zum Hauptinhalt
Beto, 74, wurde auf „San Pedro de Timote“ geboren, der Mitte des 20. Jahrhunderts erfolgreichsten Estancia des Landes.

© Maris Buhl

Gauchos in Uruguay: Willst du reiten, Junge?

Als Kind sah unser Autor ein Bild, das er nie vergaß: ein furchtloser Mann, hoch zu Ross, die Peitsche schwingend. Jetzt hat er ihn aufgesucht – einen Gaucho in Uruguay.

Ich bin hier, weil ich einen Gaucho treffen will, aber zuerst treffe ich seine Hose. Sie baumelt an einer Wäscheleine mitten in Uruguay, vor einer weiß getünchten Estancia. Estancia nennen sie hier die Rinderfarmen. Diese ist im andalusischen Stil gebaut und leuchtet in der Nachmittagssonne.

Ein Mann, der meinen Gaucho gut kennt, zeigt mir die Hose, er sagt, der Gaucho nenne sie Bombacha. Bombacha ist braun, im Schritt weit, erst unten läuft sie eng zusammen, damit sie beim Reiten nicht hochrutscht. Seit 21 Jahren trage der Gaucho Bombacha, sie führten quasi eine Beziehung, sagt der Mann. Das gefällt mir.

Ich stehe an einer Wäscheleine 160 Kilometer nördlich der Hauptstadt Montevideo, das nächste Dorf eine 20-minütige Holperfahrt durchs uruguayische Grasland entfernt. Irgendwo hinter der Estancia, sie heißt „San Pedro de Timote“, wiehern die Pferde und gleich wird aus dem weißen Haus ein Mann in Unterwäsche laufen, seine Hose von der Leine nehmen, sie anziehen, und dann werde ich den ersten Gaucho meines Lebens sehen.

Guachos gehören zur nationalen Identität des Landes

Als ich vier war, schenkte meine Mutter mir einen Atlas, der die Welt mit Bildern erklärte. Dort, wo Südamerika war, hatten sie ein Foto abgedruckt. Ein Mann, hoch zu Ross, die Peitsche schwingend, das Gesicht im Eifer entstellt. Er sah elegant aus und brutal, furchtlos und wild. Unter dem Bild stand: Ein südamerikanischer Gaucho treibt reitend Kühe übers Land.

Beto trägt eine Strickjacke, als er aus der Estancia tritt, und auf dem Kopf einen Strohhut. In der Hand hält er ein paar Rindslederstiefel, in die er schlüpft, nachdem er Bombacha von der Leine genommen und übergezogen hat.

Betos Gesicht ist braungebrannt und fast so wild wie das des Gauchos aus dem Atlas. Nur dass Beto älter aussieht, viel älter, sein Rücken schmerzt beim Gehen, das kann man sehen.

Männer wie Beto sind der Stolz Uruguays, dieses kleinen Landes, eingequetscht zwischen Argentinien und Brasilien, seit Jahrhunderten geprägt von der Landwirtschaft. Zoomt man auf Google Earth von der Rinderfarm ausgehend aus dem Bild, rollt sich eine grüne Ebene aus. Auf jeden der drei Millionen Einwohner Uruguays kommen vier Kühe und zwölf Schafe, sie exportieren hier Leder und Fleisch in mehr als 130 Länder der Welt. Einen Gaucho zu treffen, bedeutet in Uruguay, ein Stück nationaler Identität zu treffen, auch wenn diese in Unterhosen daherkommt.

Beto wuchs als glückliches Kind auf

Beto erzählt, dass er auf „San Pedro de Timote“ geboren wurde, vor 74 Jahren. In einem Raum, auf dessen Tür heute eine 13 steht. Schon sein Vater sei Gaucho gewesen, beim „legendären“ Großgrundbesitzer Alberto Gallinal Heber, dem San Pedro Mitte des 20. Jahrhunderts gehörte und der sie zur erfolgreichsten Estancia des Landes gemacht hatte.

Anderswo wäre es ein Familiengrillabend, auf der Estancia nennt man das einen kleinen Snack.
Anderswo wäre es ein Familiengrillabend, auf der Estancia nennt man das einen kleinen Snack.

© Marius Buhl

Es gab hier Platz für 30 000 Kühe, eine Sattlerei, eine Schmiede, eine Molkerei, eine Kapelle und eine Schule, in die Beto ging. Auf San Pedro tobte damals das Leben, die Gauchos feierten nachts und arbeiteten tags. Sie ritten wie die Wilden, Betos Vater war der Schnellste, sagt Beto und seufzt ein bisschen. Nach dem Unterricht saß Beto bei ihm auf dem Pferd, zusammen trieben sie die Kühe übers Land. Beto lernte, das Lasso zu schwingen, Steak zu essen und Matetee aus Röhrchen zu trinken. Abends saßen sie am Feuer. Beto wuchs als glückliches Kind auf.

„Willst du reiten, Junge?“ Beto führt mich zum Pferdegatter und dort direkt zu Dakota, einer braunen Stute, die mich stoisch anblickt. Er hilft mir in den Sattel und reitet los, auf Luis, seinem Hengst, durchs Weideland.

Reiten ist leicht, zumindest auf Dakota. Ich kann ihr sanft in die Seiten stoßen, weil Beto sagt, dann laufe sie schneller, aber Dakota läuft nicht schneller. Ich kann sie nach rechts oder links lenken, aber Dakota läuft Beto hinterher. Manchmal hält Beto an, dann hält auch Dakota und blickt in die Ferne. Das ist schön, weil man selbst gucken kann.

Eins mit der Natur und dem Wetter

Kilometerweit erstreckt sich die Pampa, ein Paradies für Tiere und Leute mit Sonnenuntergangsfantasien.
Kilometerweit erstreckt sich die Pampa, ein Paradies für Tiere und Leute mit Sonnenuntergangsfantasien.

© Marius Buhl

In Uruguays Hinterland staksen Nandus umher, einmal sieht Beto einen Tapir, doch ich sehe ihn nicht, ungeübtes Auge. Pumas gebe es auch, sagt Beto, aber in seinen 73 Jahren habe er nur zwei Mal welche angetroffen. Ob er Angst gehabt habe, frage ich den Gaucho. Er schüttelt den Kopf.

Zum Mittagessen hat Beto ein Feuer gemacht. Auf einem Schwenkgrill brät er Steaks und Blutwürste. Er erzählt vom Mythos der Gauchos. Nomaden zu Beginn, die wilde Rinder getrieben und zu Herden vereint hätten. Die draußen schliefen, eins mit der Natur und dem Wetter. Später hätten sie sich auf den Estancias der Großgrundbesitzer niedergelassen. San Pedro zum Beispiel wurde 1745 erbaut, von Jesuiten. Ein Sprichwort: „Uruguay war eine Nation der Rinder, die Gauchos haben daraus eine Nation der Menschen gemacht.“ Weil das Land so fruchtbar war, vermehrten sich Kühe und Vermögen der Bauern. Seit dem Ende der Militärdiktatur 1985 ist Uruguay eines der reichsten und stabilsten Länder Lateinamerikas.

Nach dem Essen schläft Beto am Feuer sitzend ein, sein Schnurrbart hebt und senkt sich im Takt seines Bauches. Auf der Glut verbrutzelt eine letzte Blutwurst, das knackt und dampft, aber Beto wacht nicht auf. Er schreckt am Nachmittag hoch und entschuldigt sich für seinen Schlaf. Ob ich gleich nochmal ausreiten wolle?

Er ist hier der letzte seiner Art

Wir steigen auf, Dakota und Luis trotten durchs Gras. Ich erzähle Beto vom Palio, einem Pferderennen in Siena, das ich neulich im Fernsehen gesehen habe. Reiter verfeindeter Stadtviertel preschen dort über die Piazza del Campo in der Innenstadt, alle Mittel sind erlaubt, um zu gewinnen. Am Ende steigen die Reiter als Held oder Versager vom Pferd. Ich erzähle Beto auch von dem Bild, das ich als kleiner Junge in meinem Atlas gesehen habe. Beto zündet sich auf Luis’ Rücken eine Zigarette an. Zieht. „Früher bin ich auch schnell geritten“, sagt er.

Früher ist für Beto nicht etwa die Zeit, als der Rücken noch nicht schmerzte. Was ist schon ein schmerzender Rücken für einen Mann, der Stiere bei den Hörnern gepackt hat? Früher ist für Beto die Zeit, als es überhaupt noch Kühe gab auf San Pedro. Heute ist die Estancia ein Hotel, gebaut für Touristen wie mich, die einmal einen Gaucho sehen wollen. Beto ist hier der letzte seiner Art.

Was ist geblieben aus der alten Zeit?

Früher hat Beto Kühe gehütet, heute passt er auf, dass Touristen im Sattel bleiben.
Früher hat Beto Kühe gehütet, heute passt er auf, dass Touristen im Sattel bleiben.

© Maris Buhl

Während wir reiten, erzählt der Gaucho von den goldenen Jahren unter diesem Mann, den er nur den „Maestro“ nennt: Alberto Gallinal Heber. Der übernahm San Pedro 1940. „Ein kluger Mensch, belesen und mit vielen Ideen“, erinnert sich Beto. Der Maestro entwickelte Pläne, wie man die 35 000 Hektar Land der Estancia effizienter nutzen könnte, züchtete die Sorte Hereford-Rinder, die heute in ganz Uruguay weidet, und brachte noch aus seinen Flitterwochen in Neuseeland ein Schaf mit, das er mit einem uruguayischen Artgenossen paarte.

Damals erlebten die Estancias ihre goldene Zeit, Großgrundbesitzer wie Gallinal Heber galten als die reichsten und mächtigsten Männer des Landes. Der Maestro habe ein Programm entwickelt, erzählt Beto, das es Bauernfamilien ermöglichte, Häuser zu bauen. Außerdem habe er den Bau von 220 Schulen für die Landkinder befohlen. Beto sagt, dass Beto nur eine Abkürzung sei, sein voller Name laute Alberto, nach dem Maestro.

1994 starb Gallinal Heber nach langer Krankheit. Seine Nachfolger verkauften die Estancia, die Käufer verkleinerten sie zu einem Gut mit gerade noch 500 Hektar und gaben bald die Rinder auf. Aus den Kammern, in denen früher die Gauchos gelebt hatten, wurden Gästezimmer für wohlhabende Uruguayer, die hier ihre Sommer verbringen. Was ist geblieben aus der alten Zeit? Die Gebäude, ein bisschen Land – und Beto.

Sie fahren heute in Geländewagen übers Feld

Uruguay verändert sich. Die Hauptstadt Montevideo ist längst zur Metropole geworden, Bauernsöhne ziehen dorthin, um Ingenieure zu werden. Das Land erhält seine Energie zu 95 Prozent aus erneuerbaren Quellen, es baut Marihuana an und verkauft es, der Konsum ist legal. Ziehen andere Länder nach, entsteht bald ein Markt, Uruguay wird Hanf in die ganze Welt exportieren. Vom momentan ausgeführten Fleisch geht schon die Hälfte nach China, Nachfrage steigend. Doch mit der Arbeit der Gauchos von einst hat die moderne Fleischproduktion wenig zu tun. Gauchos fahren heute in Geländewagen übers Feld.

Beto ist auf San Pedro geblieben, er hat seine Arbeit aufgegeben für seine Heimat. Er sei auf dem Gut geboren und werde hier sterben, keine Frage, auch wenn das bedeutet, dass er heute Touristen, die sich nicht aufs Pferd trauen, mit einem Traktor über die Ländereien der Estancia fährt, hier und da anhält, einen Nandu zeigt, weiter zockelt, mittags grillt, am Feuer einschläft. Ein Gaucho-Darsteller ist.

Wir trotten zurück zur Estancia. Ich will Beto überreden, einmal schnell zu reiten für mich. Er gibt dem Pferd die Sporen, Luis zieht an, 20, 30 Meter Vollsprint, Beto spannt den alten Rücken durch, stolz sieht er aus. Dann bremst er abrupt. Schlägt vor, eine Pause im hohen Gras einzulegen, zündet sich eine Zigarette an.

Ich frage ihn, ob sein Leben schöner war, als er Kühe hüten durfte, nicht Menschen. Beto pustet Rauch in die Luft und tut, als habe er meine Frage überhört.

Reisetipps für Uruguay

Hinkommen

Mit Air Europa von Frankfurt über Madrid nach Montevideo, etwa ab 660 Euro. Von Montevideo mit dem Mietwagen 140 Kilometer nach Cerro Colorado.

Unterkommen
Die Estancia San Pedro de Timote ist eine der ältesten Uruguays. Heute kann man dort in mehreren Pools baden, im Restaurant uruguayische Küche probieren und in den renovierten Zimmern der Gauchos von einst wohnen.
Das Doppelzimmer kostet130 Euro pro Nacht, sanpedrodetimote.com.

Rumkommen
Touristische Infos auf Englisch unter turismo.gub.uy.

Zur Startseite