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Den Pazifik erreichten - anders als auf dem Bild - nur 27 Spanier.

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Pazifik-Entdeckung 1513: Die Verdoppelung der Welt

Er war listig, brutal, zäh und weitsichtig: Vasco Núñez de Balboa sah als erster Europäer 1513 den Pazifik. Sein Erfolg kostete ihn den Kopf.

Von Andreas Austilat

Selten dürfte ein Entdecker seine Reise frustrierender begonnen haben als er: Vasco Núñez de Balboa trat die Fahrt versteckt in einem Proviantfass an. Er hatte keine Wahl, Balboa befand sich auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Und als er meinte, die Luft sei rein, drohte ihm das für blinde Passagiere übliche Schicksal: Die Aussetzung auf einer einsamen Insel.

Eigentlich hätte die Geschichte da zu Ende sein müssen. Doch wenn irgendwann irgendjemand zu recht ein Glücksritter genannt wurde, dann Balboa. Ein Mann, der vor 500 Jahren das Weltbild erschütterte. Weil er demonstrierte, dass diese Erde viel größer ist, als alle glaubten. Stefan Zweig beschrieb seine Tat sehr viel später gar als „Sternstunde der Menschheit“. Was eine sehr europäische Sicht der Dinge ist. Jetzt wird in seiner spanischen Heimat gar das Año de Balboa begangen, sein Jahr. Damals erntete er nicht nur Ruhm. Im Grunde kostete ihn das Unternehmen schließlich sogar den Kopf.

Der Reihe nach: Christoph Kolumbus entdeckte 1492 Amerika. Er hatte nur leider keine Ahnung, wo er sich gerade befand. Nicht auf dieser Reise, nicht auf der zweiten, dritten, nicht einmal auf seiner vierten und letzten. Stets glaubte Kolumbus, Indien und China wären ganz nah. Vor allem China galt den europäischen Mächten damals, ähnlich wie heute, als Jackpot. Den spanischen Zeitgenossen schwante jedoch bald, dass dieses neu entdeckte Land etwas anderes sein musste und den ersehnten Weg nach Asien blockierte. Ein lohnendes Ziel war es trotzdem. Zumal diese Welt von Leuten bewohnt wurde, die nach verbreiteter Rechtsauffassung beraubt werden durften. Es wurden sogar gelehrte Auseinandersetzungen darüber geführt, ob es sich wirklich um Menschen handelte.

Balboa kam aus der Extremadura, einer Provinz im Südwesten der spanischen Halbinsel. Jahrhunderte wurde diese Ecke Europas von Muslimen beherrscht. Und die Extremadura war besonders umkämpft. Er war der dritte von vier Söhnen eines spanischen Landedelmannes. Ungünstig für ihn, denn das spanische Erbrecht sah vor, dass der Besitz an den Erstgeborenen überging. Alles, worauf er hoffen konnte, war eine solide Ausbildung. Balboa erlernte von klein auf das Kriegshandwerk an allen Waffen seiner Zeit. Und als er seine Ausbildung mit 17 Jahren abschloss, war er ziemlich gut darin. Es brauchte ihn nur niemand, denn der Krieg gegen die Muslime in Spanien ging mit deren Niederlage zu Ende.

Das war der Moment, in dem Kolumbus aus der neuen Welt zurückkehrte. Und die verhieß jenen, die etwas wagen wollten, eine Riesenchance. Rodrigo de Bastidas war so jemand. Der Notar aus einem Vorort von Sevilla erwarb eine Lizenz der spanischen Krone, die es ihm erlaubte, auf seine Kosten Schiffe auszurüsten, über den Atlantik zu fahren, für Spanien Länder zu entdecken und sich ihrer Schätze zu bemächtigen. Wenn er davon ein Fünftel zu Hause abgab.

Vasco Núñez de Balboa hatte kein Geld für solch eine Lizenz. Er hatte sich bis dahin als Leibwächter und Fechtlehrer durchgeschlagen, gehörte zu einer anderen Kategorie, die sich ebenfalls in der neuen Welt etwas ausrechnete: den Verlierern, die bereit waren, für eine neue Chance alles zu riskieren.

Balboa engagierte sechs Söldner und schloss sich Bastidas Expedition als bewaffneter Begleitschutz an.

Das Unternehmen wurde zum Fiasko. Zwar erreichten sie Teile des heutigen Kolumbiens und Panamas. Aber gingen die Spanier an Land, kamen sie kaum über den Strand hinaus. Normalerweise konnten die Pfeile der Eingeborenen den gerüsteten Söldnern nicht viel anhaben, hier war das anders. Die Indios tauchten ihre Pfeile in den giftigen Saft einer Pflanze, wie der zeitgenössische Chronist Peter Martyr berichtete. Überdies setzte der in den karibischen Gewässern verbreitete Schiffsbohrwurm den hölzernen Planken so sehr zu, dass die Rümpfe bald durchlöchert waren wie ein Sieb. Auf ihrer Rückkehr sanken beide Schiffe vor der Insel Haiti, damals Hispaniola, ein großer Teil der Beute ging verloren.

Immerhin, als Bastidas die Rückkehr nach Spanien gelang, war er vermögender als je zuvor. Balboa blieb auf Haiti zurück, wo sich bereits eine Menge Spanier niedergelassen hatten, und versuchte sich als Schweinefarmer.

Die Extremadura ist heute noch bekannt für ihren Schweineschinken. Die Tiere werden mit Eicheln gefüttert. Auf Haiti gibt es keine Eichen. Jedenfalls lief es nicht besonders, Balboa verschuldete sich. Und als Schiffe ausgerüstet wurden, die neue Kolonie an der Küste des heutigen Panama zu verstärken, Spaniens erste Niederlassung auf dem amerikanischen Festland, da wollte er mit. Was seine Gläubiger nicht zuließen. So trat Vasco Núñez de Balboa, inzwischen 35 Jahre alt und pleite, am 1. September 1510 die Reise zum amerikanischen Festland in einer Tonne an.

Als er entdeckt wurde, hatte er genügend Fürsprecher, die auf den Kommandanten einredeten. Der war wieder wie ehedem Bastidas ein Jurist, der viel Geld in diese Expedition gesteckt hatte, aber mit den praktischen Härten des Lebens weniger vertraut war. Einen wie Balboa, der die Küste von Panama schon kannte, würde man brauchen können, hieß es. Balboa wurde nicht ausgesetzt. Eine Entscheidung, die der Kommandant noch verfluchen sollte.

Die panamaische Niederlassung erwies sich als ungünstig gelegen und schlecht versorgt. Der Ort war nicht zu halten. Balboa empfahl einen besseren Platz, den er von seiner Fahrt mit Bastidas kannte, der allerdings von feindseligen Eingeborenen kontrolliert wurde. Zwei Monate später waren die Indianer besiegt, der alte Gouverneur ebenso abgesetzt wie sein Kapitän und Balboa von den Siedlern zum neuen Anführer gewählt.

Der machte sich daran, die Umgebung zu erkunden. Balboa war brutal genug, benachbarte Stämme, wo er konnte, zu unterwerfen, und klug genug zu erkennen, dass die Spanier sich ohne Verbündete nicht würden halten können. „Vasco Núñez“, schreibt ein spanischer Zeitgenosse, „hat großes Geschick darauf verwandt, mit den wichtigsten Herrschern der Indianer Frieden zu schließen.“ Er nahm sogar die Tochter eines Häuptlings zur Frau, und als ein Überfall drohte, war sie es, die die Spanier warnte.

Balboa gehörte damit – wenn auch aus Kalkül – schon zu den Ausnahmen unter den Eroberern seiner Zeit, wie der Schweizer Historiker Urs Bitterli schreibt, der die Entdeckung Amerikas durch die Spanier in einem Standardwerk ansonsten außerordentlich kritisch beurteilt. Außerdem konnte Balboa lesen und schreiben, was ihn beispielsweise von Francisco Pizarro, dem Eroberer Perus, unterschied. Und so verfasste er am 20. Januar 1513 einen langen Brief an den spanischen König. Darin beschrieb er als erster Europäer die Beschaffenheit des neuentdeckten Festlandes. Und er vergaß nicht, auf die eigene Leistung hinzuweisen.

Niemals, schrieb Balboa, habe er seine Leute da rausgehen lassen, ohne ihnen voranzuschreiten, „Tag und Nacht, durch Flüsse und Sümpfe“. Das sei kein Spaß gewesen, nackt, zwei oder drei Meilen durchs Wasser, die Ausrüstung über dem Kopf balancierend. „Und wenn wir raus waren aus dem Sumpf, kamen wir in den nächsten, und auf diese Weise rückten wir vor, zwei und drei und zehn Tage.“ Große Schätze habe man Majestät auf diese Weise gesichert, auch wenn man oft glücklicher gewesen wäre, einen Korb Mais als einen voll Gold einzutauschen. Wenn er, Vasco Núñez de Balboa, sich nicht darum gekümmert hätte, dann gebe es jetzt keine Kolonie mehr. Das ging eindeutig gegen seine Vorgänger, denen er unterstellte, ihre Zeit zu Hause oder gar im Bett verbracht zu haben. Weshalb sie ja auch abgesetzt worden waren.

Balboa wusste, dass zumindest einer seiner beiden Vorgänger in Spanien Klage gegen ihn führte, der andere ging mit seinem Schiff auf dem Heimweg unter. Beide hatten die Gunst des Königs, beide hatten das verbriefte Recht zur Führung dieser Kolonie besessen.

Doch Balboa hatte noch einen Trumpf: Er habe sichere Kunde, dass es im Hinterland nicht nur Berge voller Gold gebe, nein, dort befinde sich auch noch ein anderes Meer.

Tatsächlich war Balboa während seiner letzten Expedition auf ein Volk gestoßen, das den Spaniern eine ansehnliche Menge Gold geschenkt hatte – vermutlich auch, um die wieder loszuwerden. Als die Spanier bei der Verteilung in Streit gerieten, lachte der Sohn des Häuptlings, weil es doch jenseits der Berge noch viel mehr davon gebe, dort am Ufer des anderen Ozeans. Allerdings wäre der Weg beschwerlich, die Eingeborenen feindlich, und Balboa würde tausend seiner Krieger brauchen, ihn zu meistern.

Dieser andere Ozean beflügelte die Fantasie der Spanier, die seit 20 Jahren eine Passage suchten und sich sicher waren, dahinter musste ein anderes Meer sein, durch das man endlich den ersehnten Weg nach Indien und China finden würde. Balboa wusste, diese Nachricht würde ihre Wirkung nicht verfehlen. Waren doch die Portugiesen, die größten Konkurrenten der Spanier, inzwischen schon bis zu den Molukken vorgedrungen.

Gebt mir 500 Mann, schrieb Balboa an den spanischen König, 200 Armbrüste und zwei Dutzend Gewehre, aber solche mit Läufen aus Stahl, nicht aus Eisen, die würden bei dem ewigen Regen und der hohen Feuchtigkeit zu schnell verrosten. Damit würde er die Küste erreichen und für die Krone erobern.

Der Brief erreichte Ferdinand II. im Mai 1513. Ein zweiter Bote, der auch Gold und Perlen bringen sollte, kam nie in Spanien an. Der König reagierte trotzdem. Er ließ eine Expedition ausrüsten, mit 1200 Mann, angeführt von Pedro Davila, der Balboa seines Amtes entheben sollte. Die Entdeckung des neuen Ozeans war zu wichtig, als dass man sie dem Mann aus der Tonne überlassen wollte.

Fraglich, ob Balboa im fernen Panama wusste, was genau in Spanien vor sich ging, zumindest ahnte er es. Im August, Davila war noch nicht in Sicht, entschloss er sich, nicht länger zu warten. Balboa brachte 190 Mann zusammen, außerdem verfügte er über drei Dutzend Molosser, riesige Hunde, die von den Indianern außerordentlich gefürchtet wurden. Am 1. September 1513 brach der Trupp auf. Vor ihnen lagen nur 80 Kilometer, was sie aber nicht wissen konnten. Alle Karten jener Zeit zeigten nur die wenigen bekannten Teile der Ostküste des amerikanischen Kontinents, der Rest war Hörensagen oder schiere Fantasie.

Die Truppe musste die Kordilleren überwinden, an jener Stelle bis zu 1800 Meter hoch. Der Dschungel ist dort heute noch dicht, sie mussten sich mit ihren Schwertern oder Hackmessern den Weg freischlagen. War ein Fluss zu überwinden, mussten Brücken gebaut werden. Stießen sie auf Dörfer, gab es keine Nahrung, denn die Bewohner waren längst weggelaufen. Balboa ließ sie einfangen und machte ihnen Geschenke. Er wusste, er würde diesen Weg auch wieder zurückgehen müssen. Eingeborene, die sich in den Weg stellten, bekämpfte Balboa mit äußerster Brutalität. 600 Indianer ließ er in einem Fall zusammenschießen, den Kaziken und seine Unterführer von den mitgeführten Hunden zerfleischen. Alles Sodomiten, ließ er seinen Chronisten notieren, aufgegriffen in Frauenkleidern bei unzüchtigen Handlungen. Ein damals gängiger Vorwurf, ähnlich oft erhoben wie der des Kannibalismus. Beides berechtigte den Eroberer nach christlicher Sicht zu unbarmherziger Härte.

Am 25. September 1513 um zehn Uhr früh, nach über drei Wochen, sichtete Balboa vom Gipfel eines Berges aus das Südmeer, wie er es nannte. Vier Tage später erreichte er den Strand, ihn begleiteten noch 26 Mann, die anderen hatte er krank oder erschöpft zurückgelassen. Balboa wusste den Augenblick zu inszenieren. Er lief als Erster ins Wasser, Fahne und Kreuz in der Hand. Ein Notar beglaubigte den Moment, und die Namen aller 26 Begleiter wurden als Zeugen festgehalten, unter ihnen Francisco Pizarro.

Die Nachricht von der Entdeckung des neuen Ozeans durch einen Spanier sprach sich erstaunlich schnell bis nach Europa rum. Der spanische König schickte Davila einen Boten hinterher. Balboa wurde zum Adelantado des Südmeers ernannt, und Davila, den der König eben noch zum Chef der Kolonie gemacht hatte, musste sich nun mit einem gleichrangigen Vize arrangieren.

Das war nicht das letzte Wort. Balboa hatte bereits ein neues Ziel vor Augen. Viermal durchquerte er Panama, die Eingeborenen hatten ihm von einem Reich im Süden erzählt, das sie Biru nannten. Er gab Auftrag, Schiffe zu bauen, wollte dieses Meer befahren.

Davila bestellte darauf seinen Vize ein, vorgeblich zur Besprechung des weiteren Vorgehens. Tatsächlich ließ er ihn verhaften, ein Befehl, den Francisco Pizarro ausführte. Er wurde wegen Kompetenzüberschreitung angeklagt, die man ihm als Hochverrat auslegte, und nach kurzem Prozess wurde Vasco Núñez de Balboa in der Hauptstadt der Kolonie hingerichtet.

Heute erinnert in Panama eine Statue an Balboa, errichtet 1913, zum 400. Jahrestag der Entdeckung des Südmeers. Pedro Davila wurde 1526 wegen ungerechter Amtsführung seines Postens enthoben und ging als Pedro der Grausame in die Geschichte Panamas ein. Francisco Pizarro zog nach Biru oder Peru, vernichtete dort das Reich der Inka und ließ ihren letzten Herrscher nach Bezahlung des Lösegeldes, es handelte sich um ein Zimmer voll Gold, ermorden.

Das Südmeer bekam schon bald einen neuen Namen. Am 28. November 1520 gelang Fernando Magellan die Durchfahrt einer Wasserstraße an der Südspitze Südamerikas. Nach schwersten Stürmen lag die See spiegelglatt vor ihm. Vom Ausmaß hatte auch er keine Vorstellung. Tatsächlich umfasst dieses Meer die Hälfte allen Wassers auf der Erde. Und weil es so ruhig war, nannte Magellan es den friedlichen, den Pazifischen Ozean.

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