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Alter Charme. In Bad Gastein kurten Kaiser und Könige in für die damalige Zeit schicken Jugendstilhotels.

© Manuel Markt

Österreich: Bad Gastein ist das neue Berlin

DJs, Rapper und andere Lebenskünstler lernen hier, zu entspannen und die Alpen zu lieben. Wie die Berliner Clubszene Sisis einstiges Refugium für sich entdeckt.

Normalerweise weiß er ein halbes Jahr vorher, welche Stadt gerade die besten Sushi-Restaurants und Kellerclubs hat. Doch wovon redet er heute? Von Bergen! Till Harter sitzt am Kamin und trinkt Champagner. Der 47-jährige Berliner ist Nachtlebenphilosoph, Partyorganisator und Hotelexperte in einem, er trägt wirklich fast immer einen Borsalino auf dem Kopf und ein feines Lächeln im Gesicht. Und wo loungt Harter mit seinem langstieligen Glas? Im österreichischen Kötschachtal, in der schönsten Sackgasse der Alpen.

Bad Gastein, eine Stunde Autofahrt südlich von Salzburg, und Harter ist nicht allein. Seine halbe Berlin-Clique kommt regelmäßig her. Der Sänger Friedrich Liechtenstein („Supergeil“) hat dem Städtchen kürzlich ein Album gewidmet. Fanta-Vier-Rapper Michi Beck macht hier Urlaub. Die Gründer der „Bar 25“ feiern manchmal im sogenannten Hippie-Haus an der Kaiser-Wilhelm-Promenade. Auch Till Harter hat zu Feierlichkeiten geladen, zu einem Pop-up-Event im Hotel „Grüner Baum“, bevor der Laden wieder seine Türen öffnet. Zwei Wochen Party, Champagner und nur die besten Leute. Was praktisch bedeutet: ein Berliner Klassentreffen.

Er brauchte nicht lange werben. Als er im Dezember ein Bild des Ortes auf Facebook postete, verbunden mit der Frage, wer Lust habe, zu kommen und vielleicht auch zu helfen, da bekam er so viele Likes „wie sonst nur bei Babybildern“, sagt er. Harter glaubt, es liege daran, dass Menschen seiner Generation gerade die Berge entdeckten. Jahrelang habe man mit Billig- oder Nichtbilligfliegern die große weite Welt erkundet, sich bis zur Erschöpfung an die schönsten Strände der Welt geschleppt und die Alpen höchstens überflogen. „Die waren spießig, man dachte sofort an Heimatfilme.“ Inzwischen suchen dieselben Leute Nachhaltigkeit und Lebensqualität. Und auch ein bisschen Ruhe nach dem Club-Marathon in ihrem früheren Leben.

Ist ja wie Berlin-Mitte früher

Till Harter kam vor sechs Jahren das erste Mal nach Bad Gastein, 4000 Einwohner, 8000 Hotelbetten, sah das ehemalige Kaiserbad, in dem Sisi, Franz Joseph, Bismarck, Kaiser Wilhelm und Grillparzer badeten, nacheinander, nie gleichzeitig, und dachte angesichts der verblichenen Jugendstilpaläste sofort: Ist ja wie Berlin-Mitte früher.

Das war der Spielplatz, auf dem er groß geworden ist. 1990 zog er von Freiburg in die wiedervereinte Ruinenstadt, bildete sich in Clubs wie dem „Eimer“ oder „WMF“ fort, bevor er seine eigenen Läden, „Club 103“ und „Bar Tausend“, eröffnete. Damals standen viele Gründerzeithäuser in Mitte leer, heute verblühen Prachtbauten in Bad Gastein.

Der frühere Clubbetreiber Till Harter aus Berlin holt regelmäßig seine halbe Clique nach Bad Gastein.
Der frühere Clubbetreiber Till Harter aus Berlin holt regelmäßig seine halbe Clique nach Bad Gastein.

© Privat

Am nächsten Morgen will er einige davon auf einem Spaziergang zeigen, damit man versteht, was den Ort so einzigartig macht. Er wartet schon vor dem verschneiten Hotel, das wie eine dreigeschossige Berghütte ausschaut. Früher haben hier Kohl und Weizsäcker übernachtet, dann ging der Betrieb pleite, jetzt sollen nach dem Willen der neuen Pächter stilgeschulte Großstädter rein. Hipster, Designfans, Lebenskünstler. So jemand wie Tyler Brûlé, der kanadische Journalist, der das Lifestyle-Magazin „Monocle“ gegründet hat und erklärter Fan von Bad Gastein ist. Vor zwei Jahren verkündete er bereits seinen Lesern: „Bad Gastein ist das neue Berlin.“

Vor dem „Baum“, wie hier alle sagen, stapft das alte Berlin, das einmal das neue New York war, in Gestalt von Harter durch den Schnee. Die knorrige Kastanie vor dem Hotel schläft nackt durch den Winter, der Boden ist rutschig, und an Harter sitzt der Hut wie angegossen. Funktionskleidung sieht anders aus.

Liza Minnelli und Falco waren hier

Seine Nase läuft, während er die Geschichte von Aufstieg und Niedergang Bad Gasteins erzählt. Von den noblen Gästen, die im 19. Jahrhundert wegen der heilenden Thermalquellen kamen, von den Wintersportlern, die in den 1970er Jahren weniger wurden, weil Bad Gastein eben nicht eines der besten Skigebiete hat. Harter geht nahtlos über zu den Kurpatienten, die in den 1980er Jahren die Hotels füllten, als die Krankenkassen noch Geld hatten. Geblieben sind Erinnerungen an Liza Minnelli, Shirley Bassey und Falco, an extravagante Persönlichkeiten.

Auf dem glatten Nadelwaldpfad kreuzt ein schwarzes Eichhörnchen den Weg. Als Harter in der Hosentasche kramt, hopst es heran. „Die kannst du auch im Volkspark Friedrichshain sehen“, sagt Harter, mäßig beeindruckt. Dann stellt sich das Tier auf die Hinterbeine, die Ohren steil nach oben. „Ganz schöner Styler.“ Hat Till Harter gerade sein Ebenbild in der alpinen Fauna getroffen?

Der Weg wird zur Kaiser-Wilhelm-Promenade, an der nach einer halben Stunde Spaziergang die ersten Sehenswürdigkeiten stehen. Links das Café „Schuh“, das die Eltern von Christiane Hörbiger für ihre Tochter gekauft hatten, bis die Wienerin doch lieber Schauspielerin wurde – und in dem seit 37 Jahren ein austroitalienisches Paar die verrücktesten Torten der Stadt verkauft. Marzipan- Mohn-Pistazien, Eierlikör-Sahne, Pannacotta-Heidelbeere.

Kuchen, Kokain, Kirche

Die Gäste aus dem Boutiquehotel „Regina“ schauen durch die Panoramafenster auf die Stadt.
Die Gäste aus dem Boutiquehotel „Regina“ schauen durch die Panoramafenster auf die Stadt.

© Das Regina

Gleich gegenüber lottert das Hippie-Haus vor sich hin, ein viergeschossiger Jugendstilkasten am Hang, in dem die Besitzer Gleichgesinnte aufnehmen. Das heißt, man sollte lieber seine eigene Bettwäsche mitbringen und Gemeinschaftstoiletten mögen. Till Harter geht hinein. Lange Flure, Wäsche hängt auf Ständern, alle Türen sind verschlossen, niemand ist zu sehen.

Silvester fand hier eine legendäre Goa-Party statt, an diesem Tag gibt es höchstens eine legendäre Geruchsnote: die von muffigen Laken. Auf der anderen Straßenseite talwärts wacht eine katholische Kirche über die geistige Erbauung der Einwohner. Was für eine praktische Abfolge von Stationen den Hang hinab: Kuchen, Kokain, Kirche. Erst sündigen, dann beichten.

Harter geht wieder hinaus. Mindestens drei zugesperrte Hotels passiert er, die alle gut ein „Grand Budapest Hotel“ werden könnten. Man müsste nur zu träumen wagen und das nötige Kleingeld haben. Bis zu zehn Etagen hoch stapeln sich Zimmer, an der Fassade bröckelt verblasstes Habsburgergelb, Bauzäune sollen Neugierige abhalten. Bauzäune ziehen Till Harter magisch an. Er will sofort hinüberklettern. Zeigt auf eine Tür im Untergeschoss. Wo andere nur eine marode Treppe in den Keller sehen, stellt er sich schon den Eingang zu einem coolen Club vor.

Der berühmte Wasserfall von Bad Gastein teilt den Ort. Hoch vom Felsen stürzt er sich ins Tal, unten führt eine Fußgängerbrücke über das tosende Wasser. Harter biegt ins Gebüsch ab, stoppt vor einem versteckten Betonverschlag. Darin ist ein kleines Bad in den Stein eingelassen, heißes Wasser dampft aus der Naturwanne heraus, heruntergebrannte Kerzen kleben an den Sockeln. „Nachts ist das hier eigentlich ganz romantisch“, sinniert er, offensichtlich in einer Erinnerung versunken.

Passt gut zum Kamin: Soul und R&B

In den vergangenen Jahren hat Harter weniger Clubs als Hotels gestaltet. Mit der Crew der „Bar 25“ einen Strandclub im mexikanischen Tulum eröffnet sowie Hotelprojekte in Rio und Lissabon realisiert. Jetzt hilft er den Besitzern des „Grünen Baum“, die ersten Schritte als Alpendesignhotel zu machen. Es ein paar Nächte zu bespielen, die holterdipolter umgestalteten Räume (in kräftigen Farben gestrichen, das Mobiliar aus den Zimmern bis auf die bunt lackierten Bauernbetten rausgeschmissen) einzuweihen. Harter sagt: „Die Hotellerie ist die Weiterführung des Nachtclubs mit anderen Mitteln.“

Die Entourage ist jedenfalls dieselbe. Zum Beispiel Joel Isaac Black, den Harter das „Jewish kid from Texas“ nennt, legt in Berlin Platten auf und fungiert nun als DJ für die freundliche Übernahme. Da ist „Grumpy Frank“, Frank Rübcke, ein grummeliger Typ aus Hamburg, der die ganze Zeit auf seinen Laptop starrt. Er soll eine Songliste für den „Baum“ erstellen, eine musikalische Ortsbestimmung. Auf seiner Playlist „Edelweiss Casino“ findet sich viel Soul und R&B. Passt gut zum Kamin, neben dem das DJ-Pult von Joel steht. Feuer, Funken, Kabel.

Der Spaziergang von Till Harter endet im Hotel „Regina“. Die beiden Betreiber haben auch den „Baum“ übernommen. Brûlé schaut hier regelmäßig vorbei, um zu sehen, wie weit das neue Berlin ist. Vermutlich genießt er, wie Harter, den Blick durch die Panoramafenster im Wintergarten, aus denen man die beste Sicht auf die Stadt hat. Wie hingeblättert liegt sie vor einem. An manchem Felsen hat sich abtropfendes Schmelzwasser in eine bizarre Eiszapfenarmee verwandelt. Die beiden Hunde der Betreiber schleppen sich durch das Foyer. Ein alter Dalmatiner und ein etwas jüngerer Mischling, die „Tibetanische Bracke“, wie sie getauft wurde.

Schnitzel und Kaiserschmarrn überall

In dem Boutiquehotel hat die Renaissance von Bad Gastein begonnen. Olaf Krohne übernahm das Haus 2009 und legte erst mal die schönen Holzböden frei. Der 43-Jährige ist Hamburger und hat sich bereits früh in Bad Gastein verliebt. „Als Kind habe ich gedacht, so wie hier müsste New York aussehen.“ Und ja, wenn man unterhalb des alten „Grand Hotel de l’Europe“ steht, den Kopf in den Nacken legt, die aufragende Felswand erblickt, schließlich die stolze Fassade und erst dann den winterblauen Himmel, hält man Wolkenkratzer für eine Erfindung der Alpenländler.

Man kann sich auch gut vorstellen, wie Bad Gastein für das gut ist, was nach dem Absturz kommt: die Rekonvaleszenz. Nach der Goa-Party in die Felsentherme gehen, sich in das Badewannenwasser des Außenbeckens legen und von den Skigondeln zum Stubnerkogel hoch hypnotisieren lassen, ein ständiges Auf und Ab von orangefarbenen Kabinen. Das hat etwas leicht Psychedelisches, ohne unangenehme Nebenwirkungen.

Till Harter malt sich philosophische Konferenzen und ganzheitliche Retreats im Ort aus. Nur eine Sache, die störe. Das kulinarische Angebot in Bad Gastein sei doch sehr einseitig, Schnitzel und Kaiserschmarrn überall. Im „Regina“ träumt man von einem österreichischen Ramen-Laden oder veganen Fusion-Restaurant.

Reisetipps für Bad Gastein

Hinkommen

Easyjet fliegt mittwochs, freitags und sonntags von Schönefeld nach Salzburg, das billigste Hin- und Rückflugticket ist ab 90 Euro zu haben. Von Salzburg mit dem Zug etwa 90 Minuten weiter oder gleich die gesamte Strecke mit der Bahn fahren. Dank der neuen Schnellverbindung nach München geht es schon in knapp siebeneinhalb Stunden nach Bad Gastein. Den Spartarif gibt es auf dieser Strecke ab 160 Euro für die Hin- und Rückfahrt

Unterkommen

Das Hotel „Grüner Baum“ liegt etwa zwei Kilometer außerhalb von Bad Gastein, direkt am Eingang des Naturschutzgebiets. Die Preise beginnen ab 148 Euro pro Nacht im Doppelzimmer, (Buchungen unter hotelgruenerbaum.com).

Das „Regina“ mit 32 Zimmern liegt zentral im Ort und kostet ab 128 Euro pro Nacht (dasregina.com). Mit ein wenig Glück kann man dort bei einem Glas Chardonnay mit „Monocle“-Chef Tyler Brûlé über die Hundebilder in der Bibliothek plaudern. Die hat nämlich seine Mutter gemalt.

Rumkommen

Die Felsentherme ist an Abreisetagen im Winter erstaunlich leer. Drei Stunden kosten 24 Euro, der Eingang ist gleich gegenüber dem Bahnhof. Noch mehr Infos über die Region unter gastein.com

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