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Nicht mehr am Ball: Mesut Özil ist aus der Nationalelf zurückgetreten.

© Kenta Jönsson/Bildbyran via ZUMA Press/dpa

Moritz Rinkes Kolumne: Die Deutschen haben Mesut Özil nicht verdient

Ein SPD-Politiker twittert „Ziegenficker“, ein DFB-Präsident erweist sich als rechter Mitläufer: Ich würde aus so einer Gesellschaft auch zurücktreten. Eine Kolumne.

In Antalya bin ich seit dem gescheiterten Militärputsch wieder das erste Mal. Im Juli 2016 wohnte ich in der Putschnacht im Stadtzentrum und beschäftigte mich mit Radikalisierungen in Religionen am Beispiel Luthers, während im Fernsehen Männer mit türkischen Fahnen zu sehen waren, die auf den Brücken Istanbuls junge Männer abstachen, die in ihren Uniformen als feindliche kemalistische Putschisten galten.

Heute gibt es auf der neugebauten Promenade im Stadtteil Konyaalti Gedenktafeln mit Bildern der Putschnacht. Sie sehen aus wie von Delacroix gemalt, nur keine Französische Revolution, sondern auf jedem Foto ist der türkische Präsident abgebildet.

Die Russen sind auch wieder an den Stränden. Vor zwei Jahren gab es sie kaum noch, nachdem der russische und der türkische Präsident aneinandergeraten waren, das türkische Militär hatte ein russisches Flugzeug abgeschossen. So etwas schaffen auch nur richtige Herrscher, ein Wort von Putin – und Erdogans Strände waren leer.

Deutsche Zeitungen gibt es keine mehr. Nicht mal „Bild“, dabei hatte sie mit ihrer Özil-Hetze dem türkischen Präsidenten den größten Gefallen getan.

Das ist jetzt ihr Özil!

Vor ein paar Tagen lief ich mit meiner alten „Spiegel“-Ausgabe auf der Promenade. Auf dem Titel war das Bild von Mesut Özil. Irgendwann rannten ein paar Kinder hinter mir her und fragten, ob ich ihnen das Özil-Heft schenken könne.

Das sei aber auf Deutsch, sagte ich. „Das macht nichts“, antwortete ein Junge. Er schaue auch die Spiele von Özil bei Arsenal London auf Englisch. Aber es ginge in der Zeitschrift gar nicht so sehr um Fußball, antwortete ich, sondern um seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft. „Wenn die Deutschen Özil nicht mehr wollen, musst du uns das Magazin geben“, sagte der andere Junge und machte ein ernstes Gesicht. Schließlich gab ich ihnen das Heft. Sie lachten und liefen mit der Trophäe davon.

Irgendwie waren diese mit meinem Heft weglaufenden Antalya-Kinder der Schlusspunkt der erschreckenden Özil-Debatte. Recht hatten sie, dachte ich, das ist jetzt ihr Özil! Die Deutschen haben diesen begnadeten, freilich sehr undeutsch, eher mühelos und flüchtig spielenden Özil nicht verdient.

Deutsche Rassisten bestrafen

Wenn sich der deutsche Stammtisch in höchsten Stellen ausbreitet, ein SPD-Politiker „Ziegenficker“ twittert, ein Bayern-Boss dem Deutschtürken auf dem Platz spielerisch nur „Dreck“ bescheinigen und sich ein DFB-Präsident als rechter Mitläufer erweist, würde ich ebenfalls zurücktreten aus so einer Gesellschaft, auch wenn jenes Foto mit dem Präsidenten ein Fehler war.

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Als die Kinder mit Özil am Strand verschwanden, wünschte ich mir sogar, dass Özil eines Tages für die Türkei auflaufen und Deutschland im Olympia-Stadion besiegen würde – so wie er 2010 die Türkei mit seinem Tor besiegt hatte.

Deutsche Rassisten mit türkischen Özil-Toren zu bestrafen, ist allerdings irrsinnig. Da gibt es nämlich den ehemaligen deutsch-kurdischen U21-Nationalspieler Deniz Naki, der bei Amedspor in der Kurdenmetropole Diyarbakir spielte, bei Friedenskundgebungen auftrat und dann in der Türkei diskriminiert und vom Fußballverband lebenslang gesperrt wurde. Unbekannte schossen Anfang des Jahres in Deutschland auf ihn, im März trat er vor dem UN-Gebäude in Genf in einen Hungerstreik, um gegen die Offensive des türkischen Militärs in Nordsyrien zu demonstrieren. Die Türkei hat also einen noch viel dramatischeren Fall Özil.

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