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Warmwetterblick auf das Schloss Wernigerode.

© Jens Wolf

Harz: 48 Stunden im sommerlichen Wernigerode

Im Harzstädtchen schauen alle nach oben, zum Brocken. Unten ist’s mindestens genauso gut: Fachwerk, versteckte Hinterhöfe, eine Überdosis Kuchen.

9 Uhr

Auf den Treppen des Rathauses wartet ein Blumenmädchen ungeduldig auf seinen Auftritt. Wenn sich gleich die Türen des historischen Rathauses öffnen, wird wieder ein Paar den Bund fürs Leben eingegangen sein, das passiert in Wernigerode etwa 400 Mal im Jahr. Die Kulisse im mittelalterlichen Rathaus, auf dem Schloss und auf dem Brocken zieht sogar Heiratswillige aus der Schweiz oder Kapstadt an und beschert der Stadt so etwas wie dauerhaft gutes Karma – zumindest in den Frühlings- und Sommermonaten.

10 Uhr

Nebenan im Café Burgstraße trifft man nicht nur Touristen, von denen Wernigerode viele hat (auf 35 000 Einwohner kommen 1,2 Millionen Übernachtungen im Jahr). Beliebt ist das tägliche Frühstücksbuffet (ab 8 Uhr) im überdachten Innenhof. Im Séparée am Eingang wird der neueste Familientratsch bei einer Tasse Kaffee und einem mächtigen Stück Schokoladenkuchen aus der hauseigenen Bäckerei ausgetauscht, danach braucht man kein Mittagessen.

11:30 Uhr

Bei einem Bummel durch die Altstadt wird schnell klar, was Heidedichter Hermann Löns mit „bunte Stadt im Harz“ gemeint hat, als er Wernigerode 1907 beschrieb. In der komplett unter Denkmalschutz stehenden Altstadt reihen sich Fachwerkhäuser aus sechs Jahrhunderten aneinander. Wie Puppenstuben schlängeln sich die gelb-braun-rot-grünen Häuschen um den Schlossberg herum. Die Breite Straße bleibt dabei ihrer ursprünglichen Anlage als Kaufmannsstraße treu: Auf ein Geschäft mit Schokolade folgen Läden für Brillen, Bücher – und Brockenhexen, die örtlichen Schreckgespenster. Anders als in anderen Einkaufsmeilen wirkt alles entspannt, vielleicht, weil die Menschen hier wirklich flanieren. Mag auch am netten Service liegen, der einem überall in Gaststuben und Cafés begegnet. Ein Stück Käsekuchen im Louisen-Café in der Breiten Straße 92 (schmeckt wie bei Oma), dann geht es weiter Richtung Schloss.

13 Uhr

Es gibt viele Wege, die ehemalige Residenz der Familie zu Stolberg-Wernigerode zu erklimmen. Bimmel- und Schlossbahn sammeln die Besucher an zentralen Plätzen ein, für den wohl gemächlichsten Aufstieg wartet hinter dem Rathaus ein Planwagen mit zwei Altmärker Kaltblütern. Weniger bequem, dafür reizvoller, ist der Weg die Lindenallee entlang Richtung Lustgarten, der neben der ehemaligen fürstlichen Bibliothek (jetzt Teil des Landesarchivs) schon die erste Aussicht auf die Stadt freigibt. Auf dem Rosenweg geht es steil, aber dafür kurz bergan zum Schloss, das mal eine Burg war. Ein wichtiger Unterschied, denn diente die eine dem deutschen Wanderkaiser als Schutz auf seinen Reisen, war das andere Wohnsitz der ortsansässigen Adelsfamilie, die im 19. Jahrhundert aus dem Barockbau ein Schloss im Stil des Historismus machte. 25 Jahre dauerte der Umbau – das lässt für den BER noch hoffen.

Der Weg durchs Schloss ist eine Zeitreise

Kaltblutfahrt durch das Zentrum.
Kaltblutfahrt durch das Zentrum.

© Michael Bader

14 Uhr

Der Blick auf die Stadt ist von hier oben ein erhabener. Wo heute Selfies auf der Sommerterrasse gemacht werden, schritt 1868 König Wilhelm I. durch das mächtige Eingangsportal. Auch das kleine Gespenst spukte hier, zuletzt vor fünf Jahren, als der Innenhof als Filmkulisse diente. Seitdem schlummert es in seiner Truhe auf dem Dachboden, der auf einer Turmführung zu besichtigen ist (rechtzeitig buchen!). Der Weg durchs Schloss ist eine Zeitreise durch die Stile der letzten Jahrhunderte, vorbei am mit Japanleder bespannten Arbeitszimmer des Grafen, durch die neue Bibliothek in die Gemächer der Gräfin Anna, die sich im Festsaal auch als Malerin verewigte. Im Billardzimmer schaut Reichskanzler Otto von Bismarck prüfend auf die Eintretenden herab. Ein interessanter historischer Verweis, denn seine Idee zur Befriedung der Arbeiterschaft durch eine Sozialgesetzgebung stammt ursprünglich von seinem Stellvertreter, dem Schlossherrn Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode, der in diesem Zusammenhang selten Erwähnung findet. Wie so oft in der Geschichtsschreibung kein feiner Zug.

16 Uhr

Prime Time im Café Wieker am Marktplatz, alle Tische sind besetzt. Trotz sehr beeindruckender Kuchenauslage: An den Käsekuchen im Louisen-Café reicht dieser hier (mit Rosinen, leicht zitronig) nicht heran. Von der Breiten Straße strömen Horden an Menschen herbei. Um der Völkerwanderung zu entgehen, lohnt ein Abstecher in die Hinterhöfe. Vergleichbar mit Berlin tut sich dort eine neue Welt auf, voll mit Fachwerk eingefasster Gärten und kleiner Geschäfte. Nicht alle sind von der Straße aus zugänglich: Im Antiquariat Schulze (Westernstraße 10) führt eine Tür in der Kinderbuchecke in ein solches Kleinod, aber bitte vorher fragen.

18 Uhr

Die Auswahl an Essensmöglichkeiten ist so unübersichtlich wie in Kreuzberg. Kerstin Nagy, Geschäftsführerin im Hotel am Anger, empfiehlt das Orchidea in der Klintgasse 1. Gastgeberin Huong Thanh Trute hat das alte Haus für 1,5 Millionen Euro behutsam restauriert und ein Restaurant mit gehobener japanischer und vietnamesischer Küche eröffnet, das so gut ist, dass selbst George Clooney und die Bundeskanzlerin schon hier waren. Bei der Vorspeise aus Apfel, Radieschen, Walnüssen und Daikonkresse (5,90 Euro) wird klar, warum: Es ist die reinste Geschmacksexplosion. Ohne Reservierung geht hier abends nichts.

20 Uhr

Vorbei am Schiefen Haus, das so heißt, weil Walkmühlen dem Fachwerk einen steileren Neigungswinkel als dem schiefen Turm von Pisa verpasst haben. Dort wartet der Nachtwächter auf dem Marktplatz auf seinen Rundgang (sechs Euro). In historischem Gewand erzählt er schlüpfrige Details aus der Zeit, als das Rathaus noch Spelhus war und als Trink- und Spielstätte Geld ins Stadtsäckl spülte. Es brennt noch Licht im Weinstübchen (Breite Straße 88). Der Spätburgunder passt zum historischen Grundton Wernigerodes – ein Hoch auf Oberst Petri, der im April 1945 die Stadt vor der Zerstörung bewahrte. Man hat ihn dafür allerdings standrechtlich erschossen.

Erst in die Eisdiele danach ins Christianental

Kühlbierabend am Marktplatz.
Kühlbierabend am Marktplatz.

© Michael Bader

10 Uhr

Jenseits der Stadtmauer liegt der Bürgerpark. Das Gelände war Schauplatz der Landesgartenschau 2006 und dient seither vor allem Familien als Ausflugsziel. Während die Kinder Ziegen, Esel und Kaninchen füttern (Achtung: Die beißen!), chillen die Eltern auf ergonomisch geformten Schaukelliegen. Die größte Attraktion ist der Miniaturenpark am Eingang, der es erlaubt, einmal quer durch den Harz zu wandern. Vom Domschatz in Halberstadt bis zur Kaiserpfalz in Goslar sind es nur wenige Meter, auf Knopfdruck fahren Modelleisenbahnen hoch zum Brocken.

13Uhr

Zu DDR-Zeiten war der VEB Elektomotorenwerk der größte Arbeitgeber Wernigerodes. Nach der Wende erfüllte sich Clemens Aulich, Unternehmer aus Braunschweig, in den Produktionshallen einen Traum und stellte seine Flugzeuge, die der Sammler aus 120 Jahren Luftfahrt zusammengetragen hatte, hinein. In vier Hangars kann man vom Heißluftballon bis zum Düsenjäger alles hautnah betrachten. Ein Windtisch erklärt den Auftrieb, ein Schleudersitz veranschaulicht den Notausstieg über den Wolken, absolutes Highlight ist der Flugsimulator in einer Messerschmidt. Wenn demnächst die Transall auf dem Dach steht, wird das Luftfahrtmuseum im Gießerweg 1 auch leichter als bisher zu finden sein, und man fährt nicht daran vorbei.

Heißgetränkepause in den Cafés der Innenstadt.
Heißgetränkepause in den Cafés der Innenstadt.

© Michael Bader

15 Uhr

Am Galgenberg entlang, die Schlachthofstraße hinunter und einmal über die Bahnschienen, lockt Busche’s (sic!) Eisdiele mit selbst gemachten Milcheiskugeln, die die Wernigeröder schon seit Jahrzehnten kennen und lieben. Eine Kugel Mohn-Marzipan „mit Schokohut“ (1,20 Euro) stärkt für die kurze Autofahrt ins Christianental. Der kleine Tierpark am südöstlichen Stadtrand Wernigerodes liegt mitten im Wald und kann von der Stadt wie vom Schloss aus gut zu Fuß erwandert werden. In den Gehegen äsen und zwitschern fast ausschließlich einheimische Tierarten, meist Unfall- und Fundtiere, die nicht mehr ausgewildert werden können. Danach ein kräftiges Wildgulasch im Schatten der Mammutbäume, die am Waldgasthaus stehen. Mammutbäume im Harz? Wieder haben die Grafen von Wernigerode ihre Finger im Spiel: Als Jagdgebiet im Stil eines Englischen Gartens angelegt, wurden die exotischen Bäume ins beschauliche Harzstädtchen importiert. Die 165 Jahre alten Exemplare aus Amerika sind inzwischen 33 Meter hoch und absolut pflegeleicht. Glücklich ist der, der eine seiner seltenen Früchte findet.

18 Uhr

Ein Besuch in Wernigerode ist nur komplett, wenn man auf dem Brockengipfel gestanden hat. Ein Gefühl, das Benno Schmidt gut kennt: Für den 86-Jährigen war der höchste Berg Norddeutschlands 40 Jahre lang Grenzgebiet und somit unerreichbarer Sehnsuchtsort. Seit der Wende läuft er fast täglich hinauf, inzwischen mehr als 8450 Mal. Wenn sich der Gipfel mal in Nebel hüllt, weiß „Brocken-Benno“, welcher Aufstieg sich lohnt. Er empfiehlt den – wesentlich kürzeren – Weg zum Kaiserturm. Man kann auch mit dem Auto fast bis nach oben fahren, den Ernst-Moritz-Arndt-Weg entlang bis zum Försterplatz. Von dort sind es ein paar Gehminuten am Gasthaus Armeleuteberg vorbei und 64 Stufen hoch, um eine neue Perspektive auf Wernigerode zu haben. Das Schloss wirkt nicht mehr ganz so trutzig und die Stadt so bunt, wie Hermann Löns sie beschrieben hat.

Reisetipps für Wernigerode

Hinkommen

Mit dem Auto dauert die Fahrt von Berlin via Magdeburg etwa drei Stunden. Die Bahn, mit Umstieg in Magdeburg, braucht genauso lang, die Fahrt kostet 22 Euro für eine Strecke im Sparpreis.

Unterkommen

Das Hotel am Anger (Breite Straße 92-94) verfügt über großzügig geschnittene Zimmer (Doppelzimmer ab 90 Euro inklusive Frühstück), mit einem hoteleigenen Parkplatz. Zum Marktplatz sind es nur fünf Minuten zu Fuß. Infos unter hotel-am-anger.de

Rumkommen

Beliebt sind die Fahrten zum Brocken mit der Brockenbahn, die von Wernigerode aus zwei Stunden dauern (43 Euro Hin- und Rückfahrt). Von Schierke aus kann der Gipfel in 1,5 Stunden (für geübte Wanderer) über den Eckerlochstieg zu Fuß erklommen werden. Über Wanderrouten und Ausflugsziele informiert die örtliche Touristeninformation (Marktplatz 10, Mo-Fr 9-19 Uhr, Sa 10-16 Uhr, So 10-15 Uhr). Einen guten Einstieg in Geschichte und Architektur bietet die öffentliche Stadtführung „1000 Schritte rund ums Rathaus“ täglich um 10.30 Uhr (Treffpunkt Touristeninformation, fünf Euro).

Infos unter wernigerode-tourismus.de.

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