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Bryan Cranston, 61, wurde 2008 mit der TV-Serie „Breaking Bad“ zum Weltstar.

© AFP

Interview mit Bryan Cranston: "Ich kenne die Armut so gut wie den Reichtum"

In „Breaking Bad“ gibt er den Drogenboss, dabei wollte Bryan Cranston eigentlich Polizist werden. Ein Gespräch über den abwesenden Vater, Zungenküsse und das eigene Gesicht als Tattoo.

Mr. Cranston, haben Ihre Eltern, die ebenfalls Schauspieler waren, Ihre Berufswahl beeinflusst?

Ja, sehr. 1949 hatten sie sich in Hollywood in einem Schauspielkurs kennengelernt, wo sie der Blitzschlag der Liebe traf. Oder, besser gesagt, der Blitzschlag der Wollust. Ich durfte schon als Kind in Schulaufführungen und Werbespots mitspielen. Zehn Jahre lang waren wir eine glückliche Familie – Mama, Papa, drei Kinder, ein nettes Häuschen. Doch dann zerstörte mein Vater plötzlich das Fundament meiner Kindheit: Er begann eine Affäre, verschwand einfach, ließ elf Jahre lang nichts von sich hören. Meine Mutter verwandelte sich in eine depressive Alkoholikerin, und unser Haus wurde zwangsversteigert.

Was ist dann mit Ihnen passiert?

Wir Kinder wurden zu unseren Großeltern geschickt, gebürtige Deutsche, die vor dem Ersten Weltkrieg in die USA ausgewandert waren und nun in Kalifornien eine kleine Hühnerfarm betrieben. Da habe ich schon als zwölfjähriger Knirps Hühner geschlachtet. Ich musste ihnen den Kopf abhacken und das Blut ablaufen lassen. Das war oft eine Riesensauerei. Eigentlich wollte ich dort nicht leben, denn Oma und Opa waren sehr streng zu uns. Strenge Deutsche, können Sie sich das vorstellen?

So was soll’s geben ...

Meine Großeltern haben uns ordentlich gedrillt und uns Pünktlichkeit, Disziplin und Verantwortungsbewusstsein eingeimpft. Im Nachhinein muss ich sagen, dass das für meine Entwicklung sehr gut war. Ich habe dort ein Arbeitsethos entwickelt, eine Freude an der Arbeit, die ich mir bis heute erhalten habe.

Sie haben ursprünglich die Polizeilaufbahn eingeschlagen. Wie kam das?

Durch meinen älteren Bruder, der mit 16 den „Police Explorers“ beitrat. Das ist eine Art Pfadfinder-Schnupperkurs für angehende Polizisten, in dem man ein gezieltes Training bekommt und gemeinsame Reisen unternimmt. Als mein Bruder mir aus Hawaii eine Postkarte mit einem nackten Mädchen schickte, wusste ich: Zu dem Verein will ich auch! Mein erster Trip mit den „Police Explorers“ führte mich nach Deutschland, wo ich von den hübschen Frauen in den Biergärten so berauscht war, dass ich am Los Angeles Valley College ein Studium der Polizeiwissenschaft begann.

Warum haben Sie diesen Traumberuf für die Schauspielerei aufgegeben?

Während des Studiums musste ich ein Wahlfach belegen und entschied mich für einen Theaterkurs. Dort haben mich die Mädels in ihren Hotpants schlicht umgehauen: Sie waren hundertmal hübscher und sexyer als alle Polizistinnen. Und als ich dann noch erleben durfte, wie leidenschaftlich sie bei unseren Schauspielübungen küssten, so richtig mit Zunge und Befummeln und allem Drum und Dran, da war es für mich vorbei mit der Polizei.

Das heißt, wir verdanken Ihre Berufswahl Ihrer Libido?

Genau! Eigentlich ist es doch lachhaft, dass man als Jugendlicher entscheiden soll, was man den Rest seines Lebens treiben möchte. Wenn man ehrlich wäre, würde man mit 18 sicher sagen: „Gebt mir einen Job, in dem ich möglichst viel Sex haben und Gras rauchen kann!“ Ich wünschte, ich könnte heute guten Gewissens behaupten, hehre künstlerische Ambitionen hätten mich auf den Pfad der Schauspielerei gebracht. Doch die nackte Wahrheit ist: Es waren die Mädels.

Wäre aus Ihnen ein guter Polizist geworden?

Ich glaube schon. Immerhin war ich bei den „Police Explorers“ der Beste von 111 Leuten in meinem Jahrgang. Und ich habe eine angeborene Neugierde, die mir natürlich auch als Schauspieler zugutekommt. Es interessiert mich sehr, menschliche Verhaltensweisen zu studieren, in Gesichtern zu lesen, hinter die Fassade zu blicken.

Würden Sie es merken, wenn ich Sie anschwindeln würde?

Na klar. Ich habe Sie sofort durchschaut, als Sie mich vorhin belogen haben.

Wie? Wann?

Kleiner Scherz. Aber tatsächlich habe ich schon immer gern und ausgiebig Leute beobachtet – im Café, am Bahnhof, im Wartezimmer, im Einkaufszentrum ...

"Erklären Sie das mal einem Strafrichter!"

2015 spielte Cranston in "Trumbo" den amerikanischen Drehbuchautor Dalton Trumbo mit Diane Lane als seine Ehefrau.
2015 spielte Cranston in "Trumbo" den amerikanischen Drehbuchautor Dalton Trumbo mit Diane Lane als seine Ehefrau.

© Paramount Pictures/dp

Können Sie das als Star noch ungestört tun?

Leider nicht mehr, seitdem ich selbst zum Beobachtungsobjekt geworden bin. Aber mein Ruhm kam ja erst spät, mit über 40 Jahren. Heute zehre ich davon, dass ich in den Jahrzehnten davor regelmäßig die Hausaufgaben gemacht habe, die meiner Meinung nach für das Handwerk des Schauspielers essenziell sind: vor die Tür gehen und Menschen studieren, ihre Körpersprache, ihre Mimik, ihre Redeweise. All diese Beobachtungen muss man sorgfältig in seinem Gedächtnis verwahren, wie in einem Archiv, damit man sie jederzeit abrufen kann.

Wenn Sie eine Rolle spielen, öffnen Sie quasi einen Aktenschrank in Ihrem Kopf?

Exakt. Entscheidend ist auch, dass man den Zugang zu seinen Emotionen offen hält und sich an die Gefühle erinnert, die man schon mal empfunden hat: Angst, Eifersucht, Trauer, Wut, Liebe ... Und wenn man mit seiner eigenen Lebenserfahrung bei gewissen Handlungen der Figur nicht weiterkommt, dann nutzt man eben seine Fantasie – vorausgesetzt, man hat welche. Andernfalls müssten Sie, um einen Mörder zu spielen, zur Vorbereitung erst jemanden abmurksen. Erklären Sie das mal einem Strafrichter!

Könnten Sie theoretisch alles spielen?

Im Prinzip ... Vieles, ja, auch Schwieriges. Ich liebe Herausforderungen. Aber nicht alles. Ich muss jede Figur, die ich spiele, verteidigen können. Ich brauche zumindest eine plausible Rechtfertigung für ihr Verhalten. Deshalb könnte ich zum Beispiel nicht Donald Trump verkörpern, weil ich mich ihm nie und nimmer von einem neutralen Standpunkt aus nähern könnte. Eigentlich schade, denn aus ihm ließe sich ein schöner Shakespeare-Schurke machen.

Wie dachten Sie über die Rolle des Drogenkochs Walter White, als Sie 2006 das Drehbuch zu „Breaking Bad“ in die Finger bekamen?

Wow! Phänomenal! Ich hatte gerade die siebente Staffel der Sitcom „Malcolm mittendrin“ hinter mir und freute mich auf die achte. Doch dann entschied der Sender plötzlich, die Serie einzustellen. Ich war maßlos enttäuscht – bis mir das „Breaking Bad“-Drehbuch auf den Schreibtisch flatterte. Daraufhin wollte ich unbedingt Walter White spielen, aber das Studio lehnte mich ab: „Der naive Trottel aus ,Malcolm mittendrin‘? Auf keinen Fall!“ Zum Glück hatte ich einen Fürsprecher in Vince Gilligan, dem Schöpfer der Serie. Er sagte: „Bryan Cranston ist Schauspieler. Es ist sein Job, unterschiedliche Rollen zu verkörpern.“

Kannte er Sie?

Ja, Jahre zuvor hatte ich in einer „Akte X“-Folge mitgespielt, die er geschrieben hatte. Anscheinend hatte er mich als zuverlässigen, pünktlichen und besonders engagierten Schauspieler in Erinnerung. Ihm verdanke ich es, dass ich im Februar und März 2007 die „Breaking Bad“-Pilotfolge drehen durfte. Ich hätte dafür gar keine Zeit gehabt, wenn es eine achte „Malcolm mittendrin“-Staffel gegeben hätte. Dann hätte jemand anderes Walter White gespielt. Ich kenne keinen einzigen berühmten Kollegen, der sich nicht an Momente erinnert, in denen pures Glück nachgeholfen hat.

Wie haben Sie sich durch den Starruhm verändert?

Ich bin froh, dass mich der Ruhm nicht schon in jungen Jahren ereilt hat, damals hätte ich ihn nicht so gut verkraftet. Weil ich lange um mein Auskommen kämpfen musste, weiß ich meinen heutigen Status zu würdigen. Früher dachte ich: „Wenn du je berühmt wirst, bleibst du, wie du bist.“ Stimmt leider nicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass man sich verändert. Als Promi muss man sich zwangsläufig in der Öffentlichkeit anders verhalten.

Um sich vor aufdringlichen Leuten zu schützen?

Ja. Und weil man ständig unter Beobachtung steht. Seitdem mich jeder kennt, sehne ich mich nach mehr Privatsphäre; wenn ich nicht drehe, ziehe ich mich gern zurück, um runterzukommen, ein Buch zu lesen. Ich kann nicht mehr ausgehen, ohne dass ich angequatscht, gefilmt, um ein Selfie gebeten werde. In Gesellschaft achte ich neuerdings darauf, mich nicht zu sehr zu öffnen, weil sonst die Gefahr besteht, dass jemand sagt: „Toll, lass uns in Kontakt bleiben, gib mir mal deine E-Mail-Adresse!“ Ich musste lernen, in solchen Fällen höflich Nein zu sagen.

Was war Ihr bisher skurrilstes Erlebnis mit Fans?

Die bizarrsten kann ich gar nicht erzählen. Die sind nicht jugendfrei. Sagen wir’s mal so: Wenn du dein eigenes Konterfei als Tattoo auf einem fremden Hintern entdeckst, weißt du, dass du es wirklich geschafft hast!

Der Ruhm hat doch gewiss auch gute Seiten!

Sicher. Es ist wunderbar, wenn mir ein Fan erzählt, dass er und sein Sohn sich durch meine Serie wieder nähergekommen sind. Und ich kann mir heute meine Projekte aussuchen und habe keine finanziellen Sorgen mehr. Ich gehöre keineswegs zu den Leuten, die behaupten: „Ach, ich bin Künstler, Geld bedeutet mir nichts.“ Ich kenne die Armut ebenso gut wie den Reichtum. Reichtum ist besser.

"Mein Vater wollte unbedingt ein Star werden. Das war sein Problem"

Bryan Cranston als Walter Hartwell White und Anna Gunn als Skyler White in einer Szene aus der Serie "Breaking Bad".
Bryan Cranston als Walter Hartwell White und Anna Gunn als Skyler White in einer Szene aus der Serie "Breaking Bad".

© Frank Ockenfels 3/Sony Pitures/dpa

Ihr Kollege Woody Harrelson erzählte, dass Sie ihm großzügig geholfen und ihm unter anderem Ihr Recherchematerial gegeben haben, als er im Kinofilm „LBJ“ den US-Präsidenten Lyndon B. Johnson spielen sollte. Sie hatten den zuvor bereits auf der Bühne und im TV-Film „All the Way“ dargestellt. Gilt in Ihrer Branche nicht das Motto: „Ich zuerst“?

So ein Spruch wird hoffentlich nie auf meinem T-Shirt stehen! In meinen Kollegen sehe ich keine Konkurrenten. Nicht etwa, weil ich so arrogant wäre, zu glauben, niemand könnte mir das Wasser reichen. Vielmehr, weil ich finde, dass wir alle zu einer Bruderschaft gehören, in der Platz für jeden ist. Wenn Woody Erfolg hat, heißt das ja nicht, dass ich scheitere. Deshalb habe ich überhaupt kein Interesse daran, dass er auf die Schnauze fällt. Nur ein Narzisst wie Donald Trump würde so einen Schwachsinn denken. Solche Gedanken sollten wir schleunigst verbannen.

Aber es prügeln sich doch zu viele Schauspieler um zu wenige Jobs!

Schon. Doch ich habe eine Philosophie entwickelt, die ich seit Jahren jungen Kollegen empfehle: Bei einem Casting geht es nicht darum, einen Job zu bekommen, sondern darum, einen zu machen. Konzentriert euch auf eure schauspielerische Arbeit, erledigt sie möglichst gut und verabschiedet euch. Mehr könnt ihr sowieso nicht tun.

Haben Sie sich daran gehalten?

Ja, denn diese Erkenntnis, zu der ich vor 25 Jahren gelangt bin, hat mich buchstäblich vor der Selbstzerstörung gerettet. Wenn ein Kollege eine Rolle bekommt, die ich auch gern gespielt hätte, denke ich: „Okay, sie war offenbar nicht für mich bestimmt.“ Es ist doch sinnlos, sich zu ärgern und zu fluchen: „So ein Mistkerl!“ Das wäre etwa so, als würde ich Ihre Brieftasche auf der Straße finden und mich darüber aufregen, dass ich sie Ihnen zurückgeben muss.

Woher kommt Ihre positive Lebenseinstellung?

Wahrscheinlich von den Nöten, die ich in meiner Jugend durchgestanden habe. Man könnte sagen, dass ich Schauspieler geworden bin, weil mein Vater auch einer war – aber im Grunde genommen habe ich von ihm hauptsächlich gelernt, wie man es nicht machen sollte. Er wollte unbedingt ein Star werden. Und das war sein Problem.

Gab es in Ihrem Berufsleben je Momente, in denen Sie aufgeben wollten?

Am Anfang meiner Laufbahn, als ich beschissene Jobs annehmen musste, um zu überleben. Ich erinnere mich an schlimme Erlebnisse mit Leuten, die mich anbrüllten, mich erniedrigen oder fertigmachen wollten. Das haben sie aber nicht geschafft. Stattdessen fühlte ich mich hinterher stärker, weil ich es ausgehalten hatte. All das ist lange her. Seit vielen Jahren könnte es mir kaum besser gehen: Ich darf mein Geld damit verdienen, Geschichten zu erzählen; seit fast 30 Jahren bin ich glücklich mit derselben Frau verheiratet, und wir haben eine zauberhafte Tochter. Ich möchte mit niemandem tauschen.

Sie arbeiten noch immer verdammt viel, haben nicht nur einen Film nach dem anderen gedreht, sondern spielen zusätzlich vier Monate lang in London Theatre, bis zu acht Vorstellungen pro Woche. Warum tun Sie sich den Stress an?

Ich liebe das Theater, weil man da viel gründlicher proben kann als beim Film, und weil keine Vorstellung der anderen gleicht. Man weiß nie genau, was am jeweiligen Abend passieren wird. Das macht mir immer ein bisschen Angst und gibt mir gleichzeitig einen großen Kick.

Trotzdem könnten Sie es längst etwas ruhiger angehen lassen. Sind Sie ein Workaholic?

Erstens liebe ich meinen Beruf, und zweitens haben mir meine Großeltern beigebracht, dass man die Gunst der Stunde nutzen sollte. Ruhm ist vergänglich. Dass etwas von heute auf morgen vorbei sein kann, weiß ich seit meiner Kindheit. Deswegen nehme ich jetzt möglichst jedes gute Angebot an. Wenn mein Ruhm verblasst, möchte ich total erschöpft sein, damit ich dann sagen kann: „Großartig. Jetzt freue ich mich aufs Ausruhen!“

Marco Schmidt

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