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Lauter Leute. Vom 2. bis zum 4. August findet in diesem Jahr das Wacken-Festival statt.

© imago/Eibner

Metal-Festival: Seelsorge in Wacken: Wenn’s kracht

Heavy-Metal-Fans sind harte Typen. Aber auch sie haben mal Liebeskummer. Hier erzählt eine Seelsorgerin von ihrer Arbeit auf dem Festival in Wacken.

Ich bin schon als junger Mensch gerne auf Festivals gegangen. Im Jahr 2000 war ich auf dem „Roskilde“ in Dänemark beim Konzert von Pearl Jam, wo acht Menschen zu Tode kamen. Das war ein furchtbares und einschneidendes Erlebnis für mich. Als mich vor einigen Jahren ein Kollege fragte, ob ich Lust hätte, bei der Seelsorge in Wacken mitzumachen, habe ich deshalb sofort Ja gesagt. Ich kenne das Gefühl, wenn man auch mal Ruhe und einen zum Reden braucht, während alle anderen Party machen. Man kann auf so einer Massenveranstaltung unglaublich einsam sein.

Wacken ist für mich etwas ganz Besonderes, mein Highlight im Jahr. Die Atmosphäre, der Schlamm, der Geruch, das alles ist sehr speziell. Die Leute sind unheimlich freundlich und gut drauf. Die sind nicht so überkandidelt spaßig wie auf anderen Festivals, sondern haben eine gewisse Würde und Ernsthaftigkeit. Alle sind total tolerant, jeder kann so sein, wie er ist – das finde ich richtig gut. Natürlich ist auch eine Menge Alkohol im Spiel, das gehört in Wacken dazu.

Viele sind betrunken, haben Panik

Unser Seelsorge-Team dort besteht aus 18 bis 20 Leuten – Pastoren, Diakone, Psychologen, wir haben auch einen Mediziner dabei.

Bei uns melden sich Leute, denen es gerade nicht gut geht. Sie haben Stress mit der Gruppe, mit der sie gemeinsam hingekommen sind, haben Liebeskummer, weil der Freund mit der besten Freundin im Zelt verschwunden ist, oder wollen nach Hause, aber können aus unterschiedlichen Gründen nicht. Manche sind auch Angehörige von Leuten, die sich schlimm verletzt haben – die werden von der Polizei oder den Sanitätern an uns vermittelt. Viele sind stark angetrunken, haben Panik. Wie auf anderen Festivals sind manchmal auch alle möglichen Drogen im Spiel, klar. Menschen mit Überdosis oder Horrortrip sind allerdings definitiv ein Fall für die Sanitäter und nicht für uns Seelsorger.

Ein Fall hat mich emotional besonders berührt: Da kam ein verheiratetes Paar zu uns, das sich schon vor dem Wochenende heftig verkracht hatte, das brach auf dem Festival einfach auf. Die beiden brauchten Unterstützung, ich habe dann lange mit ihnen geredet, wie sie die Tage hier rumkriegen, ohne dass die Ehe richtig auseinanderbricht. Soweit ich weiß, hat es funktioniert. Ein anderes Mal kam eine junge Frau zu uns, der hatte jemand alles gestohlen. Sie war völlig überfordert mit der Situation. Wir haben dann mit ihr versucht, eine Lösung zu finden, mit Polizei und Festivalleitung gesprochen. Sie hat das alleine nicht hinbekommen. Manchmal fühlt sich Seelsorge so an wie mütterliche Fürsorge.

Wir helfen mit Wasser, Tee, Bananen, Keksen

Wenn die Leute uns aufsuchen, kümmern wir uns erst mal um das leibliche Wohl. Viele frieren, haben zwischen Konzert und Party vergessen zu essen und ausreichend Nichtalkoholisches zu trinken. Wir helfen mit Wasser, Tee, Bananen und Keksen. Dann kommen wir ins Reden. Ich höre erst mal zu, lasse die Leute erzählen, was passiert ist. Wir haben ein großes Zelt in der Nähe der Bühnen, darin können wir mit Decken kleine Ruhezonen schaffen. Richtig still ist es natürlich nicht, aber wir bieten immerhin eine saubere und sichere Umgebung. Wir Seelsorger arbeiten jeweils in Vier-Stunden-Schichten, von 13 Uhr mittags bis fünf Uhr morgens.

Ich bin hauptberuflich Pastorin, Seelsorge gehört zu meinem Job. Aber auf Wacken kann ich das in einem ganz anderen Kontext ausleben. Ich begegne ganz anderen Menschen, größtenteils nicht den klassischen Kirchgängern. Viele Metal-Heads stehen Religion sogar eher kritisch gegenüber. Das ist für mich kein Problem, als Seelsorgerin verhalte ich mich neutral, auch wenn mein Glaube ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit ist. Die Ratsuchenden, so nennen wir die, die sich bei uns melden, bestimmen die Themen. Basta. Ich komme denen nicht mit Gott.

Seelsorge lehrt mich Geduld und Toleranz

Zu Hause in Hamburg-Hoheluft wohne ich mit meinem zwölfjährigen Sohn, meiner fünfjährigen Tochter und meinem Mann, er ist Lehrer. Wir wohnen gegenüber meiner Kirche in einer schönen Stadtvilla. Ich bin in den Pastorenberuf so reingerutscht. Meine Eltern gingen höchstens mal zu Weihnachten in die Kirche, und als Studentin war ich auch noch nicht vollends überzeugt. Das kam erst später, ich entwickelte ein wissenschaftliches Interesse an Theologie. Der Beruf hat so seine Herausforderungen: Dienstwohnungspflicht, unregelmäßige Arbeitszeiten. Doch inzwischen ist das meine Berufung. Besonders die Seelsorge gibt mir viel für mein eigenes Leben. Sie macht mir bewusst, dass alle Menschen unterschiedlich sind und die Welt auf ihre ganz eigene Weise erfahren. Seelsorge lehrt mich Geduld und Toleranz.

Und, ganz ehrlich, in Wacken gefällt mir die Musik. Ich höre zu Hause Rock und Klassik, aber ich mag eben auch das richtig Harte. Zwischen meinen Schichten nehme ich mir die Zeit, die Konzerte zu besuchen, da kann ich gut abschalten. Im letzten Jahr habe ich Dillinger Escape Plan für mich entdeckt, die machen ziemlich schwer zugängliche Musik. Das fordert einen richtig heraus und ist nicht so gefällig. Sepultura finde ich auch toll, oder Apocalyptica, die Metal mit Celli machen. Vor zwei Jahren waren Iron Maiden da, super! Und Motörhead: joa.

Ich freue mich schon auf dieses Jahr, Anfang August geht’s los. Aber auch auf die Zeit danach: Meistens nehmen mein Mann und ich hinterher eine Woche frei und fahren nach Dänemark. Die Füße hochlegen und einfach Ruhe.

Stille Helferin. Seelsorgerin Christine Halisch.
Stille Helferin. Seelsorgerin Christine Halisch.

© privat

Max Polonyi

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