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In Bahrain schauen sich Touristen die Festung Bu Maher an.

© Hannes Soltau

Perlentauchen auf Bahrain: Alles Golf, was glänzt

In den Schaufenstern Bahrains liegen weiße Perlen auf rotem Samt. Nun können Besucher den Schatz aus der Tiefe heben.

Es ist die blutigste Schatzsuche der Welt. Jeder Versuch kostet ein Leben. Mohamad führt die krumme Klinge seitlich in eine Auster ein. Das scharfe Metall findet den Schließmuskel, die Schale springt auf. Glänzt es da verheißungsvoll? Nein. Nur eine Spiegelung der Sonne in den glitschigen Innereien. Der Reiseleiter wirft die zerteilte Auster in den Eimer. Die meisten seiner Gäste werden heute enttäuscht von Bord gehen, dessen ist er sich bewusst. Darum enthüllt Mohamad vorsichtshalber die ernüchternde Statistik, als das Boot gerade ablegt: In 10 000 Austern finden sich nur 25 Perlen, die einen Marktwert haben.

Mohamad entstammt einer Dynastie von Perlentauchern, die an der Küste von Bahrain ihren Lebensunterhalt verdienten. Auch wenn der Mittvierziger mit breitem Schwimmerkreuz selbst nie in dem Gewerbe gearbeitet hat – das Wasser des Persischen Golfs fließe noch immer durch seine Adern, sagt er. Deshalb gibt er Touristen einen Einblick in den Arbeitsalltag seiner Vorfahren und taucht mit ihnen nach dem weißen Gold.

Seine Ahnen sahen monatelang kein Land, dutzende Male am Tag ging es hinab in bis zu 30 Meter Tiefe. Belastete Seile sorgten dafür, dass die Taucher über eine Minute unter Wasser blieben, nur mit einer Klammer auf der Nase, um ihre Atmung zu kontrollieren. In der Tiefe steigt der Umgebungsdruck alle zehn Meter um etwa ein Bar. Ohne Druckausgleich würden die Trommelfelle wenige Meter unter der Wasseroberfläche reißen. Richtig gefährlich wird es, wenn Lungenbläschen oder Gefäße platzen. In leichten Fällen juckt nach dem Tauchgang die Haut und starke Müdigkeit setzt ein. Auch Lähmungen oder Sehstörungen können auftreten. Die Auster ist eigentlich ein Symbol für Leben und Fruchtbarkeit, doch noch heute endet die Jagd nach ihr manchmal tödlich.

Mit Schnorchel in die Meeresfrüchtesuppe

Da haben es die Perlentouristen auf Bahrain deutlich komfortabler. Schon in zwei Metern Tiefe ist der Meeresboden schwarz vor Schalentieren. Viele davon sind abgestorbene, leere Hüllen. Die intakten Muscheln, erklärt Mohamad, schließen sich, wenn sie eine Erschütterung verspüren. Ein fester Griff, eine Bewegung des Handgelenks, als würde man den Wasserhahn einer Badewanne aufdrehen, schon können sie gelöst werden.

Mit Schnorchel und Schwimmflossen geht es hinab in die lauwarme Meeresfrüchtesuppe. Obwohl es erst zehn Uhr morgens ist, brennt die Sonne wie die Oberhitze im Backofen. Nach einer halben Stunde hieven sich die ersten Perlensucher wieder an Deck. Die Netze voller Austern, der Rücken voller Sonnenbrand. Die Schatzsuche kann beginnen.

Rasch tasten sich die Fingerspitzen durch die gallertartige Masse. Der erhoffte feste Widerstand bleibt aus. Noch eine. Nichts. Der Tauchlehrer befeuert die Goldgräberstimmung: „Wer eine Perle findet, darf sie behalten.“ Damit wäre der Urlaub refinanziert.

Während eine Muschel nach der anderen ihr Leben für den Nervenkitzel gibt, unternimmt Mohamad mit den Anwesenden einen Ausflug in die Geschichte des Inselstaats. Er erzählt vom Garten Eden: einer einzelnen Akazie, hoch oben auf einer Sanddüne, inmitten der trockenen Ödnis Bahrains. „Baum des Lebens“, nennt sie Mohamad. Die Legende besagt, dass er einst gepflanzt wurde, um den Mittelpunkt des biblischen Paradieses zu markieren.

„Baum des Lebens“ in der Wüste von Bahrain.
„Baum des Lebens“ in der Wüste von Bahrain.

© picture alliance/Sarah Thust

1930 arbeiteten hier über 30 000 Taucher

Historisch belegt ist zumindest, dass die Insel seit Jahrtausenden besiedelt ist und schon in alten assyrischen Inschriften die besondere Schönheit der „Fischaugen“ Bahrains gepriesen wird. Auch Kleopatra soll sich mit den Perlen geschmückt haben. In der Blütephase der Industrie zwischen 1850 und 1930 waren die Kügelchen aus Perlmutt wertvoller als Gold und Diamanten. Im Königreich, das nur so groß wie Hamburg ist, arbeiteten 1930 über 30 000 Taucher. Die Hälfte der Bahrainer war von Perlen wirtschaftlich abhängig.

Ein aasiger Geruch verbreitet sich an Deck, als die letzte Auster ihr enttäuschendes Innenleben nach außen gekehrt hat. Spätestens jetzt ist klar: Im Roulette der Tiefe hat heute die Sandbank gewonnen.

Nach einem Vormittag auf See sieht man alles mit Perlmuttaugen. Das Dach der Oper wird zu einem umgekehrten Perlenfischerboot. Die Architektur der Hochhäuser erinnert an aufgeplusterte Segel. Das Glas der Bankentürme schillert wie die irisierende Oberfläche der Perlen. Die Farben der bahrainischen Flagge verweisen offiziell auf die charidschitische Glaubensrichtung innerhalb des Islams (Rot) und den Frieden zu den Nachbarn (Weiß). Doch die Schaufenster der Juweliere erzählen eine andere Geschichte: weiße Perlen auf rotem Samt.

Das Ende der Perlenära am Persischen Golf begann in den 1920er Jahren, als der Japaner Kokichi Mikimoto mit einem neuartigen Verfahren makellose Zuchtperlen in Serienproduktion lieferte. 1932 drang mit dem Öl ein neuer Schatz aus der Tiefe, und innerhalb weniger Monate wechselten tausende Taucher die Branche.

Perlenhändler brauchen Geduld

Perlenhändler Talal Ebrahim Mattar präsentiert den kostbaren Schmuck.
Perlenhändler Talal Ebrahim Mattar präsentiert den kostbaren Schmuck.

© Hannes Soltau

Die Schätze aus dem Meer gerieten in Vergessenheit. Bis 2012 die letzten Überbleibsel der Industrie zu Unesco-Welterbestätten ernannt wurden. In den engen Gassen der Hafenstadt Muharraq, zwischen den kleinen Läden, wo es nach arabischem Kaffee und Gewürzen riecht, hängen seit Kurzem Schilder. Sie weisen den „Pearl Trail“ aus, einen Erlebnispfad, der Touristen zu den Stätten der einst so bedeutsamen Perlenindustrie leitet und ihnen erklärt, dass bis heute auf Bahrain ausschließlich der Handel mit Naturperlen erlaubt ist.

Der Pfad beginnt an der Festung Bu Maher. Sie schützte lange Zeit den wichtigen Hafen, von wo aus die Boote zu den Austernbänken ausliefen. Früher kamen die Feinde von der See. Heute hat der rasende Fortschritt das alte Gemäuer rücklings überfallen. Eine sechsspurige Schnellstraße nähert sich von der Landseite, die kümmerlichen Reste der Anlage wirken vom aufstrebenden Stahlbeton der Skyline wie umzingelt.

Nur die Residenz des einstigen Herrschers von Bahrain, Shaikh Isa bin Ali, kann dem modernen Prunkprotz der Hochhäuser historisch etwas entgegensetzen. Wenn das eisenbeschlagene Tor mit den filigranen Schnitzereien hinter dem Besucher zufällt, und die hohen Mauern das Getöse der Straßen abdämpfen, eröffnen sich Einblicke, die den Reichtum zur Hochphase der Perlenära im 19. Jahrhundert erahnen lassen. Die Wände sind übersät mit Ornamenten und bunten Glasmosaiken. Dazwischen imposante Windfänge, natürliche Vorläufer einer Klimaanlage, unter denen verschwitzte Besucher noch heute verharren, wenn der Shamal-Wind seine kühlende Brise hinabschickt. Der Geruch von Seetang und Salz, den er in die Privatgemächer des Herrschers trug, vergegenwärtigte dem Scheich, worauf sein Wohlstand fußte.

Bahrain bedeutet auf Arabisch „die zwei Meere“

Talal Ebrahim Mattar öffnet das Band eines kleinen Säckleins. Ein schillerndes Kullern ergießt sich auf dem Tisch des Perlenhändlers. Aberdutzende Exemplare. Tausende Austern ließen ihr Leben für diese Handvoll perfekt geformtes Perlmutt. Zu vielen Stücken kennt Mattar die Geschichte des Fundes. Schließlich ist es sein Familienerbe. Unverkäuflich. Unermesslich im Wert. Der Händler winkt ans Fenster. Nur für wenige Minuten am Tag steht die Sonne so hoch, dass die Perlen in der größtmöglichen Intensität erstrahlen. Ein seidiges Lichtspiel in Regenbogenfarben.

Ein Exemplar entgleitet ihm, fällt zu Boden. Mattars Körper erstarrt. Seine Hand schnellt empor, gebietet Stille. Sekunden später bückt er sich, greift zielstrebig zu. Die Ohren, erklärt er, seien über die Jahre so geschult, dass er höre, wohin seine Schätze kullern. Sicherheitshalber werde aber der Staubsaugerbeutel trotzdem kontrolliert.

Bahrain, sagt Mattar, das bedeutet auf Arabisch „die zwei Meere“ – das salzige Wasser des Persischen Golfs und das reine Grundwasser, das am Meeresboden austritt. Das Phänomen war für die Perlenindustrie in zweifacher Hinsicht von Bedeutung. Auf See konnten die Taucher so ihre Trinkwasservorräte auffüllen, ohne anlanden zu müssen. Und das Zusammenspiel von Süß und Salzig garantierte optimale Wachstumsbedingungen für die Austern: ein außergewöhnlicher Perlglanz und feine Oberflächenqualität.

Knapp 100 Perlen benötigt man für eine einfache Kette

Mittlerweile wird das Geschäft in der Familie Mattar im Übergang von der sechsten in die siebte Generation ausgeübt. Stolz zeigt der Händler auf ein vergilbtes Foto an der Wand. Abgebildet ist sein Urgroßvater Salman neben dem legendären Pariser Juwelier Jacques Cartier, der hier auf der Suche nach der perfekten Perle landete. So teilnahmslos wie er auf dem Bild seine Zigarette raucht, schien die Mission keinen Erfolg gehabt zu haben.

„Ausdauer und Geduld sind die wichtigsten Tugenden“, sagt der Perlenhändler. „Wer eine Lebensspanne als Maßstab nimmt, sollte dieses Gewerbe meiden.“ In seinem traditionellen weißen Gewand tritt er an einen Tresor. Als wolle er seine Hingabe unterstreichen, präsentiert er eine unvollständige Halskette. Eben jener Urgroßvater von der Fotografie fädelte vor 100 Jahren das erste Schmuckstück auf, hatte sich aber leider für einen Farbton entschieden, der extrem selten in natürlicher Form vorkommt. Knapp 100 Perlen benötigt man für eine einfache Kette, drei Viertel davon hält Mattar in den Händen. Trotzdem hofft er, dass er die Vollendung noch erlebt. Wenn die Taucher sich ranhalten, könnten seine Enkel die letzte Perle einsetzen. Zuversicht sei angebracht: Zwischen den Funden der beiden jüngsten Exemplare der Kette lagen immerhin nur sieben Jahre.

Reisetipps für Bahrain

Hinkommen

Gulf Air bietet täglich Direktverbindungen von Frankfurt zum Bahrain International Airport an. Hin- und Rückflüge ab 800 Euro.

Unterkommen

Das Ramada Hotel, vier Sterne, wenige Autominuten vom Stadtzentrum entfernt, kostet ab 80 Euro pro Nacht im Doppelzimmer. Im Ritz-Carlton, einem der elegantesten Resorts, quartieren sich Gäste ab 350 Euro pro Nacht ein.

Rumkommen

Delma Marine oder Scuba Lifa bieten die Erfahrung des Perlentauchens ab 75 Euro pro Person an. In zwei Stunden können bis zu 60 Austern gesammelt werden.

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