zum Hauptinhalt
Die Autorin und Moderatorin Sophie Passmann hat 38 000 Twitter- und 24 000 Instagram-Follower.

© Kitty Kleist-Heinrich

Interview mit Autorin Sophie Passmann: „Krawallige, sich selbst überschätzende Frau? Here I am!“

Mit Salzstreuern erklärt sie jungen Leuten Politik – auf Instagram. Sophie Passmann über unerwünschte Penisbilder, alte weiße Männer und Remoulade.

Von

Frau Passmann, Sie wurden durch das Internet bekannt, posten fast täglich in den Sozialen Netzwerken und behaupten dennoch, Sie seien Herrin über Ihr Handy. Das ist doch Unsinn!

Vielleicht rede ich mir das auch schön. Aber anders als viele käme ich im Zwiegespräch nie auf die Idee, kurz meditativ zu gucken, ob das Internet Spannenderes bietet als mein Gegenüber. Außer, ich muss was nachschlagen. Oder ich sitze in einer großen Gruppe. Dann erlaube ich mir, kurz zu scrollen, wie sich Jan Böhmermann und Ulf Poschardt über den Görlitzer Park streiten.

Bei 38 000 Twitter- und 24 000 Instagram-Followern kriegen Sie doch stets Nachricht.

Eilmeldungen habe ich ausgestellt, Twitter zeigt mir keine neuen Aktivitäten an, den Facebook-Messenger hab’ ich gelöscht. Wenn ich arbeite, blocke ich auf meinem Laptop die Social-Media-Dienste, sodass ich nicht abdriften kann, und ich habe eine Konzentrations-App, damit ich mindestens 25 Minuten am Stück fokussiert bleibe, zumindest in der Theorie. Nur Anrufe und SMS kommen immer durch. Die sind dann entweder von Mama oder meinem Chef.

Was müssen Sie denn ständig mitteilen?

Ich will die Leute unterhalten. Ich mag an Social Media, dass die Produktionsschwelle so gering ist. Alberne Einfälle kann ich in einer Instagram-Story rausballern, die nach 24 Stunden verschwindet. Beim Fernsehen müsste ich erst mal einen Pitch schicken, eine halbe Woche warten, bis die antworten, dann drehen wir ’ne Maz, ich werde abgepudert ... Bis dahin hab’ ich schon keinen Bock mehr.

Noch mehr Follower bekamen Sie, als Sie im Stil von Beautyinfluencern Wahlunterlagen ausgepackt und die Koalitionsverhandlungen mit Gegenständen aus Ihrer Wohnung erklärt haben. Verstehen junge Menschen Politik nur noch mithilfe von Salzstreuern?

Nein! Aber Abseits erklärt man doch in der Kneipe auch mit ein paar Bierdeckeln. Es gibt viele junge Leute, die sich wahnsinnig gut mit Politik auskennen, aber die sind nicht mein Publikum. Drum spreche ich niedrigschwellig darüber. Auf Twitter ist mein Habitus anders. Da würde ich sagen: „Mein Gott, Johannes Kahrs vom Seeheimer Kreis, der hält seine Leute ganz gut beisammen“. Auf Instagram: „Also, es gibt jemanden, der heißt Johannes Kahrs. Das ist ein Politiker.“ Das hat nichts mit Unter- oder Überforderung einer Generation, sondern mit Rezipientenlogik zu tun.

Wollen Sie die Welt verbessern?

Ein bisschen, im Kleinen, bei mir. Es war immer notwendig, Politik zu erklären. Heute ist die Konkurrenz größer. Viel bequemer, im Bus den Facebook-Feed zu aktualisieren, als sich ’nen Artikel bei faz.net durchzulesen. Ich finde es sinnvoll, Leute, die sich eher für ihre eigene Lebenswelt interessieren, da abzuholen.

Sie haben der Publizistin Carolin Emcke vorgeworfen, nicht verständlich genug zu schreiben. Lässt sich jedes Problem für Social Media runterbrechen?

Ja. Ausnahmslos alles. Und genau da steigen viele unfassbar intelligente Leute wie Emcke aus. Das ist dann eben nicht bis zum Ende trennscharf und definitorisch, aber Justin Trudeau hat mal in 15 Sekunden den Unterschied zwischen Quantencomputern und binären Computern erklärt. Warum bietet Emcke nicht eine Fassung für alle außerhalb ihrer Peergroup an? Die Eitelkeit vieler lässt das nicht zu. Ich würde gern mal einen Abend veranstalten, wo ich Aussagen von Intellektuellen auf 140 Zeichen kürze. Man muss nicht von ambivalenter binärer Struktur reden. Man kann einfach sagen: „Boah, Männer und Frauen, schwierige Sache.“

Mögen Sie Ihre Follower?

Es gab eine Zeit, wo ich eher von ekligen Männern verfolgt wurde, jetzt sind die Guten in der Überzahl. Ich bin kein einfaches Opfer. Wer mir ein Penisbild schickt, kann fest damit rechnen, dass ich mich revanchiere.

Wie denn?

Ich versuche, seine Eltern zu finden. Auf Facebook ziemlich einfach. Erst schreibe ich ihm: „Ist das eigentlich deine Mama? Findet die bestimmt blöd, wenn du das machst, oder?“ Dann sind sie meist schon ganz humble. Eventuell schreibe ich der Mutter: „Ihr Sohn verschickt Fotos von seinem erigierten Penis an fremde Frauen.“

Und was passiert dann?

Meistens keine Reaktion. Die haben dann andere Sachen zu tun.

"Männer haben Netzwerke, Frauen nicht"

Passmann arbeitet als Autorin beim „Neo Magazin Royal“ von Jan Böhmermann (im Bild).
Passmann arbeitet als Autorin beim „Neo Magazin Royal“ von Jan Böhmermann (im Bild).

© Oliver Berg/dpa

Äh, Frau Passmann, Ihr Handy klingelt.

Das ist mein Reminder für Oma. Die bekommt jeden Tag eine WhatsApp-Nachricht.

Gab es eine Beleidigung, die Sie getroffen hat?

Der erste Shitstorm hat mich in seiner Masse an Hass mitgenommen. Ein Typ hatte mich auf Tinder gefragt: „Wenn du einen Tag ein Mann sein könntest, was würdest du machen?“ Meine Antwort: „Den vollen Lohn für meine Arbeit bekommen.“ Den Screenshot habe ich getwittert und darüber geschrieben „Flirten kann ich“. Das wurde sehr oft geteilt. Aber es haben mich auch viele Männer beschimpft: „Such dir halt einen richtigen Job, dann wirst du auch bezahlt“.

Sie imitieren die Stimme eines Höhlenmenschen.

Ich habe tagelang Nachrichten bekommen von Kerlen, die mir vermeintlich sachlich gesagt haben, dass ich keine Ahnung von Statistik habe. Das hat mich getroffen, weil ich zu der Zeit noch Statistik-Tutorien gegeben habe. Erklärst du 47-jähriger Karlheinz ohne Anstellung und Hochschulabschluss mir gerade, dass der Gender Pay Gap nicht stimmt? Ein anderes Mal bekam ich ein beängstigendes Video von einem Mann. Ich will echt nicht sterben wegen eines lustigen Tweets. Irgendwann verloren die Beleidigungen ihren Reiz. Mal ehrlich, ich habe selber keine Ahnung, wo ich übermorgen bin. Mein Kalender ist super gegen Stalker.

Einer Ihrer vielen Jobs: Sie arbeiten gelegentlich als Autorin beim „Neo Magazin Royal“ von Jan Böhmermann. Wie sind Sie dazu gekommen?

Jan hat mich gefragt. Auf Twitter.

Sie raten Frauen und Mädchen, Leute anzuschreiben, die sie toll finden: Lass mal Kaffee trinken.

Männer haben Netzwerke, Frauen nicht. Chefredakteure, Staatssekretäre, Aufsichtsräte. Sogar die Jugendorganisationen von Parteien. Ich nehme da explizit die linken nicht aus. Alles Dudes, die Dudes einstellen. Ein Mann fördert tendenziell einen Mann, weil man das nimmt, was man kennt. Kein Vorwurf. Männer haben Netzwerken gelernt. Die fragen sich nicht, ob es angemessen ist, mit der Abteilung angeln zu gehen. Frauen denken schnell: „Ich kenn die doch gar nicht ...“ Wenn Julia Klöckner, Ursula von der Leyen, Annalena Baerbock und Claudia Roth zusammen beim Italiener essen würden, würde sogar ich denken: Hä, was machen die da? Und dann kämen natürlich sofort Kommentare wie: Oh, gibt’s gerade 50 Prozent bei Reno?

Sie klingen jetzt sehr wütend.

Ich werde immer verbitterter, wenn ich auf die deutsche Unterhaltungsindustrie gucke. Lanz kam neulich schon wieder ohne Frauen aus. Die Seh- und Hörgewohnheiten sind auf Männer gepolt. In Dokumentationen sprechen Männer den Off-Text, denen glaubt man ja eher. Wenn Frauen in Talkshows laut werden, ist das hysterisch, wenn Heribert Prantl sein Gegenüber zusammenschreit, wird er gefeiert. Schön, dass da mal jemand die Sprache der kleinen Leute spricht. Und das kann sich nur ändern, wenn es ein paar krawallige, sich selbst überschätzende Frauen gibt: Here I am!

In einem Beitrag für das „Neo Magazin“ haben Sie Schauspieler zu #MeToo befragt. Jürgen Vogel hat Ihnen als Antwort die Hand auf die Hüfte gelegt. Können Sie noch Filme mit ihm schauen?

Klar. Ich finde Jürgen Vogel weiterhin toll. Am Ende des Tages ist nicht die Hand auf der Hüfte das Problem, das das weibliche Geschlecht hat, sondern, die Hälfte der Gage zu bekommen. Alle sagen nach #MeToo mit ernster Miene: Es ändert sich ja auch die Wahrnehmung gerade. Keiner sagt: Hier spiele ich nicht mehr. Keiner fordert eine Transparenz für Gagen! Es kann nicht sein, dass immer nur Frauen mitbekommen, wenn irgendwo Machtmissbrauch stattfindet. Also, Männer, hört entweder auf, so pathetische Interviews zu geben, und seid gleich unpolitisch, weil das besser zum schönen Gesicht passt. Oder tretet mal einen Schritt zurück, damit eine Frau in die ganz kleine Lücke kann!

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Bis kürzlich waren Sie Kolumnistin der „Jolie“. Auf deren Webseite: Maße der Stars, Analsexmythen, Rezepte. Nicht gerade feministische Avantgarde.

Natürlich sind diese Magazine Kapitalismus pur: Man kauft sie, um noch mehr zu kaufen. Aber ich will keine Systemkritik üben, sondern nur, dass junge Frauen ab und zu, wenn sie im Schwimmbad die Sommertrends durchblättern, einen klugen Gedanken abbekommen. Manchmal ist schon der Zweifel an einem Gedanken wertvoller als ein ganzes politisches Manifest. Einfach auch, weil politische Manifeste nicht so aufmerksam gelesen werden von Mädchen im Schwimmbad.

Schreiben Sie eigentlich in einem Café – so wie man sich das vorstellt?

Meistens eher daheim, aber neulich habe ich mich ertappt, wie ich im Belgischen Viertel in Köln sitze, im „Salon Schmitz“, mir einen Frozen Lemon Margarita bestelle und eine Kolumne in mein MacBook mit den ironischen Stickern drauf hacke. Ich bin das Abziehbild eines Klischees geworden!

"Wir trainieren uns den letzten Rest Geschmackssinn ab"

Sophie Passmann postet auf Instagram gern Bilder von sich mit einem Flutschfinger-Eis.
Sophie Passmann postet auf Instagram gern Bilder von sich mit einem Flutschfinger-Eis.

© www.instagram.com/fraupassmann

Kennen Sie Selbsthass vor dem leeren Blatt Papier?

Bei mir gibt’s kein weißes Blatt. Ich schreibe alles voll. Allein deswegen kann ich keine große Schriftstellerin werden, ich quäle mich nicht genug. Ich denke aber auch nie: Hat meine Lektorin mich lieb? Sondern: Wird sich das auf Twitter teilen?

Sie kommen aus dem badischen Kaff Ettenheim, 1800 Einwohner. Wir war das, dort aufzuwachsen?

Ich war ein sehr unglücklicher Teenager, was zum Teil mit einer leidenschaftlich wegignorierten manischen Depression zu tun hatte. Ich wurde auch nicht warm mit den Leuten, war an der Schule unterfordert, wollte nicht existieren, habe nach Größerem gestrebt – komische Mischung.

Bereits mit 15 sind Sie als Poetry-Slammerin deutschlandweit auf Bühnen aufgetreten. Hat das Gefühl, ein Außenseiter zu sein, Ihre Arbeit befördert?

Da hilft jede Art von Leidensdruck, Liebeskummer, psychische Krankheiten. Jenseits von Slam war ich nicht so mitteilungsbedürftig. Ich war nicht das Kind, das Blockflöte für den Besuch spielen wollte. Die Punchline in meiner Familie ist bis heute: Sophie hasst Menschen.

Ihre Eltern haben ebenfalls Instagramprofile, manchmal kommentieren Sie bei Ihnen.
Sie sind super Showeltern! Sie haben echt Sinn für Timing. Und meine Mutter kann irre gut die doofe Mama spielen, einfach, weil sie weiß, wie lustig das bei anderen ankommt. Ich hab mal ein Skateboard gekauft, mit dem Verkäufer gefachsimpelt, ah ja der Trick, der Pop Shove it ... Meine Mutter so: ist das der, wo du immer hinfällst? Man muss lustig sein, um in der Familie Passmann zu bestehen.

Trinken Sie eigentlich so viel, wie Ihr Instagram-Profil suggeriert?

Im Vergleich zum durchschnittlichen Instagrammer interessiere ich mich überdurchschnittlich viel für Politik und trinke überdurchschnittlich viel Wein.

Welcher Wein hilft gegen Liebeskummer?

Deutscher Riesling aus dem Rheingau, weil er so anstrengend ist, dass man sich nur noch auf ihn konzentriert, und einem spätestens nach dem zweiten Glas klarmacht, es gibt Wichtigeres als den Menschen, der einen nicht mehr möchte. Nämlich zum Beispiel Riesling aus dem Rheingau.

Sie mögen kein Bier, keine Möbel, hassen Radiohead – gefallen Sie sich in dieser Anti-Pose?

Voll. Anfangs habe ich wirklich vieles nicht verstanden, was andere mögen. Auf Partys zu gehen beispielsweise, als Teenager habe ich da Panikattacken bekommen. Nach und nach versuchte ich, mein Außenseitersein in etwas Cooles umzuwandeln. Mittlerweile trage ich selbstbewusst vor mir her, was ich nicht mag. Jedenfalls in meiner äußeren Person. Privat bin ich sehr umgänglich.

Es sei denn, es geht um Remoulade?

Oh, danke für diesen Jürgen-Dollase-Moment: Natürlich kann Remoulade zum Fisch oder Roastbeef fantastisch sein, aber meist ist sie dazu da, Käse, der scheiße schmeckt, zu übertünchen. Alles schmeckt nur noch nach Remoulade. Wir trainieren uns damit den letzten Rest Geschmackssinn ab.

Als Veganerin verzichten Sie doch darauf sowieso.

Man muss radikalem Konsum radikalen Nichtkonsum entgegensetzen. Es braucht ein paar Veganer, die jedes Mal fragen, ob es auch veganes Essen gibt. Ich bin gern die, die nervt. In einem gewissen Rahmen ist es okay, Fleisch zu essen, aber den haben wir vor Jahrzehnten überschritten. Außerdem ist es ungesund, schlecht für die Umwelt und am Ende eine Frage der Gerechtigkeit: Es sind arme Leute, die an Feinstaubstraßen wohnen, in der Nähe von Schlachthöfen, die die schlechteste Wurst essen.

Sie sind 24 und wurden kürzlich in einem Interview von der „Welt“ permanent geduzt. Hat unsere Gesellschaft keinen Respekt vor jungen Menschen?

Ja, dieses Kevin-Kühnert-Syndrom. Über ihn hat man sich zwei Wochen lustig gemacht, und inzwischen ist er der Typ, der bei „Hart aber Fair“ jeden Milliardär rasiert, weil er viel schlauer ist als die meisten. Es ist super abgefahren, dass wir jungen Leute keine Lobby haben ... Moment: vielleicht wegen solcher Sätze: „Es ist super abgefahren ...“

Sie schreiben gerade an einem Buch. Worum geht’s?

Um alte weiße Männer. Die Stimmung zwischen jungen Feministinnen wie mir und denen ist ja momentan eher mittel. Ich treffe prominente Männer und versuche zu verstehen: Wird man, wenn man älter ist und Privilegien hat, automatisch jemand, der schmierlappige Komplimente macht und sich beschwert, man dürfe Frauen heutzutage ja nicht mal mehr die Tür aufhalten? Es soll eine Reise werden – ich hoffe auf Versöhnung.

Zur Startseite