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Essstände am Borough Market.

© Imago

Londoner Märkte: Bummeln wie ein britischer Gourmet

Zwischen Fish and Shirts: Wer wissen will, wie die Londoner essen, geht auf die Märkte der Stadt. Ein Rundgang mit nicht nur kulinarischen Entdeckungen.

BOROUGH MARKET
Der überdachte Bau nahe den Bahnschienen der London Bridge ist der bei Weitem touristischste Markt der Stadt. Er ist allerdings auch ziemlich einzigartig: Seit mehr als 1000 Jahren haben sich an diesem Ort Händler getroffen, um ihre Produkte zu verkaufen. Ganz sicher priesen die Marktschreier damals wesentlich andere Waren an als heute, denn Borough Market ist eine schnieke Version der Markthalle Neun in Kreuzberg.

An tannengrün gestrichenen Ständen gibt es Delikatessen aus aller Welt: Olivenöl aus Kalabrien, Wildschweinsalami aus Südtirol, Feigenmarmelade aus Kroatien, frisches Brot vom französischen Bäcker. Kein Wunder, dass Starkoch Jamie Oliver ein Borough- Fan ist. Wer Lust hat, kann sich häppchenweise von Stand zu Stand futtern. Viele Geschäfte bieten Gratisproben an.

Ist der camembertartige Käse aus Sussex besser als der kräftige Cheddar aus der Region um Bath? Schmeckt die Paste aus getrockneten süßen Tomaten von „De Calabria“ großartiger als die Pilzpastete von „Pâté Moi“? Alles Geschmacksfragen, die man in den Gängen diskutiert. Nachzulesen sind übrigens die Geschichten um den Markt in einem edel produzierten Magazin, das im Marktbüro am Eingang gratis ausliegt. Für Cineasten interessant: Die Filmwohnung von Bridget Jones liegt direkt am Borough Market – auch für den dritten Teil wurden bereits Szenen hier gedreht.
Mo–Fr 10–17 Uhr, Sa 8–17 Uhr, boroughmarket.org.uk

BRIXTON MARKET

In den 1980er Jahren geriet der Südlondoner Stadtteil wegen der Brixton Riots in die internationalen Schlagzeilen. Die jamaikanische Community lieferte sich Straßenschlachten mit der Polizei, um gegen Rassismus zu protestieren. Heute kommt schon mal Herzogin Camilla vorbei und lässt sich fotografieren, wie sie Gemüse auf dem Brixton Market einkauft.

Verschiedene Ethnien treffen in seinen zwei Bereichen, überdacht und unter freiem Himmel, aufeinander: Engländer, Jamaikaner und Pakistanis. Auf der Electric Avenue (bekannt geworden durch Eddy Grants gleichnamigen Hit von 1982) bietet ein afrikanischer Haarshop seine Perücken gleich neben einem Halal-Schlachter an. Vor den Ständen liegen runzlige Yamswurzeln, haarige Kokosnüsse und dicke Süßkartoffeln.

In der überdachten Market Row dahinter hat sich derweil die kulinarische Welt niedergelassen. Im „Cariocas“ gibt es brasilianische Fischküchlein, „The Provincial“ wirbt mit kolumbianischem Frühstück, das „Bukowski“ mit Pulled Pork in sämiger Senfsoße. Am Eingang der Row gibt es übrigens einen Automaten, der britische in Brixtoner Pfund umtauscht. Die lokale Währung kann zum Einkauf um die Ecke oder als Souvenir verwendet werden. Beliebt ist im Moment die Zehn-Pfund-Note. Darauf ist der jüngst verstorbene Sänger David Bowie abgebildet. Er wurde 1947 in Brixton geboren.
Mo–Sa 8–18 Uhr, mittwochs nur bis 15 Uhr, brixtonmarket.net

MALTBY STREET MARKET
Von der Tower Bridge lohnt sich ein Spaziergang durch die alten Dockanlagen südlich der Themse, bis man nach zehn Minuten an diesen versteckten Food- Markt entlang einer Bahnstrecke gelangt. Links in den Gleisbögen residieren kleine Restaurants und Bars, rechts schnappen ihnen mobile Stände das Laufpublikum weg – und über allen wehen bunte Wimpel wie auf Pionierfeiertagen in der DDR.

Bis auf eine Ausnahme (die handgeschöpften Seifen von Stella Says) ist das eine fabelhafte Fressmeile, die Menschen mit Platzangst meiden sollten. Hier schieben, drängeln und entschuldigen sich Londoner mit einem omnipräsenten „sorry, mate“. Touristen gibt es wenige.

Am Eingang locken frittierte und anschließend gefüllte Kartoffelschalen, daraufhin folgen deutsche Rostbratwürste. Die Beliebtheit ist an der Schlange abzulesen. Sie ist lang und sehr kommunikativ. Vermutlich weil einige der Anstehenden schon bei den organischen Weinbauern von „M-Wines“ einen Sauvignon Blanc probiert oder bei „Little Bird“ einen Gin-Cocktail aus Weckgläsern mit Henkeln getrunken haben.

Freunde des herben Geschmacks kommen beim südspanischen Olivenöl des „Gay Farmer“ oder den brasilianischen Picanha-Steak- Wraps auf ihre Kosten. Der Renner der Maltby Street ist allerdings die gewöhnungsbedürftige Kreation von „Waffle On“. Mit Speck und Ahornsirup garnierte Waffeln bekommt man nicht alle Tage auf den Pappteller.
Sa 9–16 Uhr, So 11–16 Uhr, maltby.st

Von Ölen und Blumen

BROADWAY MARKET
Vor zehn Jahren begann die Gentrifizierung von Hackney in Ost-London. Einst als Schmuddelecke abgestempelt und ohne eine U-Bahn-Station gesegnet, verliefen sich Londoner und ihre Gäste nur ungern in den Arbeiter- und Einwandererbezirk. Das hat sich gründlich geändert. Jeden Samstag bevölkern die aus Londons teurer Mitte Vertriebenen den Broadway – dank einer Mischung aus originellem Streetfood und modischem Handwerk.

Bei „Zulu London“ gibt es Badeshorts mit südafrikanischem Muster, die bereits der „GQ“ aufgefallen sind. Die Designerin Silva Lucy aus Hackney produziert schicke Lederhüllen für Mobiltelefone. Beim „Organicrokka“ hängen T-Shirts aus Bambusfasern über Bügeln und für die Kreativeltern gibt es Babymode aus Hackney von „What Mother Made“. Musiker spielen am Rande der etwa 200 Meter langen Reihe von 135 Ständen, von Reggae bis Folk und Geigengedudel ist alles dabei.

Und dann gibt es natürlich die kulinarischen Köstlichkeiten. Der Popcorn-Hersteller macht vor Ort (und mit Schutzbrille) die knusprigen Maiskrümel, das Butter Fried Chicken am Stand daneben bruzzelt im Fett, die Schlachter am Burgerstand grillen ihr garantiert britisches Superbeef zu harten Hip-Hop-Klängen – und wessen Herz bei den Eigenkreationen von „Get Fudged“ (Erdnussbutter-Nutella- oder Orangen- Schokolade-Toffee) nicht schmilzt, hat kein süßes Leben verdient.
Sa 9–17 Uhr, Broadwaymarket.co.uk

Flohmarkt auf der Brick Lane.
Flohmarkt auf der Brick Lane.

© mauritius

BRICK LANE MARKET
Die Brick Lane ist nicht erst seit Monica Alis gleichnamigen Romanbestseller eine der bekanntesten Straßen des East End. In England steht sie als Synonym für die Migrantenkultur aus Pakistan, der Rest der Welt kennt sie als Flohmarktmeile. Die besteht inzwischen aus vier Märkten, einem auf der Straße, einem für Streetfood, für Mode und Design und für Vintage.

Wenn man vom nördlichen Ende beginnt, von der Bethnal Green Road kommend, betritt man den Open-Air-Markt mit Obstständen, Kosmetik aus Eigenproduktion („Suneeta“) und dem „Black Cab Cafe“, wo ein kerliger Brite mit Bart Kaffee aus einem schwarzen Londoner Taxi serviert. Hinter der Eisenbahnüberführung links geht es in die Halle mit den Streetfoodständen. Der Duft der litauischen Fleischbälle weht über die italienischen Arancini hinüber, die Nachbarn kochen äthiopischen Couscous und malaysische Kokospfannkuchen. Die Welt rückt unter den Stahlträgern dicht zusammen.

Einige Schritte weiter im Backyard Market haben junge Kreative, die vielleicht kein Geld für ein Ladenlokal aufbringen können, eine Chance, ihre Produkte zu verkaufen. „Norse“ hat ein feines Sortiment von Barbiercremes und altmodischen Rasierern, „The Pattern Guild“ bietet abstrakte Muster auf T-Shirts, „Daisy Courtauld“ macht aus Stempeltinte zarte Illustrationen, und „Mia Hawk Apparel“ verkauft moderne Tiermotive auf Pullovern.

Im Vintagekeller 50 Meter die Brick Lane hinunter geht es in die Vergangenheit: Getragene Lederjacken, Burberry-Trenchcoats oder Adidashosen lösen Nostalgie nach längst vergangenen Zeiten aus. Und wer unbedingt seine Maxisingle-Kollektion von vergessenen Bands wie Level 42 vervollständigen will, ist in dem Gewimmel goldrichtig.
Sa 11–18 Uhr, So 10–17 Uhr, bricklanemarket.com

Barbierbedarf neben Hutkollektionen

Hutstand im Old Spitalfields Market.
Hutstand im Old Spitalfields Market.

© Lippitz

OLD SPITALFIELDS MARKET
Vor 15 Jahren war der viktorianische Bau des ehemaligen Obst- und Gemüsemarktes ein Geheimtipp: Der sonntägliche Flohmarkt lockte junge Londoner in den Osten der Stadt, die sonst lieber einen Bogen um die kriminelle Gegend machten. „Scruffy and makeshift“, schrieb damals der „Guardian“ über die kuriose Sehenswürdigkeit – notdürftig und behelfsmäßig.

Davon ist nichts mehr zu erahnen. Von hier aus begann die Wiedergeburt des East End. Bekannte Künstler wie Gilbert & George zogen in die Nähe des 350 Jahre alten Marktes, Studenten aus ganz Europa folgten. Das kreative lockte das finanzielle Kapital an. Ein millionenschwerer Investor baute das historische Gebäude nahe der City zu einem schicken Geschäftsviertel um.

In den Seitenflügeln haben nun Mode- und Gastronomieketten ihre Ableger, auf der großen Freifläche im Zentrum findet sich allerdings noch diese gewisse Londoner Mischung von schick und scharf. Es gibt Stände mit bedruckten Allerweltsshirts, aber auch echte Vintage-Perlen. Zum Beispiel die alten Seidenschals, jedes Teil nur einen Pfund, die Original-Hawaii-Hemden oder die Zylinder und Fedora-Hüte aus guten alten Zeiten bei „The Last Stop for the Curious Vintage“.

Die selbstgefertigten Lederschuhe kommen aus Litauen („Shoe Embassy“), die Tücher aus Tibet („The Little Tibet“), das Essen allerdings nach wie vor von kleinen Anbietern vor Ort. Obligatorisch für einen Besuch sind die Fish & Chips von „Poppies“, aber auch die frischen Salate mit den scharfen Saucen von „Mel's Tropical“ – karibische Herzensangelegenheit einer Frau mit Dreadlocks, die in Wahrheit aus Tschechien stammt. Das ist typisch London: Jeder kann sich hier sehr schnell ganz neu erfinden.
Täglich 10–17 Uhr, am Wochenende besonders beliebt, oldspitalfieldsmarket.com

COLUMBIA ROAD FLOWER MARKET
Zuerst hört man Geschrei. Laut, aggressiv, durchdringend. Ein Londoner East End Boy, der einen bierseligen Streit vom Zaun bricht? Aber würde der sich um Blumen prügeln? Zum Glück ist es nur ein besonders lauter Händler: „Drei Stück fünf Pfund, zehn Rosen zehn Pfund“. Jeden Sonntagmorgen kommen die Einwohner des East End zu diesem Abschnitt der Columbia Road und kaufen Blumen oder Pflanzen ein, als würde ab Montag darauf ein Blumenverbot die Stadt erschüttern.

In den späten 1940er Jahren spezialisierte sich der ehemalige Lebensmittelmarkt darauf – vermutlich weil damals Gartensendungen im Radio und später im Fernsehen boomten. Auf knapp 100 Metern entlang zweigeschössiger Backsteinhäuser aus dem 19. Jahrhundert bieten Händler so gut wie jede Pflanze an, die sich für Balkone, Vasen oder Beete eignet.

In cremefarbenen Plastikeimern stecken Tulpen und Rosen in jeglichen Schattierungen von Gelb und Rot. Französischer Lavendel, englische Bluebells (auf Deutsch: Hasenglöckchen), exotische Orchideen, Koniferen, italienische Kräuter für den Hausgebrauch, alles da. Mütter suchen mit ihren Töchtern riesige Sträuße aus, die für Palasteingänge gerade gut genug aussehen, Hipsterpärchen diskutieren mit silbernem Laptop unter dem Arm die Vorteile langstieliger Callas, japanische Mädchen fotografieren aufgeregt jede Blüte, und Frauen mit Kopftüchern decken sich mit duftenden Hyazinthen ein.

Dazwischen hopsen aufgeregte Club-Kids herum, die vermutlich gerade aus den Feierschuppen des East End herausgekrochen sind, von Tageslicht und Blütenmeer überwaltigt ein „amazing“ murmeln und mit einem Becher Bio-Kaffee aus einem der Läden am Markt ausnüchtern.

So 8–15 Uhr, columbiaroad.info

Reisetipps für London

ANREISE
Von Berlin fliegen Easyjet, Germanwings und British Airways mehrmals täglich nach London. Seit Juli landet letztere Fluggesellschaft auch drei Mal täglich am City Airport, der dicht am East End liegt: Wer nur mit Handgepäck reist, kann ab 140 Euro inklusive Steuern abheben.

UNTERKUNFT
Im East End haben in den vergangenen Jahren einige neue Hotels aufgemacht. Zu empfehlen ist das schicke Town Hall Hotel im umgebauten Rathaus von Bethnal Green (DZ ab 150 Euro pro Nacht). Sogar der alte Sitzungssaal ist noch vollständig erhalten. Infos: www.townhallhotel.com

MOBILITÄT
Bei schönem Wetter einfach mit der Kreditkarte ein City Bike an einer der vielen Stationen ausleihen. Ein Rad kostet pauschal zwei Pfund für 24 Stunden, jede Fahrt unter 30 Minuten ist damit abgegolten. Jede weitere Minute wird mit einem Minutentarif abgerechnet. Mehrfachfahrten sind möglich. Das ist praktisch, denn für Kurztrips im East End reicht die Zeitspanne von einer halben Stunde aus. Wichtig: vorher die kostenlose App „Santander Cycles“ auf das Smartphone laden und nachschauen, an welchen Stationen freie Räder respektive Parkplätze zur Verfügung stehen.

TOUREN
Über viator.com kann man geführte Spaziergänge über den Brixton Market buchen (drei Stunden, etwa 55 Euro). Der Anbieter „Mind the Gap Tour“ bietet eine Gourmet-Tour über den Brixton- und Borough Market an (3,5 Stunden, etwa 55 Euro). Bei „Battlefield Journey“ kann man einen Spaziergang zu den historischen Märkten des East End buchen (ab 15 Euro pro Kopf).

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