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Lichter der kleinen Großstadt. Das Abschlusskonzert der Händelfestspiele findet immer in der Galgenbergschlucht statt.

© Thomas Ziegler/Stadt Halle (Saale)

Sachsen-Anhalt: 48 Stunden musikalisches Halle

Aus den Höfen erklingt Händel, im Beatles-Museum singen alle mit, die Bäume im Pop-up-Park rauschen, und am Ende knallt das Feuerwerk.

10 Uhr

Alle Wege führen zu Händel. Auch dieser, vom Bahnhof aus die Leipziger Straße runter, an Kim’s Nails und Rudi’s Callshop, Engel’s Backstüble und Boran’s Haarstudio vorbei. Keine Angst, es wird besser, immer besser, am Marktplatz ist man schon fast verliebt in die kleine Großstadt. Und da steht er bereits auf seinem Podest, die Hand keck in die Hüfte gestemmt, seinen barocken Wohlstandsbauch selbstbewusst vor sich hertragend. Den hat der Gourmand sich ehrlich verdient, Georg Friedrich Händel war ein so fleißiger Komponist wie geschickter Geschäftsmann. Das Denkmal ist die bekannteste Adresse der Stadt, will man sich verabreden, tut man’s am Händel. Der hat Halle zwar mit 17 verlassen, wurde in London zum Star und britischen Staatsbürger, aber zu Besuch kam er immer wieder in die Stadt an der Saale, die auch zu DDR–Zeiten gern mit ihm renommierte. 1952 wurden die Händel-Festspiele gegründet, deren 65. Ausgabe gerade eröffnet wurde. Zu Füßen des Maestros natürlich, mit dem 900 Jahre alten Stadtsingechor.

10.30 Uhr

Die Straßenmusiker bringen sich in Stellung, Geige, Cello, Akkordeon – der Panflötist hat einen Verstärker dabei. Die Hintergrundmusik liefern die Straßenbahnen, die im historischen Zentrum präsenter als Autos sind. Endstation der Linie 1: „Frohe Zukunft“. Mit der 7 kommt man an etlichen Kulturhighlights vorbei, bis hin zum Halloren-Schokoladenmuseum.

12 Uhr

In der heiteren Marienkirche am Markt erklingt die reich verzierte Orgel von 1664, an der der kleine Händel Musikunterricht bekam und an der Wilhelm Friedemann Bach, zur Unterscheidung vom berühmten Vater auch „Hallescher Bach“ genannt, 18 Jahre lang sein Geld verdiente. Ein Museum, das an die Hallenser Musiker der zweiten Reihe erinnert, trägt seinen Namen (Große Klausstraße 12).

13 Uhr

Museum, Stiftung, Konzertsaal, Standesamt, Festspielzentrale – beim gelben Händel-Haus steckt alles unter einem Dach. Im kopfsteingepflasterten Hof sitzen die Gäste unterm Trompetenbaum und trinken Kaffee aus Kännchen (Große Nikolaistraße 5). Im Sommer wird hier draußen Jazz gespielt. Halle ist eine Stadt der Höfe, immer wieder entdeckt man Überraschungen wie das junge Restaurant „Grüne Remise“, im großen Hof der Moritzburg, dem Museum der Moderne, finden Open-Air-Konzerte statt. Jetzt wurde wieder ein Pop-up-Garten im historischen, efeubewachsenen Backsteinhof der Neuen Residenz eröffnet, ein Projekt mit Langzeitarbeitslosen (Domstraße 5, bis 31. Juli). Für die Besucher wurde der Rasen ausgerollt, zwischen alten Bäumen und rostigen Skulpturen lustwandeln sie einher, lassen sich zum Plaudern auf weiß gestrichenen Palettenmöbeln in Nischen nieder. Hallenser packen hier gern ihr Picknick aus.

19 UHR

Eine heiter-festliche Stimmung hat die sommerliche Stadt erfasst. Röcke schwingen, Ketten leuchten, ältere Paare schlendern Hand in Hand zum Konzert. „Hier spielt die Musik“ steht auf den Boden gesprüht, darüber der Kopf Händels, Wegweiser zu den Aufführungsorten, über die ganze Stadt verteilt. Joyce DiDonato, Händelpreisträgerin 2018, tritt an diesem Abend in der 1998 eröffneten Händel-Halle auf (Salzgrafenplatz 1), mit Donna Leon im Schlepptau: als Groupie. In der Pause flanieren die Besucher zum lauschigen Ufer des Mühlgrabens, ein Seitenarm der Saale. Halle ist eine grüne Stadt, das Abschlusskonzert der Festspiele am 10. Juni findet denn auch in der Galgenbergschlucht statt: Open Air, mit Pomp und Feuerwerk.

21.30 UHR

Schnell in die „Rote Soße“, bevor sie schließt (Große Ulrichstraße 26). Halle scheint kein Ort der Nachtschwärmer zu sein. Anstelle der erwarteten Pommes knabbert man eigenwillige Pizzakreationen. Die Soße ist Rote-Bete-Meerrettich-Creme.

Händel kann auch schwimmen

Händel weist den Weg zu den vielfältigen Spielorten Halles.
Händel weist den Weg zu den vielfältigen Spielorten Halles.

© Susanne Kippenberger

9 UHR

Musikpause. Wer Stille sucht, findet sie auf dem Stadtgottesacker, unter alten Bäumen. Wenn man den Grabsteinen glauben darf, ruhen sie alle dort in Frieden, ob Oberpostdirektor, Otto Nasemann, Händels Eltern oder der Initiator des Tages der Briefmarke. Die Engel stehen stumm auf dem Grab, zu hören gibt’s nur Vogelgesang. Ein Hauch Italien an der Saale: Der Renaissancefriedhof wurde nach dem Vorbild des Camposanto in Pisa angelegt und von engagierten DDR-Bürgern vor dem Verfall gerettet.

10 UHR

Auch August Hermann Francke liegt dort. Der Zeitgenosse Händels vertrat als Pietist die Meinung, dass man Glaube, Liebe, Hoffnung nicht nur predigen, sondern vor allem leben sollte. Und so verschaffte er armen Jungen und Mädchen eine Schulbildung. Der fortschrittliche Unterricht zog bald auch Mittelschicht und Adel an, der Campus wuchs und wuchs, fast zu einer eigenen Stadt, die die Francke’schen Stiftungen heute noch – beziehungsweise wieder sind (Franckeplatz 1). Zur Zeit der Wende sahen sie wüst aus, hatten Tauben die alten Gemäuer vollgekackt. Heute erklingen Händel’sche Arien aus dem Fenster des alten Waisenhauses, befinden sich auf dem Gelände Museum, Wunderkammer, Studentenwohnheim, Kapelle, Pflegeheim, Montessori-Kindergarten, Schulen aller Art – und ein Aussichtsturm. Der Stadtsingechor hat hier ebenfalls sein Zuhause gefunden.

13.30 UHR

Händel kann auch schwimmen. Das Ausflugsschiff, das des Musikers Namen trägt, gleitet ein Stündchen über die Saale, durch romantische Szenerie, vorbei an der Höhle, in der Turnvater Jahn sich einst vor seinen Kommilitonen versteckte (Schiffsanleger Riveufer 5 / Ecke Rainstraße). Die Gäste im „Krug zum Grünen Kranze“ – ja, genau, die Inspiration zum gleichnamigen weinseligen Volkslied –, haben den besten Blick hoch zur Burg Giebichenstein, auf der Händel senior als Arzt tätig war. Heute studieren dort angehende Künstler und Designer, die ihre Objekte in Pop-up-Stores im Zentrum verkaufen. Nach der Wende und dem Niedergang der Chemieindustrie eine schrumpfende Stadt, ist Halle nun wieder eine wachsende, gerade dank des Schwerpunkts Kultur und Wissenschaft. 21500 Studenten leben hier, der Kirchenmusik ist eine eigene Hochschule gewidmet.

In der Marienkirche hat der Barockkomponist an der Orgel gelernt; der dazugehörige Rote Turm beherbergt das größte Glockenspiel Europas.
In der Marienkirche hat der Barockkomponist an der Orgel gelernt; der dazugehörige Rote Turm beherbergt das größte Glockenspiel Europas.

© Stadtverwaltung Halle

15 UHR

Zeit für musikalische Abwechslung. Nein, die Beatles sind nie in Halle gewesen, werden auch nie dorthin kommen, ja, „noch nicht mal ein Bruder von der Oma hat hier gewohnt“, wie Martin Schmidt, einer der Leiter des Beatles-Museums, sagt (Alter Markt 12). Wie die Liverpooler dann nach Halle kamen? Ein Kölner Sammler konnte seine Schätze in der Heimat nicht zeigen – die Mieten waren dort zu hoch. In Halle füllen sie nun ein ganzes barockes Bürgerhaus, vor allem Gedrucktes und Gepresstes, zwischendrin ein Damenstrumpf mit Pilzköpfen oder ein Ikea-Hocker namens Ringo. Keine Originalgitarre, aber, immerhin, ein Löffelchen aus dem Hause Lennon. Besonderes Highlight: die wenigen Beatles-Singles, die in der DDR erscheinen durften und heiß diskutiert wurden – bis Walter Ulbricht damit Schluss machte. Schulklassen verlegen ihren Musikunterricht hierher. Durchs ganze Haus schallen Hits vom Band, die Besucher singen automatisch mit. Let it be.

16.30 UHR

Wo Händel und Wagner als Straßen aufeinanderstoßen, gedeiht ein Szeneviertel. Am Reileck haben sich kleine Läden angesiedelt, Design, Papeterie. Galerie, Weinhandel, Literaturhaus und Yoga. Abends gibt’s Blues in der Musikkneipe Brohmers (Bernburger Straße 9).

18.30 UHR

Kurze Stärkung in der „Gourmétage“, am Eingang des Einkaufszentrums „StadtCenter Rolltreppe“ (Große Ulrichstraße 60). Der ausgezeichnete Feinkost-Weinladen hat auch ein paar Tische, an denen man Carpaccio mit Spargel verspeist, knuspriges Brot in edles Olivenöl tunkt und dazu einen Grauburgunder von der Saale trinkt. Der perfekte Ort, um sich für ein Picknick einzudecken.

20 UHR

Glück gehabt. Die Vorstellungen des renommierten Puppentheaters sind eigentlich immer ausgebucht. Das „Konzert für eine taube Seele“ erzählt die Geschichte von Maurice Ravel, der den Verstand zu verlieren droht und die Musik, die er im Kopf hat, nicht mehr aufs Blatt bringen kann – herzzerreißend, witzig und mit hochkarätiger Pianistin.

22 UHR

Zum Nachklingen in die Bar des Programmkinos „Zazie“ (Kleine Ulrichstraße 22). Der Sound: angeregtes Gemurmel. In der Kleinen Ulrichstraße, die so klein gar nicht ist, dafür aber verkehrsberuhigt, reiht sich ein Café ans nächste Lokal. Vor 40 Jahren undenkbar. Im Stadtmuseum hängt ein Foto der heutigen Ausgehmeile, die damals im Nebel und Dreck der Chemieindustrie versank. Wie heißt es bei Händel: Halle – luja!

Reisetipps für Halle

Hinkommen

Mit der schnellen Zugverbindung fährt man in 70 Minuten von Berlin-Südkreuz nach Halle; Sparpreise ab 19,90 Euro pro Strecke. Der Flixbus braucht zweieinhalb Stunden, ab 9,99 Euro.

Unterkommen

Das Dorint-Charlottenhof am Bahnhof gilt als Lieblingshotel des Hallensers Hans-Dietrich Genscher. Doppelzimmer ab 46,50 Euro ohne Frühstück (hotel-halle-saale.dorint.com).

Die neu eröffnete Jugendherberge in einem historischen Schulgebäude bietet Übernachtungen ab 27 Euro inklusive Frühstück an (jugendherberge-halle.de).

Gleich nebenan: das Jugendstil-Stadtbad, Schimmelstraße 1. Mehr unter: halle-tourismus.de.

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