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Die meisten Bewohner des Bergdorfes Rushaga gehören zum Stamm der Bakiga. Seit die Batwa ihre neuen Nachbarn wurden, fürchten die Bakiga, dass sie ihnen etwas wegnehmen könnten.

© Christian Vooren

Gorillatouren in Uganda: Wie der Tierschutz zwei Stämme zu Feinden machte

Uganda ist eines der letzten Refugien für Berggorillas. Doch die Sorge um die Tiere hat einen neuen Konflikt hervorgebracht: Mensch gegen Mensch.

Seit Stunden schwingt Augustin Muhangi seine rostige Machete. Von links oben nach rechts unten und dann von rechts oben nach links unten. Bei so viel Buschwerk, das er und die anderen Ranger Tag um Tag roden, müsste man kilometerweit in die Ferne schauen können, ohne dass ein einziges Blatt die Sicht verdeckt. Doch wenn sich Augustin eine Schneise geschlagen hat, ist sie wenige Tage später wieder zugewuchert. Der Bwindi-Regenwald ist stärker. „Impenetrable“ ist sein Beiname. Undurchdringbar.

Dieser Dschungel ist eines der letzten Refugien, in dem Berggorillas leben. Hier, im äußersten Südwesten Ugandas, und im Grenzgebiet zu Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo. 350 Quadratkilometer in Bwindi, etwa 100 mehr sind es im nahegelegenen Virunga-Nationalpark, insgesamt eine Fläche nicht viel größer als Köln.

Die Tiere wurden fast ausgerottet, weil der Mensch sich immer weiter ausbreitet. Wilderer jagen Gorillas und stellen Fallen für Antilopen auf, in die auch Affen geraten und dann dort verenden. Deren Lebensraum schrumpft, weil Tropenhölzer und Rohstoffe aus dem Boden gefragt sind. Farmer töteten Gorillas, wenn sie ihren Feldern zu nahe kamen.

Das Leben der Batwa hat sich verändert

Die Regierung in der Hauptstadt Kampala reagierte mit einem umfassenden Schutzprogramm. Seit Beginn der 90er Jahre ist Bwindi ein Nationalpark. In den Wald darf seitdem nur noch rein, wer eine Erlaubnis hat. Touristen können Wanderungen zu den Gorillas buchen. Mehrere 100 Dollar kostet ein solches Ticket. Nur maximal acht Besucher dürfen die Ranger pro Tag und Gorillafamilie in den Dschungel führen. Die strengen Restriktionen sind ein Erfolg. Die Population hat sich allmählich erholt, in Bwindi leben heute etwa 400 Tiere, ein paar mehr im benachbarten Virunga-Nationalpark.

Nur: Das Ende des Konflikts Mensch gegen Tier entfachte einen anderen: Mensch gegen Mensch.

Prisca Niramagoyes gesamtes Leben hat sich verändert. Niramagoye ist eine Batwa. Sie gehört zu einem Pygmäenvolk, das einst in den Regenwäldern der Region lebte. Sie geht gekrümmt, trägt tiefe Furchen im Gesicht, einen vom Leben matt gewordenen Blick. Und behauptet, 120 Jahre alt zu sein, überprüfen lässt sich das nicht. Niramagoye ist Medizinfrau und weiß, welche Kräuter als Tee gegen Magenkrämpfe helfen, mit welchen Blättern sich Wunden am besten verbinden lassen und welche Wurzeln Kraft geben.

Die Bakiga hat keiner gefragt

Die Batwa lebten jahrhundertelang im Regenwald. Bis zu 2500 Menschen sollen dem Stamm angehört haben. Sie sammelten Beeren, Früchte, wilden Honig. Aus Ästen und Sträuchern bauten sie sich Hütten oder bewohnten Höhlen. Sie jagten Wild, meist mit Pfeil und Bogen. Bushpig, Wildschweine, manche Antilopenarten. Das Fleisch garten sie auf Stöcken am Feuer.

Die Gorillas haben sie nie angerührt. Raus aus dem Dschungel mussten die Batwa trotzdem, weil der jetzt ein Schutzgebiet ist. Der Wald, der einst ihr Schutzraum war.

„Die Batwa sollen sich nicht beschweren“, sagt Ranger Augustin Muhangi, während er den Lederriemen seines Maschinengewehrs etwas weiter über die breiten Schultern schiebt. Eine AK 47, „chinesische Produktion, nicht aus Russland“. Seit 14 Jahren arbeitet er als Ranger. Der 38-Jährige gehört zum Stamm der Bakiga, einem Bergvolk aus dem nahen Dorf Rushaga. Die Batwa sind seine neuen Nachbarn. Nur hat ihn niemand gefragt, was er davon hält.

Rushaga ist für Touristen der Ausgangspunkt, wenn sie zu den Berggorillas wandern wollen. Die nächste größere Stadt, Kisoro, liegt etwa zwei Autostunden über eine Straße entfernt, die den Stoßdämpfern der Minibusse alles abverlangt und deren Insassen bis ins Mark durchschüttelt. „African Massage“ nennen die Einheimischen das. Wer die Fahrt nach Rushaga für mühsam hielt, wird spätestens bei der Wanderung zu den Berggorillas eines Besseren belehrt werden.

Die Missgunst der Abgehängten ist groß

Alte Heimat. Die Batwa mussten den Regenwald verlassen.
Alte Heimat. Die Batwa mussten den Regenwald verlassen.

© Christian Vooren

Selbst wenn man direkt hinter Muhangi mit den zu großen Gummistiefeln geht, muss man noch mit jedem Schritt Zweige und Blätter platttreten, um dann doch knietief in zähflüssigem Matsch zu versinken. Den braunen Lehm sieht man kaum, nur überall Grün. Zwei Stunden sind rum, und je länger der Marsch dauert, desto merklicher schwinden die Kräfte, desto steiler geht es auf und ab. Der Boden wird rutschiger, und jeden Ast, der Halt böte, hat Muhangis Machete durchtrennt. „Kommt schon, los!“, ruft er. Die Luft ist dünn hier oben in den Bergen und feucht, das Atmen fällt schwer, obwohl es bloß 23 Grad warm ist. Muhangi rodet und schwört, dass er und seine Stammesgenossen nichts gegen die Batwa hätten.

Fragt man im Dorf herum, bestätigen das die meisten. Es ist besser geworden, ja. Soll heißen: Es war mal schlimmer. Die Missgunst ist in Muhangis Stimme zu hören. Seiner Meinung nach werden die Batwa von der Regierung verhätschelt. Die Uno warnte 2016: Wenn die Batwa nicht geschützt werden, werden sie aussterben.

Die meisten Bakiga im Dorf arbeiten nicht wie Muhangi als Ranger. Sie haben keinen Strom, nur kleine Hütten, müssen von dem Bisschen leben, was die Süßkartoffeln und Bananen auf dem Markt im nächstgrößeren Ort einbringen. Oft reicht das nicht einmal fürs Schulgeld. Die Kinder der Batwa hingegen bekommen es von der Regierung bezahlt. Und mehr noch: Für die Batwa wurden Steinhütten gebaut. Ungerecht, finden die Bakiga, sie haben das Gefühl, die Batwa würden ihnen etwas wegnehmen. Um den Ärmsten zu helfen, hat die Regierung von den Armen genommen.

Ein junger Gorilla pinkelt zur Begrüßung

Prisca Niramagoye, die Medizinfrau, hat eine Hütte von der Regierung bekommen. Die Wände bestehen aus zwei Hand breitem Beton, sie hat weder Türen noch Fensterläden. Die Hütte ist leer. Direkt daneben hat Niramagoye Äste zu einem Dreieck gegeneinander gelehnt, faustdick, als tragende Säulen. Die Querstreben verflochten mit feuchten, elastischen Zweigen, die Zwischenräume mit Blättern der Bananensträucher isoliert. Wie ein Zelt, 1,50 Meter hoch, zwei Meter lang, am Eingang eine Feuerstelle für Licht und Wärme. Tagsüber ist das nur ein grauer, dampfender Aschefleck. Darin wohnt Niramagoye, einen Meter von der Hütte entfernt, die ihr die Regierung geschenkt hat. Mit dem Klotz aus Stein weiß sie nichts anzufangen.

Einige Kilometer weiter dauert die Wanderung in den Wald mittlerweile fast drei Stunden. Und plötzlich, ohne Vorwarnung, ist man da. Die Sonne findet einen Weg auf die Lichtung, das Grün leuchtet jetzt heller, irgendwie friedlich, gleichzeitig ist das Kreuz und Quer aus Farnen, Bäumen und Sträuchern wild und unberechenbar, wie sie sich aneinander hochzuziehen scheinen, mit speckigen Blättern, glatten und scharf gezackten. Zur Begrüßung pinkelt ein junger Gorilla von einem riesigen Mahagoni-Baum. Der Silberrücken, der Chef der Familie, hat die Besucher in seinem Revier schon lange beobachtet, bevor die eine Idee davon hatten, wie nah sie den Tieren sind. Jetzt rutscht er am glatten Baumstamm zu Boden, um die Gäste genauer zu inspizieren. Er beschützt seine Gruppe, besonders, weil sie ein Jungtier dabeihaben. Und das kennt keine Angst, schlägt unbeholfene Purzelbäume, frisst Blätter und räkelt sich zufrieden.

Vor Dian Fossey hat sich niemand um die Tiere geschert

Um die Menschenaffen zu retten, ist der Bwindi-Regenwald heute ein Nationalpark.
Um die Menschenaffen zu retten, ist der Bwindi-Regenwald heute ein Nationalpark.

© Christian Vooren

Auch die ausgewachsenen Gorillas sind entspannt, im Menschen sehen sie keine Gefahr. Ein einzelner Gorilla wiegt bis zu 200 Kilo. Arme und Beine wie Baumstämme, Muskeln wie Gusseisen. Sie wissen, wie viel stärker sie sind, wenigstens in diesem Augenblick, und lassen die Gruppe deshalb so nah an sich heran, dass kaum eine Armlänge zwischen Tier und Mensch liegt. Sie wissen nicht, wie bedroht ihre Spezies wirklich ist. Wer dem mächtigen Silberrücken aus so kurzer Distanz in die Augen blickt, kann das selbst kaum begreifen.

Bis vor 30 Jahren hat sich niemand um die Tiere geschert. Erst als die amerikanische Forscherin Dian Fossey sich für die Berggorillas einsetzte und dafür 1985 erschlagen wurde, erfuhr die Öffentlichkeit von der Brisanz der Lage. Nachzulesen ist das in ihrem Buch „Gorillas im Nebel“, das verfilmt und zum Welterfolg wurde. Der Mord an Dian Fossey ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt.

Im Bergdorf Rushaga ist es mittlerweile Nachmittag. Enos Turinawe kann kaum einen Satz zu Ende bringen, ohne dass ihm jemand winkt, ihn grüßt oder ruft. Er arbeitet als Fremdenführer, führt die Besucher durch sein Dorf, die nicht nur Tiere sehen, sondern auch etwas über die Menschen erfahren wollen. Turinawe ist ein Bakiga, er will vermitteln zwischen seinem Volk und dem der Batwa. Er erklärt den Touristen, wie die Bewohner hier leben. Führt vorbei an den Kindern, die auf Maishalmen kauen und auf der matschigen Straße Fußball spielen mit einem Knäuel aus Plastiktüten, das sie mit alten Schnürsenkeln zu einer Kugel geformt haben.

Vorbei an den Mädchen, die sich vor einem Ladenlokal gegenseitig die Haare flechten und kichern und tuscheln bei jedem Mann, der vorüberläuft. Vorbei an den Frauen, die kiloschwere Körbe voller Süßkartoffeln auf ihren Köpfen balancieren, als wögen sie nichts. Vorbei an den Alten, die auf wackligen Hockern vor ihren Hütten sitzen, die Augen glasig vom Schnaps. Weiter bis zur jungen Krankenschwester, die aus Kampala hierher zog, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen – Hygieneartikel, Schmerzmittel, Kondome. Die Apotheke ist nicht größer als eine Bushaltestelle, sie liegt ganz am Ende der Straße.

Die Regierung redet nicht über Stammeskonflikte

Nur ein paar Meter weiter stehen jeden Morgen dutzende Ranger am Ausgangspunkt für die Gorillatouren. Sie hoffen, eine der Touren leiten zu können. Nur die wenigsten von ihnen bekommen einen Auftrag, die anderen müssen auf den nächsten Morgen hoffen. Täglich ziehen Suchtrupps los zu der Stelle, wo sie die Gorillas am Vortag zuletzt gesehen haben. Von dort aus lesen sie die Fährte. Gorillas sind nicht sesshaft. Nacht für Nacht schlagen sie ein neues Lager auf, manchmal auf dem Boden, manchmal einige Meter hoch in den Bäumen. Immer auf der Suche nach etwas zu essen. Sie lieben die Früchte des Myrianthus-Baums, die ein wenig wie Ananas aussehen.

Die Regierung redet statt über Stammeskonflikte lieber über den Erfolg beim Artenschutz. Endlich kann das Land mal positive Schlagzeilen produzieren. Uganda kannte die Weltöffentlichkeit bis dahin vor allem von der Schreckensherrschaft Idi Amins in den 1970er Jahren, der Flugzeugentführung von Entebbe oder den Bildern von Kindersoldaten der „Lord’s Resistance Army“ LRA, deren Anführer Joseph Kony sich bis heute versteckt. Mit dem Gorilla-Tourismus tat sich eine Chance auf, Gäste ins Land zu locken.

Sie töten keine Tiere

Ein bis zwei Mal im Monat passiert es, dass sich einige der Berggorillas ins Dorf verirren, um die Blätter der saftigsten Bananenstauden zu pflücken. Für Touristen ist das ein spannendes Ereignis, die Menschen in Rushaga fürchten dagegen um ihre karge Ernte und feuern mit ihren Kalaschnikows in die Luft. Aber sie töten keine Tiere. Nur einmal, 2013 war das, brachte einer der Bakiga einen Gorilla mit einem Speer um, weil der ihm zu nahe kam.

Es wird früh dunkel in Rushaga, noch vor sechs Uhr am Abend, besonders dann, wenn plötzlich Starkregen einsetzt. Am Abend finden sich die Männer und Frauen in den Shebeens ein, den lizenzlosen Kneipen. Die dicken Regentropfen zischen in der Glut des Feuers, auf dem gerade noch ein Wildschwein garte. Der Rauch zieht in die kleine Hütte, auf dem Wellblechdach trommelt das Unwetter dermaßen laut, dass man sich drinnen kaum unterhalten kann. Die anderen Besucher in der Baracke halten sich müde vom Tag an ihren Bierflaschen fest, die Blicke gesenkt. Sie alle sind Bakiga. Am späteren Abend trifft Ranger Muhangi ein, schon mit ein paar Bier aus einer anderen Shebeen betankt. Er beginnt zu philosophieren. Wie wichtig es sei, die andere Seite zu verstehen, zu wissen, dass sie Schutz braucht, weil sie schließlich keinen anderen Lebensraum habe. Er redet von den Gorillas.

Reisetipps für Uganda

Hinkommen

Mit Brussels Airlines von Berlin über Brüssel nach Entebbe in knapp zehn Stunden. Hin und zurück ab 500 Euro (brusselsairlines.com).

Von Entebbe nach Kisoro mit Aerolink ab etwa 550 Euro für beide Strecken (aerolinkuganda.com).

Unterkommen

Direkt in Rushaga liegt die „Gorilla Safari Lodge“. Doppelzimmer in der Hauptsaison ab 275 Euro pro Person und Nacht (crystallodgesuganda.com).

Mehr Infos zu Uganda und den Gorillatouren unter visituganda.com.

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