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Manche Paketboten werfen lieber Abholkarten in die Briefkästen.

© imago/Winfried Rothermel

Paketdienste in Berlin: Bis der DHL-Bote auch wirklich mal klingelt

Sie sieht, wie das Postauto vor dem Haus hält, eilt zur Tür. Wo ist er? Unsere Kolumnistin wartete auf eine Paket-Abholung - und jagte ihrem Boten hinterher.

Von Maris Hubschmid

„Ich glaube, da ist er!“, schreit unsere Freundin. „Direkt gegenüber! Lauf!“ Ohne Jacke sprinte ich die Treppen hinunter, aus der Tür, über die Straße. Als ich mich auf wenige Meter angenähert habe, klettert die Zielperson auf den Fahrersitz und fährt davon.

Die Verfolgungsjagd beginnt mit der Buchung einer Paket-Abholung bei DHL. Für die Ausgangslage kann das Unternehmen nichts: Ein neues Sideboard war gewollt, erst wurde es in der falschen Farbe geliefert, dann kaputt. Da versperren also zwei überdimensionierte Pakete unseren Flur, die wir kaum bewegen können. Für drei Euro kaufen wir uns die Bequemlichkeit, das auch nicht tun zu müssen.

Tag 1. Ich sehe, wie das Postauto vor unserem Haus hält, eile zur Tür. Der Bote soll nicht sagen können: Da hat keiner aufgemacht. Ich habe extra freigenommen. Doch er klingelt nicht. Als ich wieder ans Fenster trete, ist der Wagen weg. Tag 2: Ich habe mich beschwert, auf Abholung am Folgetag gepocht. Mein Mann ist den ganzen Tag zu Hause. Die Pakete auch. Ich buche den Service erneut, schwöre die Verkäuferin des Spätis, bei dem der Zusteller Pakete endlagert, darauf ein, ihn zu mir zu schicken. „Ja, ja“, sagt er ihr. Tag 3: Flur bleibt voll.

Früher hatten wir einen prima Paketboten , wenn man davon absieht, dass er sich gelegentlich in unserem Hof erleichterte. Den Neuen treffen wir nicht oft. Dass die Möbelteile uns überhaupt erreicht haben, ist der Tatsache geschuldet, dass Hermes sie gebracht hat. Am Wochenende wollen Freunde bei uns übernachten, ich brauche Platz. Den DHL-Mann zu stellen, wird zur fixen Idee. Ständig meine ich, ihn aus dem Augenwinkel zu sehen. Dann ist es doch wieder nur eine gelbe Regenjacke, eine Recyclingtonne im Vorgarten.

Wieso hat keiner geklingelt?

Tag 4: Die Freunde sind bereits eine Nacht über die Pakete ins Bad geklettert, als unsere Freundin am Fenster stehend den Gesuchten erspäht. Zwei Stunden nach dem erfolglosen Spurt hole ich eine Wasserflasche vom Balkon – als ich einen Post-Transporter in die Späti-Straße biegen sehe.

Bundesjugendspiele ’98? Wann bin ich zuletzt so gerannt? Mein ganzes Dasein ein Bestreben: diesen Mann zum Tragen zu jagen. Da, das Fahrzeug. Wo ist er? Die Hecktür öffnet sich. Ein breites Grinsen. Keine Scham? „Ach, du. Bei dir sollte ich was abholen, ne?“ Mache er gleich, gebe nur eben die Pakete ab. Während er sie mit seiner Karre in den Laden fährt, halten ihm zwei Anwohner Benachrichtigungskarten hin. „Ich war doch zu Hause! Wieso hat keiner geklingelt?“ „Habe ich“, beteuert er.

„Bei mir nicht“, sage ich. „Zu viel im Kopf“, sagt er achselzuckend, „vergessen.“ Viermal in Folge? „Komme gleich.“ „Nein“, beharre ich, „ich gehe nicht, ehe Sie die Pakete abgeholt haben.“ Er guckt irritiert. Auf mich. Auf sein Auto. „Nur ein Sitz“, sagt er. „Ist mir egal“, sage ich.

„Wenn du das nächste Mal was erwartest, schick eine Whatsapp“

Eine Hand, die mir gereicht wird. Schon stehe ich im Laderaum zwischen grauen Regalreihen. Zwei Pakete stapelt er mir höflich zu einem improvisierten Beifahrersitz. „Und wer wartet darauf?“ Die Frage ignoriert er. Startet den Motor, wir ruckeln los: Um die Ecke, zwei Blocks rechts. Den Rest seiner Tour.

Schließlich die außerplanmäßige Schleife. Als wir vor meinem Haus stoppen, hält er mir einen Zettel hin. „Meine Handynummer. Wenn du das nächste Mal was erwartest, schick eine Whatsapp. Dann klingle ich.“ – „Du klingelst, wenn du etwas für uns hast! Eine Abholung gebucht wurde! IMMER!“, schreie ich und nehme die Nummer trotzdem.

Voller Genugtuung sehe ich zu, wie er die Pakete die Treppen hinunterhievt. Ein bisschen Mitleid ist auch dabei.

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