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Im Goethe-Institut in Prag kann der Besucher sich in das Zimmer von Kafkas Figur Gregor Samsa versetzen.

© Goethe-Institut

Prag: 48 Stunden mit Franz Kafka

In Kafkas Büchern taucht seine Heimatstadt nur indirekt auf. Doch heute ist der Schriftsteller dort allgegenwärtig. Sogar in seinen Käfer kann man sich verwandeln.

11 Uhr

Scheue Frage an die Mitarbeiterin des Goethe-Instituts: Das mit den Adiletten muss jetzt wirklich sein? – Unbedingt, erwidert die Frau, denn an den Schuhen seien Sensoren befestigt. Prags jüngste Kafka-Attraktion hat gerade im deutschen Kulturzentrum eröffnet. Titel: „VRWandlung“, ein Wortspiel mit der Abkürzung für „Virtuelle Realität“ und dem Namen von Franz Kafkas berühmtester Erzählung über Gregor Samsa, der eines Morgens in der Gestalt eines Ungeziefers erwacht. Für die eigene Verwandlung ist neben den Badelatschen ein Helm nötig, den man aufsetzen muss – schon steht man in Samsas Zimmer. Während dessen Familie an die verschlossene Tür klopft, blickt man an sich herunter und sieht: Käferbeinchen. Und im Spiegel: das ganze Tier! Schauderhaft. Beeindruckend.

Das Goethe-Institut ist in einem Jugendstilgebäude an der Moldau untergebracht. „VRWandlung“ findet man in jenem Raum, in dem bis 1990 der DDR-Botschafter residierte. In der Bibliothek liegen Spezialbrillen bereit, mit denen man kurze Vorträge von Kafka-Experte Reiner Stach anschauen kann. Stachs dreibändige Biografie ist ein exzellenter Reisebegleiter, weil sie zugleich ein Porträt von Kafkas Zeit und seiner Stadt zeichnet.

12.30 Uhr

Im Laden des Franz-Kafka-Museums ist das Gesicht des Schriftstellers wirklich überall: auf Postkarten, T-Shirts, Stiften, Postern, Notizblöcken ... Zu Lebzeiten veröffentlichte Kafka (1883-1924), Autor komplexer, beklemmender Geschichten, kaum ein Buch. Knapp 100 Jahre nach seinem Tod ist er ein Gigant der Weltliteratur, in seiner Heimatstadt Prag eine Popikone. Allgegenwärtig scheint er, von allen verehrt: von den Einheimischen und vielen, eher jungen Touristen, ob aus Deutschland, Italien oder Südkorea. Ein riesiges K aus Stahl weist den Weg zum Eingang des Museums in einem Häuschen unterhalb der Prager Burg. Die Innenräume sind dunkel gehalten. Zunächst ziehen die Besucher vorbei an Fotos, Briefen und anderen Dokumenten. Im zweiten Teil haben die Museumsmacher Geschichten von Kafka in künstlerische Installationen übersetzt. Zu „Der Process“, einem Roman, der von surrealer Justizbürokratie handelt, läuft man durch einen Korridor voller mannshoher Aktenschränke.

Verwandelt. Der Käfer hütet im Goethe-Institut die Bücher.
Verwandelt. Der Käfer hütet im Goethe-Institut die Bücher.

© Pavlina Jachimova

14 Uhr

Die Geschichte des „U Hrocha“ (Thunovská 10/2), zehn Minuten Fußweg entfernt, reicht zwar nicht bis in Kafkas Zeiten zurück. Aber so ähnlich müssen Prager Gastwirtschaften damals ausgesehen haben. Von der Wand grüßt Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, Apostolischer König von Ungarn und (eben!) König von Böhmen. Die zwei Kellner tragen weiße Hemden und machen einen mürrisch-gemütlichen Eindruck. Zum frischgezapften Pils reichen sie Bratwurst mit scharfem Senf und Meerrettich. Auf Deutsch heißt das Lokal „Zum Nilpferd“. Eine gute Wahl, wenn man mittags rasch einkehren möchte auf der Kleinseite. Nicht so überlaufen wie andere Bierstuben im Stadtzentrum.

15 Uhr

Wahrlich kafkaesk geht es weiter. Ein paar Straßen entfernt sitzt der Autor auf den Schultern eines Mannes ohne Kopf und Hände. Das fast vier Meter hohe Bronzedenkmal, 2003 errichtet, wurde von einer Passage in dessen früher Erzählung „Beschreibung eines Kampfes“ inspiriert. Die Statue steht neben der Spanischen Synagoge, dem prächtigsten jüdischen Gotteshaus der Stadt, aus dem 19. Jahrhundert.

Eine Ausstellung dort erzählt von der modernen jüdischen Geschichte auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens; auch Kafka, der aus einer alten böhmisch-jüdischen Familie stammte, und Max Brod, sein Vertrauter und Nachlassverwalter, tauchen darin auf. Die Spanische Synagoge bildet zusammen mit Prags Altem Jüdischen Friedhof und einer Reihe anderer historischer Gotteshäuser des einstigen Altstadt-Ghettos das Jüdische Museum. In der 500 Jahre alten Pinkas-Synagoge wird der Opfer des Holocausts gedacht, ihre Namen sind dicht gedrängt an die Wände geschrieben. Und in der Maisel-Synagoge geht es um die frühe jüdische Geschichte in Böhmen und Mähren (Sammelticket etwa 20 Euro).

17 Uhr

Lust bekommen, gleich nochmal bei Kafka nachzuschlagen? „Shakespeare and Sons“ (U Lužického semináre 91/10) verkauft neue und gebrauchte Bücher in verschiedenen Sprachen, darunter Englisch und Deutsch. Das Kellergeschoss der Buchhandlung hat etwas von einem Wohnzimmer. Stundenlang könnte man hier in den plüschigen Sesseln sitzen und lesen.

19 Uhr

Vielleicht reicht es dann auch mal mit Kafka für den heutigen Tag. Um einen Tipp fürs Abendessen hätte man den Vegetarier sowieso nicht gebeten. Mit der U-Bahn geht es Richtung Vinohrady. Der Stadtteil besitzt viele Restaurants, Bars und Cafés, etwa am Friedensplatz (Metro-Station Námestí Míru).

„Vinohradský Parlament“ (Korunní 1) hat mit seiner schicken, langen Theke auf den ersten Blick wenig mit klassischen tschechischen Wirtshäusern gemein. Aber die Gerichte sind ähnlich rustikal, es gibt Forelle, Damhirsch oder Schweinshaxe – mit besten Zutaten und modernem Kniff zubereitet. Das Restaurant serviert Biere der Prager Brauerei Staropramen. Eine U-Bahnstation weiter östlich liegt die Kellerbar „Beergeek“ (Vinohradská 988/62), in der man Kreationen kleinerer tschechischer Brauereien verkosten kann.

Kafka, Kisch, Werfel: Sie alle waren im „Café Montmartre“ zu Gast

Straßenkunst im Stadtteil Žižkov. Kafka gleicht in Prag einer Popikone.
Straßenkunst im Stadtteil Žižkov. Kafka gleicht in Prag einer Popikone.

© Alamy Stock Photo

10 Uhr

Am heutigen „Námestí Franze Kafky“, dem Franz-Kafka-Platz, steht das Haus, in dem der Autor 1883 geboren wurde – wobei vom Original nur noch das Portal erhalten ist. Die Gedenktafel könnte man leicht übersehen, weil sie sich derzeit hinter einem Bauvorhang verbirgt.

Gut, dass Stadtführerin Lenka Mandová dabei ist. „Da, schauen Sie!“, sagt sie ein paar Ecken weiter. Im schicken Kinsky-Palais am Altstädter Ring, Prags zentralem Marktplatz, hatte Kafkas „Vatti“, wie die Führerin mit tschechischem Akzent erklärt, auch mal sein Kurzwarengeschäft. Im Hinterhaus ging der junge Franz viele Jahre vorher aufs Gymnasium. Mandová ist Historikerin, sie liebt ihren Kafka und all die anderen interessanten Prager jener Zeit: den Journalisten Egon Erwin Kisch! Den Schriftsteller Franz Werfel! Die Autorin und Kafka-Gefährtin Milena Jesenská! Drei Stunden mit Mandová auf den Spuren des Autors kosten für zwei Personen rund 60 Euro (reiseleiterin.eu).

Atemlos geht es weiter, zur Karls-Universität, an der der Schriftsteller Jura studierte. Und schließlich zum früheren Sitz der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt, für die Kafka viele Jahre tätig und dabei nicht sonderlich glücklich war. Der neobarocke Bau ist jetzt ein hochklassiges Hotel mit dem leicht kafkaesken Namen „Century Old Town Prague – MGallery by Sofitel“.

14 Uhr

Erholungspause im „Café Montmartre“ (Retezová 7), einem Lokal, in dem Kafka gern einkehrte. Hier ist’s urgemütlich und ziemlich leer. Auf den Fensterbänken ranken Zimmerpflanzen empor, Stehlampen verbreiten schummriges Licht, und die Holzbänke knarzen beim Draufsetzen. Ein Blick auf die Karte verrät: Auch andere Geistesgrößen waren im Café zu Gast. Kischs Foto findet sich neben Gin und Whisky, Werfels neben Cognac und Wodka.

16 Uhr

„Dr. Franz Kafka“ steht auf dem Schild, und der Pfeil darunter zeigt nach rechts: „250 M“. Einige Männer mit Kippa spazieren vorbei, offenbar haben sie das Grab eines Angehörigen besucht. Sonst ist der Neue Jüdische Friedhof (Izraelská 712/1, an der Metrostation Želivského) beinahe menschenleer. Kafka ist hier neben seinen Eltern Hermann und Julie begraben. Auf das Grab haben Menschen Kerzen und Blumen gestellt. Kleine Botschaften liegen dort. Auf Arabisch, Koreanisch, Englisch. Auch ein deutscher Zettel ist dabei. „Danke“ steht darauf.

In Prag führen alle Wege zu dem Schriftsteller - auch auf dem Neuen Jüdischen Friedhof.
In Prag führen alle Wege zu dem Schriftsteller - auch auf dem Neuen Jüdischen Friedhof.

© Björn Rosen

19 Uhr

Zum Abschluss an die Národní, die Nationalallee zwischen Alt- und Neustadt. Hier befindet sich ein anderes traditionsreiches Künstlerlokal, das Kafka mochte: das Café Louvre (Národní 22). Eröffnet wurde es 1902. Im Erdgeschoss kann man Billard spielen, die Treppen hoch geht es in den eigentlichen Gastraum, ein grandioses Jugendstil-Ensemble.

Durch die großen Fenster schaut man auf den Boulevard – ein Blick, wie ihn auch Kafka einst genossen haben muss. Prag spielt in seinem Werk keine nennenswerte Rolle, doch die Stadt, die er kaum je verließ, prägte den Schriftsteller zutiefst. „Prag läßt nicht los“, schrieb er als 19-Jähriger. „Dieses Mütterchen hat Krallen.“

Reisetipps für Prag

Hinkommen

Mit der Bahn gelangt man in etwas mehr als vier Stunden direkt nach Prag. Tickets gibt es ab etwa 20 Euro für die einfache Strecke.

Unterkommen

Das Hotel „The Charles“ bietet komfortable Zimmer in einem historischen Gebäude, Preise beginnen ab 100 Euro. Es liegt auf der Kleinseite, unweit der Karlsbrücke. Buchungen unter hotel-charles.cz/de

Rumkommen

Für den öffentlichen Nahverkehr gibt es ein Drei-Tages-Ticket für 320 Kronen, das entspricht etwa 13 Euro. Die Ausstellung „VRWandlung“ läuft noch bis zum 31. März im Goethe-Institut (Masarykovo nábreží 32). Geöffnet ist von Dienstag bis Freitag in den Nachmittagsstunden, am Freitag auch schon ab 11 Uhr (goethe.de/ins/cz/de) möglich.

Das Franz-Kafka-Museum liegt in der Cihelná 635/2b. Gut als Reiseführer ist Klaus Wagenbachs schmales Buch „Kafkas Prag“.

Mehr Infos unter: czechtourism.com/de/home , prague.eu/de

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