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Jedes Möbelstück hat im Linnen seine eigene Geschichte.

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In fremden Federn: Zwischen Stuck und Fundstücken

Eine breite Harry-Potter-Treppe, wie man sie nirgends in Berlin je gesehen hat, führt in eins der kleinsten und schönsten Hotels der Stadt.

Glück gehabt. Es ist Dienstag, ein dunkler, nasser, banaler Wochentag. Die Schar der Touristen, die einem über die Füße laufen, hält sich in Grenzen. Am Sonntag herrscht Rushhour auf der Eberswalder, dann strömen die Massen zum Mauerpark, stürmen lärmend das Café Linnen. Jetzt kommen die wenigsten so weit. Auf dieser Seite stehen einige Läden leer, auf der anderen: ein Altenheim, eine Autowerkstatt im Hof. Unglamouröser Prenzlauer Berg.

Leise Feierabendstimmung im Café. Ein paar italienische Freunde parlieren auf der Wohnzimmergarnitur, der jüngste Gast sieht aus, als sei er erst ein paar Tage alt. Um sechs macht das Café schon zu, dann kommen nur noch Hotelgäste rein, wandeln eine breite Harry-Potter-Treppe hoch, wie man sie nirgends in Berlin je gesehen hat, in eins der kleinsten und schönsten Hotels der Stadt. Es ist ein fiktives Berlin, in das man da steigt, zusammengesetzt aus Altbauräumen, gutem Geschmack und Fundstücken der beiden quereingestiegenen Betreiber, der eine aus Westfalen, der andere Kanadier mit portugiesischen Wurzeln.

Das Inventar: genauso zugereist. Die Vitrine, in der die Handtücher aus Portugal liegen, stand früher im Detmolder Naturkundemuseum. Auch im Zimmer nichts von der Stange, ein alter Spind ersetzt den üblichen Kleiderschrank. Das Motto: „More home, less hotel.“

Die Einzige, die nicht müde wird, ist die M10

Jedes Möbelstück hat im Linnen seine eigene Geschichte. So wie die Leute, die man draußen trifft. Ein junger Mann mit Hund nähert sich, er sei 132 Jahre alt. „Und Sie?“

Auf der anderen Straßenseite hat eine Berliner Kneipe der Vergangenheit ihr Schaufenster eingeräumt. Zwei Wachtürme, nur die Mauer fehlt, die Weltuhr in gar nicht so klein, ein Plattenhochhaus als eine Art Puppenstube, mit DDR-Teilen bestückt. In den Räumen, alle nach vorne offen, steht jeweils ein Püppchen am vorderen Rand, als wolle es sich jeden Moment in den Abgrund stürzen. Spiegel der Gefühle der Biertrinker im Kneipeninneren?

Eine breite Treppe führt vom Café in die Zimmer.
Eine breite Treppe führt vom Café in die Zimmer.

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Die Einzige, die nicht müde wird, ist die M10, fährt hin und her. Die Einheimischen ziehen sich offenbar früh zurück, um sieben haben fast alle Läden zu. Nur aus dem Drogeriemarkt werden noch Familienpackungen Klopapier rausgetragen. Vor der endgültigen Melancholie eine Entdeckung, ein kleiner Italiener, die Pizza kommt von draußen rein, wird in der Bar nebenan gebacken. Ein Gefühl wie im Gasthof auf dem Land. So freundlich alles, die Portionen für Bauern gemacht, die Rigatoni mit wildem Brokkoli und Salsiccia im Sud köstlich, rustikal. Könnte auch Italien sein. More home, less restaurant.

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