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Verblüfft. Wikinger sahen in den Nordlichtern Zeichen dafür, dass irgendwo eine große Schlacht geschlagen war.

© Oli Haukur/promo

Island: Warum Polarlichter süchtig machen

Kalt muss es sein und dunkel. So wie auf Island. Dann zeigen sich magisch grüne Streifen am Himmel. Auf der Jagd nach Aurora borealis.

Die Nacht da draußen ist schwarz. Die Lichtkegel der Scheinwerfer des Kleinbusses reichen gerade bis zum Rand der Straße, die über die Vulkanlandschaft der Halbinsel Reykjanes auf Island führt. Oben am isländischen Himmel blinken unzählbar viele Sterne. Perfekte Bedingungen. „Schaut nach oben“, hatte der Tourguide zu den acht Insassen gesagt, als sie starteten. Axel heißt der Mann hinterm Steuer, in Island sprechen sich alle mit Vornamen an. Die Mission des Abends: Nordlichter finden.

Diese grünen Streifen, die sich wie Schlangen über den Nachthimmel der nordischen Länder ziehen, gehören im Winter zu den größten Attraktionen. Das Phänomen findet das ganze Jahr über statt, doch nur in der kalten Jahreszeit ist es dunkel genug, um die Nordlichter entdecken zu können. Die Zeit der Aurora borealis, wie das Phänomen in der Fachsprache heißt, ist von September bis Mitte März. Je weiter man Richtung Norden fährt, desto besser. Nördlich des 60. Breitengrades sind sie am häufigsten zu sehen.

Auf Island lassen sie sich fast überall beobachten. Da das Land so dünn besiedelt ist, gibt es wenig Lichtverschmutzung. Selbst auf der Reykjanes-Halbinsel, auf der der internationale Flughafen des Landes rund 50 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Reykjavik liegt, ist etwas außerhalb kein künstliches Licht zu sehen. Nur wenige Kilometer hinter der Stadtgrenze beginnt die Finsternis. Wenn man die dunkelsten Spots entdecken und außerdem nicht selbst fahren möchte, bucht man einen „Northern Lights Hunt“ – eine Nordlichter-Jagd mit Einheimischen.

Neben Trollen und Elfen gibt es Geister auf der Insel

Um die Polarlichter ranken sich viele Mythen. Die Wikinger sahen in ihnen ein Zeichen, dass irgendwo eine große Schlacht geschlagen war. In Island glaubte man lange, die Nordlichter seien eine Verbindung zu den Göttern, andere sahen in ihnen Geister der Verstorbenen aus dem Jenseits.

Der Van stoppt. Axel hat etwas gesehen. Noch bevor alle aus dem Auto geklettert sind, hat der Guide schon die Spiegelreflexkamera ausgepackt, schießt ein paar Bilder vom Himmel. Die Kamera, sagt er, helfe ihm, die Nordlichter früh zu entdecken. Was mit bloßen Augen noch nicht zu erkennen ist, zeigt sich auf dem Display – ein zarter grüner Streifen. Bei sehr langer Belichtungszeit fällt auch mehr Licht in die Linse. „Der Streifen verblasst wieder“, sagt er, nachdem er Foto und Horizont miteinander abgeglichen hat. Enttäuschtes Gemurmel. Alle wieder rein. Immerhin ist es schön warm im Auto.

Eine gute Gelegenheit für eine Geistergeschichte. Neben Trollen und Elfen gibt es davon jede Menge auf der Insel. Islands größte heiße Schlammquelle Gunnuver an der südwestlichen Spitze des Landes ist nach einem Geist benannt. Die Legende besagt, dass die junge Frau Gunna nach ihrem Tod über die Halbinsel spukte. Erst als ein zauberkundiger Priester sie in eine Falle lockte, fand sie ihre letzte Ruhestätte in den Vulkanfeldern. Er gab Gunna das lose Ende eines Wollknäuels, das andere Ende verbarg er in den heißen Quellen. Sie folgte der Schnur. Dort, wo sie in den Boden fuhr, tritt heute die größte Dampfsäule auf.

Am Abend zuvor lief alles einfacher

Wenn man sich tagsüber die Zeit bis zur Dunkelheit vertreiben möchte, kann man Gunna einen Besuch abstatten. Weit über zwei Meter steigt der Wasserdampf aus der Erdspalte in die Luft. Es stinkt nach Schwefel, überall aus den Spalten tönt ein Blubbern und Zischen. Mehr als 300 Grad heiß sind die Quellen in ihrem Innern. Von außen merkt man das kaum. Der Wasserdampf, durch den man über eine Brücke muss, ist bereits abgekühlt und eiskalt wie die Luft.

Auch nachts, im Auto, wird es langsam ungemütlich. Draußen sind es minus fünf Grad. Beim nächsten Halt packt Axel Thermoskannen mit Kaffee und heißer Schokolade aus. Die soll das Warten versüßen. Langsam werden seine Begleiter ungeduldig. Schon zwei Stunden sind um, und noch immer kein Nordlicht.

Am Abend zuvor lief das einfacher. Da saß man gerade beim Essen, als ein Kellner kam und verkündete: „Wir haben Nordlichter draußen.“ Teils ohne Jacke eilten die Gäste aus dem Speisesaal vor die Tür. Und wie sie da waren. Tanzten grünlich schimmernd über den wolkenlosen Himmel, schlängelten sich am Horizont entlang. Die Gänsehaut, die sich am ganzen Körper ausbreitete – sie kam sicher nicht von den Minusgraden.

Nur wenige Touristen bleiben auf Reykjanes

Verbindet. Der Legende nach fuhr dort, wo nun meterhoch Dampf aufsteigt, Geist Gunna in den Boden und fand seine letzte Ruhestätte.
Verbindet. Der Legende nach fuhr dort, wo nun meterhoch Dampf aufsteigt, Geist Gunna in den Boden und fand seine letzte Ruhestätte.

© Oli Haukur/promo

Noch ist die Tour über die Halbinsel nicht vorbei. Obwohl jeder Islandreisende am Flughafen Keflavik landet und somit automatisch Reykjanes betritt, bleiben nur wenige Touristen hier. Die meisten zieht es zum „Golden Circle“, so heißt die Rundfahrt im Süden Islands, die bekannte touristische Ziele verbindet. An der Spitze im Südwesten ist alles etwas kleiner. Sie lässt sich in einem Tag umrunden.

Quer durch die Halbinsel zieht sich der Mittelatlantische Rücken, eine Gebirgskettenformation, die nur an wenigen Orten der Welt sichtbar ist, weil sie meist unter dem Meeresspiegel verläuft. Sie bildet sich dort, wo die eurasische auf die nordamerikanische Kontinentalplatte trifft. Die Platten sind es, die Island seine reichen vulkanischen Aktivitäten bescheren. Auf Reykjanes liegt der letzte große Ausbruch über 1000 Jahre zurück, die vulkanischen Systeme sind aber noch aktiv und versorgen die Gegend mit Strom und Heißwasser.

So verlässlich wie die Vulkansysteme sind die Nordlichter nicht. Rasend schnell bewegen sich Teilchen der Sonnenstürme auf die Erde zu. Stoßen sie in etwa 100 Kilometern Höhe in der Atmosphäre mit Sauerstoffatomen zusammen, lassen sie den Himmel grün leuchten. Je stärker die Stürme, desto schöner das Himmelsfeuer. Bis heute ist seine Aktivität nur eingeschränkt vorauszusagen.

Islands Winterlandschaft hat einen eigenen Charme

Für die Tour ist auf einer Skala von eins bis neun nur Aktivität drei vorausgesagt. Niedrige Aktivität. Also wenig Chancen auf Aurora borealis. „Nicht aufgeben“, versucht Axel zu motivieren. „Ich habe schon die tollsten Lichter bei Aktivität Null gesehen“. Rausgehen, sagt er, sei das Wichtigste. Wieder hat der Van im Dunkeln gehalten. Es ist der Parkplatz der geothermischen Felder „Seltùn“. In der Ferne hört man das Wasser ganz leise blubbern.

Wieder wird die Kamera aufgebaut. Die frische Luft tut gut. Im Auto ist es dank Heizung mittlerweile so warm, dass man unter den vielen Schichten ganz schön ins Schwitzen gerät. Axel erzählt von seinen Touren. Normalerweise müsse er erst einmal eine Stunde über die Halbinsel fahren, um eine Lücke in der Wolkendecke zu entdecken. Solch wolkenlose Himmel gäbe es selten im Winter. Doch richtig zeigen wollen sich die grünen Streifen trotzdem nicht. Die Gruppe stapft im Taschenlampenlicht den Weg zur heißen Quelle entlang. Wenn schon keine Nordlichter, dann wenigstens ein bisschen Sightseeing.

Islands Winterlandschaft hat einen eigenen Charme. Auf den Vulkanfeldern bleibt kaum Schnee liegen. Bäume sind nicht in Sicht, doch die Umgebung ändert sich ständig. Mal ist alles gelbgrün vom Schwefel, dann schwarz vom Lavastein. Mal sattgrün vom Moos auf den Steinen, dann färbt sich der Boden ocker, trockenes Gras ziert die Steine. Ganz an der Spitze des Stiefels, den die Halbinsel formt, steht der älteste Leuchtturm des Landes. Vor knapp 100 Jahren wurde er zum ersten Mal entzündet. Einen Wächter hat der rund 20 Meter hohe Turm nicht mehr. Funktioniert alles automatisch.

Einmal gesehen, machen Polarlichter süchtig

Seit September 2015 gehört die Halbinsel Reykjanes zu den weltweit 127 Unesco Global Geoparks. Besonders beliebt ist die „Brücke zwischen den Kontinenten“. Hier führt ein Holzsteg über einen rund zwei Meter tiefen Graben. Er entstand, weil die nordamerikanische und die eurasische Platte sich immer weiter auseinander bewegen, etwa zwei Zentimeter im Jahr. Auf dem Parkplatz reihen sich Autos mit internationalen Kennzeichen aneinander.

Die „Brücke zwischen den Kontinenten“ verbindet die nordamerikanische mit der eurasischen Platte.
Die „Brücke zwischen den Kontinenten“ verbindet die nordamerikanische mit der eurasischen Platte.

© Oli Haukur/promo

Jeder möchte einmal zwischen Europa und Amerika stehen und ein Foto machen. Nur wenige Minuten mit dem Auto fahren, und schon ist man wieder allein. Über einen holprigen Weg kommt man zu einem Strand mit feinem schwarzen Sand, in den der Wind kleine Wellen hineingeblasen hat. Hier ist heute noch keiner gewesen. Das Meer rauscht leise. Sonst ist alles still. Die Sonne glitzert auf dem Meer. Nur die Kälte treibt einen zurück ins Auto.

Auf ihrer Mission hat die Gruppe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Einmal gesehen, machen Polarlichter süchtig. Auch jetzt ist dieses Gefühl wieder da, das leichte Kribbeln vom Abend davor. Freudige Aufregung macht sich breit, jedes Mal, sobald Axel die Kamera neu justiert. Gleich könnten diese magisch grünen Streifen wieder auftauchen, ihren grazilen Tanz aufführen. Die Augen suchen den Himmel ab. Und dann, plötzlich ist da etwas. Ganz langsam wird der kleine Funke Himmelsfeuer stärker.

Reisetipps für Island

Hinkommen

Mit Icelandair fliegt man in 3,5 Stunden von Berlin-Tegel direkt nach Keflavik (ab 185 Euro). Von dort geht es am besten mit dem Auto weiter. Mieten kann man das zum Beispiel bei Holdur/Europecar (www.holdur.is/en). Einige Hotels bieten Airportshuttles an.

Unterkommen

Wer einen Weckservice für Nordlichter wünscht, ist im Northern Lights Inn in Grindavik richtig (nli.is). Ab 225 Euro pro Nacht. Gemütlich sind auch die kleinen Bungalows "Harbour View Grindavík" (www.facebook.com/luxuryhutgrindavik/) mit Blick auf den Hafen. Sie kosten ab 200 Euro pro Nacht für zwei Personen.

Rumkommen

Ausflugstipps, Karten und Empfehlungen für Rundtouren gibt es bei der Touristeninformation Visit Reykjanes (visitreykjanes.is). Die Nordlichter-Tour von Whalewatching Reykjanes findet jeden Abend statt, wenn sich genug Leute anmelden, und kostet 80 Euro. Tagsüber kann man der Blauen Lagune, dem berühmten Thermalfreibad bei Grindavík, einen Besuch abstatten. Der Eintritt kostet ab 55 Euro. (www.bluelagoon.com)

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