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Wortlose Erzählung. Die Arbeit in der Fabrik gehörte zu Tuggeners großen Themen.

© Jakob Tuggener/Steidl Verlag

Industriefotografie: Ein neuer Bildband zeigt das Werk von Jakob Tuggener

Patina und Ruß faszinierten ihn. Deshalb zog es den großen Schweizer Fotografen vor allem in Fabriken, Kontore und zu Maschinen – deren Macht er fürchtete.

Zu Lebzeiten hat er ein einziges Buch veröffentlicht: „Fabrik“. Der Titel war für Jakob Tuggener Programm. Aber nicht im Sinne kühler Dokumentation. Den Blick des Fotografen prägte die Anteilnahme am Menschen und am großen Drama, das sich für ihn gerade in Fabrikhallen und Kontoren zutrug. Bis heute ist der Züricher (1904–1988) der große Unbekannte der Schweizer Fotografie. Sein Geld verdiente er mit Aufträgen für Firmenzeitschriften. Doch eigentlich arbeitete er daran, Bilderbücher zusammenzustellen – im Wortsinne, denn Bildzeilen oder gar ausführliche Erläuterungen lehnte er ab. Auch die Reihenfolge war ihm gleichgültig.

„Fabrik“ hat er als „Bildepos“ bezeichnet, als wortlose Erzählung nicht von Ereignissen, sondern von Zuständen. Tuggeners Fotografien haben die condition humaine zum Thema, das Allgemeine des menschlichen Daseins in seinem je konkreten Augenblick. Der Schweizer plante weitere Bücher, allerdings entstand nur jeweils ein Original. Erst jetzt ist es Verleger Gerhard Steidl gelungen, aus einem Dutzend dieser „Maquetten“ Bücher in gedruckter Auflage zu machen; solche, die den Qualitätsansprüchen, wie Tuggener sie an sein eigenes Werk stellte, gerecht werden. Damit ist dieses fotografische Erbe endlich zugänglich – und es ist großartig (Steidl, 12 Bände, ingesamt 1336 Seiten, in einer Holzkiste, 700 Euro).

Er durfte mit der Kamera auf die Feste der Society

Jakob Tuggener studierte 1930/31 in Berlin, als die politische Situation zum Zerreißen gespannt war, und Wien besuchte er im März 1938 beim „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland. Doch auf seinen Fotos finden sich allenfalls Spuren des Tagesaktuellen. Er war nicht politisch. Spät in seinem Leben hat er erklärt: „Ich habe die Arbeiter fotografiert, weil sie fotogen sind, weil hier Atmosphäre ist, weil hier Patina ist, Ruß und Dreck.“

Sein Menscheninteresse führte ihn auch auf die Feste der Society, zu einer Zeit, als Perlenketten noch Glanz bedeuteten. Er durfte mit der Kamera zuschauen, weil die Herrschaften wussten, dass die Bilder nicht in Boulevardblättern landeten. Tuggener, der durchaus ein Kauz war, zeigte sie erst im Alter und nur wenigen Gästen in seiner Souterrainwohnung.

Eine Furcht begleitete Jakob Tuggener lebenslang: dass die Maschinen den Menschen übermächtigen könnten. Beim heutigen Blick auf seine kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bilder aus der Welt der Fabriken mutet diese Furcht schon ganz gestrig an, rührend – und berührend.

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