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Ausgekuppelt. In den USA werden 90 Prozent Automatikgetriebe verkauft.

© imago/Westend61

Schaltung vs. Automatik: Verkuppeln oder lieber nahtlos beschleunigen?

Wir sind Menschen der Tat, nicht der Lethargie, ruft ein Handschalter. Sein Kollege spottet, er ergötze sich am Schluckauf des Kuppelns.

Marius Buhl verkuppelt noch

Stellen wir uns kurz vor, wir fahren im Auto eine Bergstraße hinauf. Wir rollen auf die Serpentine zu, bremsen, drehen das Lenkrad und sehen dann die ansteigende Gerade vor uns. Wir drücken das Gaspedal durch, spüren, wie der Wagen beschleunigt, fühlen das Crescendo des Motors wie einen stärker werdenden Juckreiz. Wenn wir es nicht mehr aushalten, in diesem magischen „nicht-mehr-und-nicht-weniger-Moment“, drücken wir die Kupplung, legen die Hand an den Schalthebel – und schieben ihn in einer einzigen Bewegung nach vorne, vom zweiten in den dritten Gang. Für eine Sekunde setzt der Motor aus, als würde er Luft holen, dann zieht das Auto davon.

Was redet der da, hört man sie schon brummeln, beide Hände rigid am Lenkrad – Automatikfahrer. Wir sind die Zukunft, sagen sie, er ein hoffnungsloser Nostalgiker, ein Reaktionär.

Wir Schaltwagenfahrer sind vom Aussterben bedroht. Schon in wenigen Jahren soll die Hälfte der Autos auf deutschen Straßen Automatikwagen sein, in den USA sind es bereits mehr als 90 Prozent, in Japan noch mehr. Und das, obwohl sie noch immer teurer als Schaltwagen sind und kein einziges Problem lösen. Wehren wir uns!

Wer schaltet, hat sein Leben im Griff

Schaltwagenfahrer pflegen eine alte Kulturtechnik. Viele von uns, besonders die, die auf dem Land aufgewachsen sind, haben geschaltet, bevor sie geküsst haben. Die Technik hat uns Mama oder Papa beigebracht, auf der verlassenen Landstraße oder nachts auf dem Supermarktparkplatz. Sie wird von Generation zu Generation weitergegeben, wie die wertvolle Uhr, die schon Großmutter trug. Gerade wenn Familien zu zerreißen drohen, die Kinder fast erwachsen, mit profundem Zweifel an allem, was die Eltern so meinen, gerade dann lernen sie doch nochmal was von ihnen. Aussöhnung auf den Vordersitzen.

Wer schaltet, hat aber nicht nur den Knüppel im Griff, sondern auch sein Leben. Wir Schalter sind Menschen der Tat, nicht der Lethargie. Wir nehmen das Leben bei den Hörnern und reiten Rodeo. Lewis Hamiltons der Landstraße, das Fenster leicht geöffnet, Wind im Haar, im Radio spielen sie unser Lied. Ey, da müsste Musik sein, besonders wenn wir den Schalthebel in den fünften Gang schieben – und zwar Punkrock.

Schlaue Automatikverteidiger werden nun einwenden, wir Schalter beschwörten ein phallisches Früher, setzten Schalten mit Männlichkeit gleich, sängen das Lob vom Damals, als Männer noch schalten und Frauen belästigen durften. Schon falsch. In Deutschland kauft fast jeder dritte Mann ein Automatikauto. Aber lediglich 6,4 Prozent der Frauen. Hören wir auf sie!

Mag sein, dass die automatischen Getriebe aufgeholt haben, nicht mehr Unmengen an Sprit verbrauchen, den Schaltern in Sachen Sportlichkeit nur noch wenig nachstehen. Verbessert haben sie nichts, befeuern bloß die Mär, die Automatisierung an sich sei ein Wert. Das hat schon Karl Marx widerlegt. Und Sibylle Berg, die schlaue Schriftstellerin, befürchtet in ihrer „Spiegel Online“-Kolumne, dass menschliches Leben unwichtig für die „Endlösung“ des Kapitalismus sei.

Automatikautos Symptom einer Krankheit

Auf dem langen Weg in eine emissions- und autofreie Zukunft sind Automatikwagen nur ein überflüssiger Zwischenschritt. Kluge Menschen haben sie erfunden. Menschen aber auch, die Geld verdienen wollen. Vielleicht, so viel sei eingeräumt, sind Automatikautos nicht die Krankheit. Aber ein Symptom. Die Krankheit nennt sich: Entfremdung von der Welt und den Dingen.

Automatisierungs-Fans, was wollt ihr denn tun mit der gewonnenen Energie? Investieren in mehr Konsum? Noch mehr Mails schreiben? Wir steuern (ohne zu kuppeln) in eine Fastfood-Welt, entkoppelt von allem Sinnlichen. Das Letzte, was wir noch spüren werden, wird die Wärme eines Displays am Zeigefinger sein. Wer schaltet, nimmt sich eine Auszeit aus dieser Hochgeschwindigkeitswelt. Er kennt seinen Motor, hört, wenn die Kupplung greift, riecht, wenn er vergessen hat, sie zu drücken. (Den schönen Satz „Gruß von der Kupplung“ wird es in einer Automatik-Welt übrigens auch nicht mehr geben.)

Was also werden wir tun, wenn ihr Automatisierer euch die Welt unterworfen habt? Wahrscheinlich werden wir uns nach einer Zeit sehnen, in der wir noch was gespürt haben. Und wenn es nur das Vibrieren eines Hebels in unserer halb geschlossenen Hand war.

Alles nur einen Knopfdruck entfernt

Moderne Technik. Automatikgetriebe gelten bereits als spritsparender
Moderne Technik. Automatikgetriebe gelten bereits als spritsparender

© imago/Martin Vogt

Ilja Benisch schaltet gleich ab

Nachrichten mit einer Brieftaube verschicken, Kleidung mit einem Waschbrett säubern oder ein Auto per Handschaltung fortbewegen – kann man alles machen. Man kann das Leben aber auch einfach genießen.

Handschalter sehnen sich nach Ursprünglichkeit, wollen „die Mechanik des Wagens spüren“, noch „eins sein mit der Technik“, statt sich auch bei der Gangwahl einem Automatismus beugen zu müssen. Wie sonst so oft in diesem schrecklich modernen Leben. Nicht auszuhalten, der ganze Fortschritt. Früher war schließlich nicht alles schlecht. Was den Gangwechsel in Kraftfahrzeugen anbelangt, war es früher allerdings eher doof.

Weiß die Mehrzahl der „Nur-Handschaltung-Ist-Richtiges-Autofahren“-Fetischisten vermutlich gar nicht mehr, aber: Lange Zeit bedeutete so ein Schaltvorgang Arbeit. Das nannte sich „Zwischengas bei nicht synchronisierten Getrieben“ und war zum Beispiel beim Inbegriff des Autos, beim VW Käfer, noch bis 1964 gang und gäbe. In der Praxis hieß das: Kupplung treten, Schalthebel in den Leerlauf, Kupplung lösen, kurz Gas geben, Kupplung treten, Gang einlegen. Warum berufen sich die Handschaltler nicht gleich darauf? Und wenn sie schon dabei sind, wie wäre es, den Motor mal wieder per Handkurbel anzulassen oder Richtungswechsel mit mechanischen Klappblinkern anzuzeigen? Warum sollte man den technischen Fortschritt, der ja auch Lebenserleichterung bedeutet, nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt befürworten und ab dann jede weitere Entwicklung als überflüssig verteufeln?

Aber sie hören einen nicht, die Handarbeiter, sie entfliehen gerade in den Drehzahl-Himmel. Wahrhaft sportliche Fahrer müssen selbst Herr über das Getriebe sein, rufen sie noch. Als hätten moderne Automatiksysteme nicht längst verschiedene Fahr- und Dynamik-Programme zur freien Auswahl. Ob komfortables, ökonomisches oder rasantes Fortkommen – alles nur einen Knopfdruck entfernt. Meist sogar die Option, die Gänge mittels praktisch am Lenkrad angebrachter Schaltwippen doch selbst zu wählen, nur eben ohne das lästige Kuppeln per Fußpedal.

Es ist, als würde man Feuer speien

Und weil moderne Automatikgetriebe eine viel nahtlosere Beschleunigung garantieren, als das vom manuellen Schaltvorgang unterbrochen möglich wäre, wird das Gros der neuzugelassenen Sportwagen längst ohne Kupplung konstruiert. Die Zukunft schlägt sich auf ihre Seite. Wer jemals in einem durch einen Elektromotor angetriebenen Auto durch die Welt jagte, die Kraft spürte, die ein solcher Antrieb ganz ohne Schaltvorgänge entwickeln kann, wird dem vermeintlich sportlichen Moment eines manuellen Getriebes nur noch müde Verachtung entgegenbringen: Es ist, als würde man Feuer speien, ohne Luft oder Benzin nachholen zu müssen. Während sich die Schaltknüppel-Ultras am Schluckauf des Kuppelns ergötzen.

Apropos Benzin: Automatikgetriebe gelten bereits als spritsparender. Nichts für uns, sagen die Fahr-Puristen. Als wären die elektronischen Helferlein, die Stabilitätsprogramme, Antiblockiersysteme und Traktionskontrollen, die längst als Serienausstattung und für den Fahrer kaum wahrnehmbar ihren Dienst verrichten, nicht immer auch mit an Bord. Und als wären sie darüber bei einem Ausweichmanöver oder einer Vollbremsung nicht doch ganz froh. Genau wie über Klimaanlage und Sitzheizung.

Das linke Bein in Schonhaltung

Männlich sei die Handschaltung, bringen noch jene vor, die das für eine Qualität halten. Dabei entscheiden sich Männer viel häufiger für ein Automatikgetriebe als Frauen (etwas mehr als sechs Prozent). Insgesamt sind es derzeit rund 20 Prozent aller Neuwagenkäufer und schon in der nächsten Generation sollen sich Hand- und Automatikgetriebe die Waage halten.

Doch das ficht sie nicht an, die automobilen Archetypen. „Meine Gänge wähle ich noch immer selbst“, halten die Miniatur-Freigeister, die sich so doch nur zum sklavischen Handlanger einer Mechanik machen, dem Luxus eines Automatikgetriebes entgegen. Dessen Nutzer lassen entspannt Kilometer auf Kilometer hinter sich, das linke Bein in Schonhaltung. Ist ja allein viel sicherer, so eine Automatik. Jederzeit beide Hände am Lenkrad. Eine die Aufmerksamkeit fressende Aufgabe weniger.

Und wenn die Gefahr gerade nicht zur Achtung ruft, bleibt sogar Zeit für ein bisschen Liebe. Während der Fahrt Händchenhalten zum Beispiel. Für Jünger manueller Getriebe ein Etappensport oder gleich unmöglich: „Ich bin bei dir, mein Liebling, für immer. Spürst du das? Ich muss nur eben schalten.“

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