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Unsere Autorin wirft Dieter Wedel (im Bild) sexuelle Belästigung vor.

© pa/Uwe Zucchi/dpa

Kolumne von Patricia Thielemann: Wie Yoga mir bei der Verarbeitung der Wedel-Geschichte hilft

Der Wahnsinn um die #MeToo-Debatte hat meinen Alltag aus den Fugen gehoben. Wie Yoga dabei helfen kann, die Ohnmacht zu überwinden.

Die vergangenen Wochen stand ich ziemlich unter Beschuss. Ich bin nämlich nicht nur Yogalehrerin und Kolumnistin, sondern auch eine der beiden Wedel-Anklägerinnen.

Dass ein beschämendes Erlebnis von vor mehr als 25 Jahren einen solch gewaltigen Erdrutsch verursachen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten: vom Shitstorm auf Facebook über schneidende Kommentare an der Kasse im Biomarkt bis hin zu 50 Journalistenanfragen pro Tag. Auch wenn der Wahnsinn um die Wedel-Geschichte meinen gewöhnlich bis auf die Minute durchgetakteten Alltag für sechs Wochen restlos aus den Fugen gehoben hat, bereue ich nicht, „me too“ gesagt zu haben. Die Zeit war mehr als reif dafür.

Natürlich frage ich mich, warum gerade jetzt so viele Frauen den Mut aufbringen, übergriffigen Männern endlich die Grenzen aufzuzeigen, und ob ausgelöst durch diese Debatte tatsächlich ein gesellschaftlicher Wandel stattfinden wird. Männer, die eine Tendenz zum „Wedeln“ haben, überlegen sich in Zukunft sicher zweimal, ob sie der nachgeben. Ich wünsche mir, dass wir inmitten dieser hitzigen Auseinandersetzung auch die Chance für ein besseres und wertschätzendes Miteinander erkennen.

Selbstbildnisse aus Menstruationsblut bringen mich auf die Palme

Dabei kann Yoga helfen. Im Yoga geht es nicht nur um schöne, lange Muskeln und Entspannung, sondern auch um eine gewaltlose und seelenstarke Grundhaltung. Gandhi, der selbst ein Yogi war, hat die Satyagraha-Bewegung ins Leben gerufen: den Gegner nicht durch Drohung und Gewalt, sondern durch den Appell an sein Herz und sein Gewissen als Freund und Verbündeten zu gewinnen. Dieser Geist des Yoga sollte in jeder Übungsstunde spürbar werden.

Ideologische Weltverbesserungstheorien irgendwo zwischen den Positionen Hund und Taube halte ich trotzdem für unsinnig. Und Eso-Frauen-Power-Seminare mit Titeln wie „Befreie den Vamp in dir“ oder Selbstbildnisse aus Menstruationsblut bringen mich auf die Palme. Auch, wenn es sich um ernstzunehmendere Aktionen handelt, würde ich mir dreimal überlegen, die mit Yoga zu verbinden. Ausnahme: Wenn Pussy Riot mich fragen würden, ob wir gemeinsam eine Yogasession im Olympiastadion geben wollen.

Es war befreiend, mein Ohnmachtsgefühl in Wirksamkeit zu verwandeln

Es hat einen guten Grund, dass ich vor jeder Übungsstunde daran erinnere, die digitalen Endgeräte auf Flugmodus zu schalten. Nur wenn wir der Dauerbeschallung und den Automatismen des Alltags temporär den Rücken kehren, haben wir die Chance, unserer eigenen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Natürlich besteht auch die Gefahr, dass jeder für sich auf seiner kleinen, bunten Gummimatte in sein inneres Reich abtaucht und selbstgefällig oder ignorant wird. Besonders dann, wenn man es sich in der friedliebenden Welt des Yoga zu hübsch einrichtet. Die Übersetzung von der Matte ins Leben kostet Mut und Kraft.

Aus eigener Erfahrung weiß ich jetzt, dass es lohnenswert sein kann, sich durch die inneren und äußeren Widerstände hindurch zu kämpfen. Es war befreiend und erfüllend für mich, mein anhaltendes Ohnmachtsgefühl zu drehen und in Wirksamkeit zu verwandeln. Zu spät ist es dafür nie.

Die äußeren Strukturen lassen sich nicht immer gleich verändern, aber unsere innere Haltung – wie wir uns auf die Welt beziehen – sehr wohl. Und wie?

Am besten, indem wir uns als Allererstes physisch aufrichten. Die Schultern senken, bewusst tief atmen und den Blick auf Augenhöhe nach vorn ausrichten. Das unterrichte ich bereits in der ersten Yogastunde.

Patricia Thielemann

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