müssen. Da mache ich schon mal diesen Sprung. Das sind ja angemessene Markenprodukte, die man da erhält.

Besitzen Sie überhaupt einen Jogginganzug?

Ja, darin treibe ich Sport am Morgen. Gymnastik, bisschen Rudern an der Maschine, was ältere Herren eben so tun.

"Wir haben eine unglaublich vulgäre Volkspartei"

Martin Suter, 69, mochte schon als kleiner Junge Krawatten, damals noch mit Gummizug.
Martin Suter, 69, mochte schon als kleiner Junge Krawatten, damals noch mit Gummizug.

© imago/Sven Simon

Sie sind inzwischen 69, sind Sie altersmilde ?

Mit dem Erfolg werde ich zumindest bescheidener. Früher habe ich manchmal arrogante Sachen gesagt. Als man mich genervt hat mit Fragen wie: Haben Sie Schreibblockaden? Da habe ich geantwortet: Ein Schreiner kann sich auch keine Hobelblockade leisten. Das würde ich heute nicht mehr sagen. Inzwischen weiß ich ja, dass es einem durchaus passieren kann.

Ihnen eher nicht. Kritiker nennen Sie „Romanfabrik“, weil Sie zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk Bücher veröffentlichen. Alle zwei Jahre etwa. Wo kommt der Eifer her?

Es ist mein Beruf. Und das Alter. Ich möchte gern noch ein paar Bücher schreiben. Mit 24 kann man leicht Pause machen, aber bei mir werden die Räume enger, wie man im Fußball sagt. Vielleicht ist es aber auch der Zwinglianer in mir.

Huldrych Zwingli, der Zürcher Reformator?

Bei uns Protestanten darf es nicht zu übermütig werden. Da spielt die Angst vor dem Neid der Götter hinein. Deshalb hängen wir unsere Erfolge nicht an die große Glocke. Das geht vielen Westeuropäern so. Darum verachten wir auch diesen Trump aus noch tieferem Herzen als andere Nationen.

In Italien schätzt man das Prahlen durchaus.

Dort gibt es viele feinsinnige Leute – und Berlusconi. Er war einer der Pioniere in der Übernahme der Politik durch die Vulgarität.

Sie sehen darin einen weltweiten Trend?

Ja, auch bei uns in der Schweiz. Wir haben eine unglaublich vulgäre Volkspartei, inzwischen stärkste Kraft. Deren Wahlwerbung ist unterste Schublade. Vor Kurzem ging es in einer Abstimmung darum, ob man Kindern der dritten Generation von Einwanderern die Einbürgerung erleichtern sollte. Eine absolute Selbstverständlichkeit. Die SVP hat eine flächendeckende Kampagne dagegen gemacht, auf den Plakaten sah man nur die Augenschlitze einer Frau in der Burka. Das war reine Stimmungsmache mit der Angst vor dem Unbekannten. Die Partei ist aber in hohem Bogen abgeschifft. 60 Prozent haben gesagt, ja, die sollen leichter eingebürgert werden. Das gibt mir Hoffnung.

Für die SVP sitzt Roger Köppel im Bundeshaus, der Chefredakteur der „Weltwoche“. Da haben Sie früher Ihre erfolgreiche Kolumne „Business Class“ geschrieben. Heute bezeichnet man Sie dort als „profitmaximierend“ und „von Erfolg getrieben“. Verstehen Sie die Kehrtwende?

Ich lese die „Weltwoche“ seit Jahren nicht mehr. Ich kenne auch niemanden, der das tut, seit sie rechtspopulistisch und ein Parteiblatt wurde. Oh, jetzt habe ich Ihre Frage vergessen vor lauter Schock, dass Sie die „Weltwoche“ lesen.

Wie Sie sich die Kritik erklären.

Ich stelle mir vor, dass sie ein bisschen nachtragend ist, weil ich gekündigt und alle Anfragen für Porträts abgelehnt habe.

Wir hatten Sie bislang gar nicht als politischen Autor wahrgenommen.

Ich bin auch nur ein politischer Mensch.

Sie haben sich zumindest oft für die Abschaffung des Wehrdienstes ausgesprochen.

Ich war 1968 in der Rekrutenschule. Man sagt ja immer, das habe noch keinem geschadet. Ich bin der Meinung, das hat noch jedem geschadet. Vorher wissen die meisten jungen Männer nicht, wie die Mechanismen von Machtausübung und Unterdrückung funktionieren. Da lernen sie es dann. Wer sich nicht unterwirft, bekommt Urlaubssperre, darf die Freundin am Wochenende nicht sehen. Schon allein die Drohung, dass wir nicht mehr ins nächste Dorf dürften, wo wir uns mit dem billigsten Bier, das wir fanden, betranken, genügte, um uns gefügig zu machen. Deshalb wird man ja so früh dahin geschickt, mit 19, weil man da noch formbar ist.

Danach, in Ihrer Jeans-Zeit, haben Sie eine Weltreise unternommen und mit dem Schreiben angefangen. Was haben Sie gesucht?

Abenteuer. Allerdings nicht ganz so happige, wie ich sie dann erlebt habe. Ich hatte damals keine Existenzängste. Ich hätte nie, wie die jungen Leute heute, gedacht: Wenn ich jetzt den Job aufgebe, finde ich keinen mehr. Das waren die Zeiten der Vollbeschäftigung. Meine erste Frau und ich hatten mit knapp 20 geheiratet. Wir stellten uns vor, wir steigen in Basel in den Landrover, fahren durch die Sahara, den kongolesischen Dschungel, die Serengeti, ganz auf uns selbst angewiesen, jeden Abend Service machen, den Ölfilter reinigen.

Klingt romantisch.

Bis wir schon in Kalabrien überfallen wurden. Wir hatten gerade in einem Olivenhain campiert, ich hatte den ganzen Tag an einem Stück Olivenholz geschnitzt und davon eine Sehnenscheidenentzündung. Mit Mühe und Not habe ich mich einhändig ausgezogen, da kam ein junger Bandit mit bloßem Oberkörper, Dreieckstuch im Gesicht, Knarre und rief: Hände hoch! Sie glauben nicht, wie schnell man barfuß rennen kann, wenn es ums Leben geht.

Er hat Sie nackt erwischt.

Man kann aus einem T-Shirt zur Not eine Shorts machen. Das weiß ich jetzt. Mit Autostopp und Verstärkung kamen wir zum Wagen zurück, zum Glück war die Petrolfunzel ausgegangen und der Junge ohne unsere Wertsachen geflohen.

"Es ist einfacher, wenn man nicht drei Haushalte hat"

Martin Suter, 69, mochte schon als kleiner Junge Krawatten, damals noch mit Gummizug.
Martin Suter, 69, mochte schon als kleiner Junge Krawatten, damals noch mit Gummizug.

© imago/Sven Simon

Ihre Lektion daraus: Jetzt erst recht weiterfahren.

Er hat uns die Reise ziemlich verdorben, meine Frau hatte seitdem einen Tinnitus. Unsere Unbesorgtheit war weg. Wir campierten nur noch bei Polizeistationen oder Entwicklungshelfern.

Der Kongo war 1973 wohl kaum sicherer als Italien.

Es war schon ein bisschen brenzlig. Der Bürgerkrieg war zwar vorbei, doch Benzin konnte man nur auf dem Schwarzmarkt kaufen. Schmale Wege führten durch den Dschungel. Wenn da ein Lastwagen stecken blieb, hingen wir drei, vier Tage fest. Und überall waren Beamte oder Polizisten, die bestochen werden wollten. Da war ich ganz Schweizer: Gibt nichts! Als wir nach ein paar Monaten Nairobi erreichten, dachte ich: Jetzt müsste ich die gleiche Reise nochmals machen. Ohne Angst.

Sind Ihre Eltern in Zürich vor Sorge durchgedreht?

In Tunesien habe ich beim Tauchen Miesmuscheln entdeckt und geerntet, tagelang haben wir die gegessen. Wir lasen keine Zeitung und wussten nicht, dass dort eine Cholera-Epidemie wütete und man die Einheimischen davor gewarnt hatte, Muscheln zu essen. So schrieben wir meinen Eltern heim: Wunderbar, jeden Tag Miesmuscheln. Und die konnten uns nicht zurückschreiben.

Nach Afrika kamen Indien, Sri Lanka, Teheran.

Das Heilsarmee-Hotel in Bombay war die erste Station der Hippies. Auf der Straße davor starben die Menschen einfach so weg. Jeden Morgen konnte man Laster beobachten, die Toten wurden reihenweise reingekippt. Die Hippies hingen da rum und sagten: „Man, feel the vibes! Isn’t that great?“

Sie müssen sich auf Ihre Rückkehr gefreut haben.

Ja! Mein Bruder holte uns am Flughafen Kloten in Zürich ab. Mit einem Cervelat, also einer Wurst, und zwei Flaschen Hürlimann-Bier. So hatte ich das schriftlich von ihm bestellt.

Ein Weltenbummler sind Sie geblieben, haben als Reporter ferne Länder bereist, die letzten Jahre abwechselnd in Ibiza, Guatemala und der Schweiz gelebt. Sie sagten: „Ein typischer Schweizer ist einer, der ins Ausland geht.“ Warum sind Sie nun doch zurückgekehrt?

Wir hatten in Zürich immer ein Pied-à-terre, eine Zweitwohnung, einen Fuß in der Tür. Jetzt brauchte unsere zehnjährige Tochter Ana ein bisschen Stabilität. Guatemala kam nicht als Schulort infrage. Früher habe ich alle ausgelacht, die fragten: Fehlt euch das nicht, Theater, Kino, Ausstellungen? Dann ertappte ich mich dabei, zu denken: Diese Einladung hätte ich nicht abgesagt. Und es ist ein bisschen einfacher, wenn man nicht drei Haushalte hat. Meine Frau muss jetzt nicht mehr Buch darüber führen, was von unseren Sachen gerade in welchem Haus ist.

Sie sagen, Sie seien ein schlechter Kofferpacker.

Geben Sie meiner Frau und mir die gleiche Menge Kleider, sie wird’s in den Koffer reinbringen. Ich nicht.

Was die Rekrutenschule zu lehren vergaß?

Ich konnte mit einer gewissen Anzahl bestimmter militärischer Utensilien eine Vollpackung machen, in einem Rucksack. Nur: Mit einem solchen Rucksack bin ich seither nie wieder verreist.

Ihre Frau ist auch Ihre Erstleserin. Wie schlagen Sie die angespannte Zeit tot, während sie mit der Lektüre Ihres neuen Werks beschäftigt ist?

Es gibt zum Glück immer ein wenig was aufzuräumen. Ich kümmere mich um unsere Tochter, tigere in der Wohnung umher. Dabei versuche ich im Gesicht meiner Frau abzulesen, wo es hingeht. Sie lässt sich zu keinem Kommentar verführen.

Sie könnten Ihre Tochter zur Leserin erziehen.

Sie hat bislang nur eines meiner Bücher angefangen, „Lila lila“, eine Liebesgeschichte, aber sie hat nicht gern böse Menschen und traurige Enden. Sie ist wohl noch etwas zu jung dafür. Das Buch ist sonst beliebt bei Teenies, spektakulär, wie viele da zu den Lesungen kamen.

Martin Suter, gefeiert wie ein Boygroup-Mitglied.

Bei „Montecristo“, dem letzten Buch, war das ähnlich. Zur Premiere im Schauspielhaus kamen Teenies, darunter eine Gruppe von vier Mädchen, Chicks von 16 Jahren. Die hatten alle so kesse Nuttennamen aus den 30er Jahren, Lulu, Chichi, Mimi. Ich kam mir vor wie der Johannes Heesters.

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