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Fair. Joshna Maharaj legt Wert auf Teamarbeit. Hier mit Kolleginnen bei der Zubereitung des indischen Mittagessens im Berliner Studio des Künstlers Olafur Eliasson.

© María del Pilar García Ayensa

Foodaktivistin Joshna Maharaj: "Sexismus erleben wir dauernd in der Küche"

Schreiende Köche verderben den Brei, mit Frauen wird es gleich ruhiger, findet Foodaktivistin Joshna Maharaj. Die Feministin setzt sich für Menschlichkeit in der Küche ein und fordert besseres Essen für Krankenhäuser und Gefängnisse.

Gutes Essen ist für sie ein Menschenrecht: frisch gekocht, aus saisonalen Zutaten von regionalen, fair bezahlten Produzenten. Möglichst vielen Menschen Zugang zu solcher Kost jenseits der Industrienahrung zu verschaffen, dafür engagiert sich die kanadische Köchin Joshna Maharaj, 41. Fünf Jahre lang arbeitete sie in einer Community Kitchen für Bedürftige, bevor sie den Gang durch die Institutionen antrat, in zwei Krankenhäusern und einer Uni versuchte, solches Essen einzuführen. Auf Einladung des Studios Olafur Eliasson war die temperamentvolle Aktivistin jetzt zu Gast in Berlin. Beim Interview lacht die indischstämmige Feministin immer wieder aus vollem Herzen. Oft über sich selbst:

"In einem Ashram habe ich mich ins Kochen verliebt. Nach der Uni wusste ich nicht, was ich machen sollte – ich hatte Religionswissenschaften und Women’s Studies studiert, da winken einem hinterher nicht gerade die Jobs. Also bin ich für ein Jahr nach Indien, um es herauszufinden. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun wollte außer spazieren zu gehen und mir Gedanken über das Leben zu machen. In die Küche haben mich die Frauen dort gezerrt, sie brauchten Hilfe. Und wollten wissen, warum ich mit 25 noch nicht verheiratet war, und wie um Himmels willen ich einen Mann finden soll, wenn ich nicht kochen kann. Sie wollten mich retten. Los, in die Küche, kommandierten sie.

Deren Ausstattung war extrem bescheiden. In der Hindukultur wird die Küche als heiliger Ort betrachtet, man zieht die Schuhe aus, arbeitet barfuß. Es gab keine Edelstahltische, keine gestärkte weiße Kleidung, wir saßen auf der Erde und schnitten das Gemüse im Schoß.

Im Topf stecken Gefühle

Im Ashram habe ich die Magie des Essens kennengelernt. Ich habe nämlich erlebt, was passiert, wenn der Chefkoch mal wieder schlecht gelaunt war, mit den Töpfen rumknallte und alle entsprechend angespannt waren. Wenn wir den Mönchen und Nonnen dann dieses Essen servierten, konnte man plötzlich eine Verstimmung im ganzen Saal spüren, die Unleidlichkeit hat sich übertragen. Umgekehrt genauso. Wenn der Koch, nachdem er seine Freundin getroffen hatte, mit rosa Wangen und einem Funkeln in den Augen reinkam, haben wir in der Küche gesungen und gelacht – und genau diese Freude den Gästen serviert. Die Gefühle steckten im Topf. Diese Erfahrung hat mich Demut gelehrt. Und Ehrfurcht vor der gewaltigen Verantwortung eines Kochs. Das ist es, was mich so angezogen hat, diese Wirkung auf Menschen.

Regional. In der Torontoer Klinik waren Erdbeeren aus der Gegend eine Revolution. Vorher gab’s höchstens abgepackten Erdbeerjoghurt.
Regional. In der Torontoer Klinik waren Erdbeeren aus der Gegend eine Revolution. Vorher gab’s höchstens abgepackten Erdbeerjoghurt.

© Maharaj

Ich habe auch kapiert, dass es mein Job ist, mich zusammenzureißen. Fünf Jahre lang habe ich in Toronto beim „Stop Food Community Center“ gearbeitet, das Menschen mit wenig Geld Zugang zu gesundem, gutem Essen verschafft. Mir gefällt sein ganzheitlicher Ansatz. Dass man nicht bei der Notversorgung stecken bleibt, wie viele Institutionen, sondern auch Kurse anbietet, wo man zum Beispiel Kochen oder Gemüseanbau lernen kann. Heute sitze ich im Vorstand, damals habe ich das Mittagessen gekocht.

Es war wahrscheinlich die einzige warme Mahlzeit, die die Besucher an diesem Tag bekommen haben. Also wollte ich ihnen was richtig Gutes servieren – und nicht meine Probleme. Sie hatten genug eigene. So habe ich mir ein Ritual angewöhnt. Während ich meine Haare hochsteckte, die Schürze umband und die Hände wusch, legte ich meinen eigenen Ärger zur Seite. Ich atmete ein paarmal durch und konzentrierte mich in den nächsten drei Stunden darauf, dieses Mittagessen zu kochen. Das mache ich jetzt immer so. Ich versuche, so präsent zu sein wie möglich.

Mit Frauen geht es leiser in der Küche zu

Gucken Sie sich mal Gordon Ramsay an, den englischen Koch, der mit seinen rüpelhaften Auftritten im Fernsehen berühmt wurde. Wenn ich sehe, wie er einen Koch anschreit, der dann mit zitternden Händen an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, denke ich: Das Essen will doch niemand haben! Da kann nichts Gutes rauskommen.

Im Studio Eliasson arbeiten lauter Frauen in der Küche, in der sie das vegetarische Mittagessen für die 80 bis 100 Mitarbeiter zubereiten. Wir haben zusammen Indisch gekocht, selbst eine halbe Stunde vor dem Servieren ging es in der Küche leise zu, alle wussten, was getan werden musste. Als wir plötzlich merkten, dass wir die Zwiebeln für den Möhrensalat vergessen hatten, ist niemand ausgerastet. Jeder hat sich ein Brett und ein Messer geschnappt und geschnibbelt.

Vor Jahrzehnten fand ja ein großer Exodus der Frauen aus der Küche statt. Das war auch wunderbar, dass wir nicht mehr an den Herd gekettet waren. Aber ich glaube, dass wir darüber unsere Menschlichkeit vergessen haben. Wir sind immer noch Menschen, die essen müssen. Gut essen, gerade in dieser Zeit, in der Frauen so viel in einen Tag packen, so ein hektisches Leben führen.

Sexismus erlebt man dauernd in der Küche

Historisch ist die Küche immer ein Ort des Wissensaustausches für Frauen gewesen, wo mehrere Generationen zusammenarbeiteten. Dort haben sie miteinander geredet und sich was beigebracht, es gab eine Intimität, physisch wie emotional. Ich halte es für eine Chance, sich das zurückzuholen. Wir können uns fürs Kochen entscheiden, ohne dass es ein Zeichen von Schwäche oder Unterdrückung ist. Die Zeit in der Küche kann eine unglaubliche Kraftquelle sein.

Auch wenn wir in Kanada vielleicht mehr Profiköchinnen haben als in Europa, das Ungleichgewicht bleibt ein globales Problem. San Pellegrino kürt jedes Jahr die 50 besten Restaurants der Welt, auch den besten Koch. Dieses Jahr haben sie in einer extra Kategorie die beste Köchin ausgezeichnet. Absurd! Das hat zu Recht eine Wahnsinnsempörung ausgelöst. Denn die Botschaft ist: Eine Frau kann gar nicht der beste Koch der Welt sein.

Sexismus und Belästigung erleben wir dauernd in der Küche. Als Studentin war ich in einer Schicht zuständig für die Hühnerbrüste. In diesen drei Stunden kamen mehrere männliche Kommilitonen vorbei, um die Brüste zu befummeln und dämliche Bemerkungen zu machen. Als Frau musst du dich entscheiden: Packst du deine Messer und verschwindest – oder wirst du Piratin mit einer dreckigen Klappe und schlägst zurück.

Dafür sind natürlich nicht alle gemacht. Ich bin überzeugt, dass deshalb so viele Frauen in die Patisserie gehen. Da arbeitest du für dich, in einer separaten Ecke, und die Zeiten sind so, dass du auch Kinder haben kannst.

Frauen kochen die Essen dieser Welt

Eigentlich sollte das ganz normal sein, dass eine Frau in der Küche arbeitet. Noch während ich das ausspreche, merke ich, wie grotesk das klingt. Frauen kochen ja nach wie vor das Essen dieser Welt. Nur haben die Männer einen Weg gefunden, sich dafür bezahlen zu lassen.

Ich selber ringe immer wieder mit der Frage, was für eine Chefin ich sein will. Ich bin eher der Typ, der sagt, okay, packen wir’s an und schaffen es weg, jeder auf seine Art. Aber damit bin ich oft auf die Nase gefallen. Vor allem, wenn ich Männer unter meiner Aufsicht hatte. Besonders heftig habe ich das im Museumscafé in Toronto erlebt. Die konnten mit der Freiheit nicht umgehen, standen einfach rum. Und dann bekam ich Druck von meinem Boss. Eines Tages bin ich geplatzt, da habe ich alle zusammengetrommelt, habe rumgebrüllt und geflucht, all das gemacht, was ich nie machen wollte. Und es hat funktioniert. Ich war gleichzeitig extrem enttäuscht und erleichtert. Nach neun Monaten habe ich dort aufgehört.

Nachhaltig. Das Speisenangebot umzukrempeln, war die Aufgabe der Aktivistin an der Ryerson University in Toronto – inklusive Gemüsegarten.
Nachhaltig. Das Speisenangebot umzukrempeln, war die Aufgabe der Aktivistin an der Ryerson University in Toronto – inklusive Gemüsegarten.

© Maharaj

Bevor ich damals aus Indien zurückgekehrt bin, habe ich Freunde in Bombay besucht, die ein Kochbuch von Jamie Oliver da liegen hatten, sein zweites. Das habe ich verschlungen! Jamie finde ich eine Wucht. Der Erste, von dem ich hörte, dass er Koch und Aktivist ist. Ich habe gedacht: Das ist es! Das will ich machen. Er hat so hart daran gearbeitet, das Schulessen in Großbritannien zu verbessern – und beim nächsten Regierungswechsel fiel alles wieder in sich zusammen. Und er hat so viel dafür getan, die heimische Küche für Männer zu öffnen, ihnen zu zeigen, wie man sich um andere kümmert, indem man für sie kocht.

Zurück in Toronto wollte ich die spirituelle, emotionale Verbindung zum Essen in meinem Beruf anwenden. Aber nach einem Jahr an der Kochschule war mir klar, dass es in der traditionellen Restaurantwelt null Sympathien für diesen airy fairy good feelings nonsense gab. Was ich machen wollte, musste ich mir selber aufbauen. Ein großes Experiment.

Die Risikobereitschaft ist unglaublich gering

Ich bezeichne mich gern als One-Woman-Show. Es gibt ja niemanden, der mich anstellt, das zu machen, was ich tue. Ich halte Vorträge, gebe Workshops, mache Projekte, versuche Geld aufzutreiben, um ein Buch über meine Erfahrungen zu schreiben. Das ist zwar mühsam, aber gibt mir die Chance, genau das zu tun und zu sagen, was ich tun und sagen will, ohne Rücksicht auf einen festen Arbeitgeber.

Gerade in Institutionen muss ich immer wieder erklären, nein, es geht nicht darum, dass ich das Essen billiger mache, sondern dass ihr uns mehr Geld gebt, es besser zu machen! Ein Krankenhausbett zum Beispiel kostet 1200 Dollar die Nacht. Der Tagessatz fürs Essen beträgt 7,35. Wenn ich sage, ich brauche zwei Dollar mehr, gibt es einen Aufschrei. Auch die Risikobereitschaft ist unglaublich gering. Ich soll immer Garantien geben, dass ein Experiment gelingt. Aber das kann ich nicht. Ich habe Erfahrung, kann die Aussichten, glaube ich, ganz realistisch einschätzen – doch ich kann nichts garantieren.

Man muss die Leute bei ihren Überzeugungen packen, wenn man das Gesamtsystem des Essens verändern will, denn das verlangt von jedem eine kleine Anstrengung. Man muss ein Feuer in ihnen entfachen, dann sind sie bereit, auch ein Stück Bequemlichkeit aufzugeben und Arbeit, Geld oder was immer nötig ist, zu investieren. Nur muss man sie immer wieder daran erinnern. Viele sagen, sie sind für Nachhaltigkeit, doch wenn’s darum geht, das zu praktizieren, sieht’s anders aus.

In Kliniken müssen erst einmal Mitarbeiter geschult werden

Das habe ich an der Uni erlebt. Ich hatte die Studenten am Anfang gefragt, wer ist für Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit, und alle haben ihre Hand gehoben. Ich dachte, fantastisch, sie sind bereit dafür, möglichst viele Produkte von lokalen Anbietern zu beziehen und Bauern, Lieferanten, Mitarbeiter fair zu bezahlen. Aber ich habe schnell kapiert, dass sie sich nicht unbedingt an ihre Bekenntnisse hielten. Ich musste sie daran erinnern: Ihr wolltet das, jetzt müsst ihr auch Taten folgen lassen. Ihr lauft mit 200-Dollar-Sneakern rum, habt alle ein iPhone in der Tasche – und mein frisch gekochtes Essen aus guten Zutaten ist mit fünf bis acht Dollar echt nicht zu teuer.

In den Kliniken sieht es ähnlich aus. Es gibt eine tiefe Kluft zwischen dem, was sie in ihren Marketingbroschüren darlegen, all die großartigen Exzellenzstandards in der Ausbildung und Forschung und Behandlung der Patienten – und dem Essen, das sie servieren. Ich will, dass sie ihre eigenen Werte auf die Verköstigung anwenden.

Was ich vor meinen Einsätzen im Krankenhaussystem total unterschätzt hatte, war, dass man die Mitarbeiter erst mal schulen musste. Es ist Wahnsinn, dass jemand 25 Jahre in einer Küche arbeitet und nicht weiß, wie man eine Zwiebel hackt. Aber das Kochen war ihnen aus der Hand genommen worden, sie haben Essen nur noch aufgewärmt.

Eine Institution, mit der ich mich wahnsinnig gern beschäftigen würde, ist das Gefängnis und die Qualität des Essens dort. Viele glauben offenbar, Häftlinge hätten zu essen, was auch immer für ein Mist ihnen serviert wird. Aber wenn du im Gefängnis sitzt, weil du etwas verbrochen hast, bedeutet das, dass du deine Menschlichkeit am Tor abgegeben hast? Finde ich nicht. Es sind immer noch Menschen, die gutes Essen verdienen. Darüber würde ich gern eine öffentliche Debatte führen."

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