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Sexsymbol. Prinz Harry, rothaarig im Gegensatz zum Bruder, hat die Verlobung mit der US-Schauspielerin Meghan Markle verkündet.

© dpa

Ginger Hair: Warum uns rothaarige Menschen so sehr faszinieren

In der Schule war er die angespitzte Möhre, in Teheran drehten sich die Menschen plötzlich begeistert nach ihm um. Ein Betroffener über Fluch und Segen einer ungewöhnlichen Haarfarbe.

Von Andreas Austilat

Italien ist das gelobte Land für Rothaarige. Zumindest fühlte sich das für mich als Sechsjährigen so an. Im Sommer 1994 kletterte ich jeden Tag mit meinen Eltern auf die Kuppeln und Campanili von Florenz, spielte in den Uffizien mit anderen Jungs Verstecken und wurde überall von Italienern wie ein exotisches Haustier am Kopf gestreichelt. „Bello“, sagten sie und zerzausten mein kupferfarbenes Haar. Bald ging ich, die Hände in den Hosentaschen, in die Eisdielen der Stadt, lächelte, nahm meine Baseballmütze ab und bestellte Sahneeis mit Amarenakirsche – ohne eine einzige Lira in der Tasche. Bezahlen musste ich nie. „Non c’è nessun problema, bello.“ Denn rothaarige Kinder bringen Glück in Italien.

Zurück in Deutschland war alles anders. Bei meiner Einschulung ein paar Wochen später war ich als einziger Rothaariger in der Klasse zwar wieder etwas Besonderes, aber nicht so wie ich es aus Italien kannte. Schnell lernte ich, dass ich in der Schule aufpassen musste. Ob Schneebälle werfen oder Schwatzen im Unterricht, als Rotschopf fiel ich immer sofort auf. Was bei mir oft mit dem Rauswurf aus dem Klassenzimmer endete. Mit meinen Mitschülern hatte ich weniger Probleme, ich war mal der Pumuckl oder die angespitzte Mohrrübe, wirklich gelitten habe ich unter den Spitznamen nie.

Erst vor fünf Jahren dämmerte mir, dass es für Rothaarige auch schlimmere Zeiten gegeben hat. Ich trank damals mit Freunden Bier in einer Schöneberger Kneipe. An der Theke hockte ein etwa 45-jähriger Mann mit bleicher Haut, Sommersprossen und strohblonden Haaren. Ich sprach ihn an: „Bist du nicht rothaarig? Färbst du deine Haare?“

Judas und Maria Magdalena werden als Rothaarige dargestellt

Der Mann umarmte mich, dann sprudelte es aus ihm heraus: Als Jugendlicher in West-Berlin sei er früher wegen seiner Haarfarbe regelmäßig verprügelt, in Schränke gesperrt und sogar an den roten Locken gezogen worden. Von seinem Lehrer durfte er keine Hilfe erwarten. Er schmähte ihn mit Sprüchen wie „Rote Haare, Sommersprossen, sind des Teufels Volksgenossen“. Mit 15 Jahren ertrug der Mann die ewigen Drangsalierungen nicht mehr und wechselte auf eine andere Schule in einem anderen Bezirk. Seitdem gießt er sich bis heute alle zwei Wochen Wasserstoffperoxid über den Kopf, um blond zu wirken.

Joel Meyerowitz reiste für seine Porträtserie „Redheads“ zehn Jahre lang durch die USA.
Joel Meyerowitz reiste für seine Porträtserie „Redheads“ zehn Jahre lang durch die USA.

© Joel Meyerowitz/Courtesy Howard Greenberg

Wie sollte er sich normal fühlen, wenn er um sich herum nur von Vorurteilen hörte. Mark Twain, ein intelligenter wie scharfzüngiger Schriftsteller, soll gesagt haben: „Während der Rest der Spezies vom Affen abstammt, stammen Rothaarige von Katzen ab.“ Diese galten je nach Geschlecht als jähzornige Trottel (Männer) oder sexbesessen (Frauen). Die Klischees stammen aus dem Mittelalter. Auf unzähligen Gemälden sind Judas, der Verräter Jesu, und Maria Magdalena mit roten Haaren dargestellt. Eine Aussage von Papst Gregor dem Großen (540 bis 604 n. Chr.), der Maria Magdalena als rothaarige Prostituierte bezeichnet hat, die von Jesus gerettet worden sei, genügte, um den Verdacht der Nymphomanie jahrhundertelang zu nähren. Gruselgeschichten über Hinrichtungen von rothaarigen Hexen schürten weitere Vorurteile.

Das schlechte Image hat lange überlebt. Als meine schwangere Cousine vor 20 Jahren einen Ultraschalltermin hatte, sagte der Arzt: „Oh Gott, es wird ein Junge, und dann noch einer mit roten Haaren.“ Sinngemäß dasselbe soll Thronfolger Prince Charles gesagt haben, als er seinen zweiten Sohn, Harry, zum ersten Mal nach der Geburt sah. Lady Di nahm ihm das übel, weil es in ihrer Familie, den Spencers, mehrere Rothaarige gab, oder wie man in England sagte: Ginger.

Aus der Scham ist mittlerweile Stolz geworden

Diesen Jungen fotografierte Meyerowitz in Provincetown im Bundesstaat Massachusetts.
Diesen Jungen fotografierte Meyerowitz in Provincetown im Bundesstaat Massachusetts.

© Joel Meyerowitz/Courtesy Howard Greenberg

Als meine Cousine damals mit Wehen ins Krankenhaus kam, schlug die Hebamme die Hände vor dem Gesicht zusammen. Lange behauptete sich nämlich das Gerücht, rothaarige Frauen hätten schwerere Blutungen und komplizierte Geburten. Heute haben sich solche Hirngespinste zum Glück in Luft aufgelöst. Allein ein Nachteil ist wissenschaftlich belegt: Wir bekommen schneller einen Sonnenbrand als Blonde oder Brünette.

Aus der Scham über die ungewöhnliche Haarfarbe ist mittlerweile Stolz geworden. Seit Jahren treffen sich ginger people aus der ganzen Welt zu Tausenden auf „Red Head Conventions“ in Irland und den Niederlanden. Der New Yorker Fotograf Joel Meyerowitz reiste 1980 über zehn Jahre lang durch die USA und dokumentierte in Porträts die Schönheit roter Haarpracht. Einige seiner Bilder zeigt nun eine Ausstellung, die nächste Woche im C/O Berlin eröffnet. Red is cool. Auch dank Prince Harry, der Umfragen zufolge attraktiver als sein blonder Bruder ist. Prominente Stimmen fordern nun einen rothaarigen James Bond als Nachfolger für Daniel Craig. Ein Ginger mit Revolver und Dinner Jacket? Das wäre der Durchbruch.

Als Jugendlicher wollte ich unbedingt ins Ausland und entschied mich für zwei Schuljahre auf einem Internat in Irland. Schon vor dem Flug nach Dublin saß ich am Düsseldorfer Flughafen und malte mir aus, wie entspannt es für mich werden würde: Einmal nicht mit meinen Haaren aufzufallen, das klang sehr verlockend. Nach Ankunft an der rauen südirischen Küste musste ich feststellen, dass dort die Vorurteile noch ausgeprägter waren, wie mir mein Deutschlehrer an der Schule bestätigte. Er wurde öfter als „fucking ginger prick“ beleidigt – und das in einem Land, in dem über zehn Prozent der Menschen flammend schöne Haare wie die Venus von Botticelli haben.

Die rote Haarfarbe ist ein Gen-Defekt

Je seltener die Farbe vorkommt, desto positiver ist sie besetzt. Diese Faustregel bestätigte sich wieder, als ich Silvester im Iran verbrachte. Da ging es mir ähnlich wie in Italien, die Menschen drehten sich begeistert nach mir um. Der Legende nach, so erzählten es mir Einheimische, habe es vor der islamischen Eroberung Persiens im siebten Jahrhundert viele rothaarige Perser gegeben. Heute leben nur noch einige von ihnen in abgelegenen Bergdörfern des Elburs.

Aus der Porträtserie „Redheads“ von Joel Meyerowitz.
Aus der Porträtserie „Redheads“ von Joel Meyerowitz.

© Joel Meyerowitz/Courtesy Howard Greenberg

In Deutschland haben noch zwei Prozent der Bevölkerung rote Haare. Dabei wird es vermutlich nicht bleiben. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es Rothaarige wegen des fortschreitenden Klimawandels spätestens 2100 nicht mehr geben wird. Einige Forscher glauben, dass die Haarfarbe durch Sonnenmangel und kalte Temperaturen befördert wird. Das „Rothaarigengen“ ist eine Mutation des 16. Chromosoms, die zu einer Veränderung des Proteins MC1R und zu weniger Pigmentierung in Haut und Haaren führt. Rothaarige können aus weniger Sonnenlicht mehr Vitamin D absorbieren.

Die Farbe der Haare wird nur rezessiv vererbt, das heißt, in beiden Familien der Eltern muss dieses Merkmal vorkommen. Erst dann kann auch das Kind rothaarig werden. Die Chance, meine Kurzsichtigkeit zu vererben, ist also größer. Und genau da liegt für mich das Problem: Auch wenn wir Rothaarigen uns auf der Straße ab und an freundlich zum Gruß zunicken, ein rothaariges Pärchen sieht man fast nie auf der Straße. Auch in Irland übrigens nicht.

Boris Becker und die Frauen

Er lässt sich die Haare blond färben: Boris Becker und seine Frau Lilly.
Er lässt sich die Haare blond färben: Boris Becker und seine Frau Lilly.

© imago/ Apress

Der Fall Boris Becker – der seine Haare inzwischen, ich vergebe ihm, blond färbt – scheint die Regel zu sein. Seine erste Ehefrau Barbara Becker und auch Lilly, mit der er momentan verheiratet ist, haben beide dunkle Haare und einen ganz anderen Hauttyp. Dass Angela Ermakowa, die Boris Becker im Juni 1999 in einer Londoner Besenkammer schwängerte, genau die richtigen Erbanlagen in sich trägt, und Tochter Anna jetzt sogar für das aktuelle Cover der ersten deutschen Redhead-Zeitschrift „MC1R“ posiert, ist eher ein Zufall.

Bei den meisten meiner rothaarigen Freunde ist es wie bei meinen Eltern. Der Vater hat rote, die Mutter schwarze Haare. Meine älteste Schwester und ich haben rote, meine andere Schwester hat blonde und mein Bruder schwarze Haare. Er entspricht mit seinen schlanken 1,94 Meter und seinem, wie wir in der Familie sagen, „flotten Bosporus-Look“ dem durch die Werbung propagierten Playboystyle. Für ihn kamen vor seiner Heirat – er hat jetzt übrigens, und das macht mir Hoffnung, auch einen rothaarigen Sohn – alle Frauen infrage, egal, welche Farbe ihre Haare hatten.

Vielleicht sollte ich ins warme Sizilien übersiedeln

Bei mir ist die Sache kniffliger. In neun von zehn Fällen verhalte ich mich ähnlich wie Boris Becker: Ich lerne eher brünette Frauen kennen. Das kann nicht nur daran liegen, dass ich sie attraktiver finde. Da muss irgendetwas Unterbewusstes eine Rolle spielen. Als Rothaariger muss man die eine Frau kennenlernen, die eben auf unsere Besonderheit steht – und das ist nicht unbedingt diejenige mit demselben Kupferton wie ich.

Vielleicht sollte ich für die Rettung unserer Art einfach ins warme Sizilien übersiedeln. Im Innern des Landes soll es dank der Normannen, die die Insel 1091 von den Muslimen eroberten, einen sehr hohen Anteil von Rothaarigen geben. Die Chancen, dort die Frau mit dem richtigen Erbgut zu finden, um unser besonderes Merkmal weiterzuvererben, stehen also gut. Und für meine Kinder wäre es in Italien auch nicht schlecht, nicht nur wegen der Eisdielen und der Campanili.

Die Bilder des amerikanischen Fotografen Joel Meyerowitz sind in der Retrospektive „Why Color?“ zu sehen. Sie eröffnet am 9. Dezember bei C/O Berlin (co-berlin.org).

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