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Faible füreinander. Emmanuel Macron und Angela Merkel.

© AFP

Diplomatenausbildung in Tegel: "Alle sollen in Französisch arbeitsfähig sein"

Heinrich Rohrbach kämpfte beim Auswärtigen Amt fast 40 Jahre für die Sprache der Diplomatie. Denn sie ist und bleibt eine Sache der Nuancen.

Wenn ein deutscher Diplomat irgendwo auf der Welt seinen neuen Posten antritt, nimmt er dort meist zuerst Kontakt mit der französischen Botschaft auf. Das steht nirgendwo geschrieben, es hat sich so eingespielt. In der Akademie Auswärtiger Dienst in Tegel, wo der Nachwuchs ausgebildet wird, heißt es: „C’est le réflexe franco-allemand.“

Seitdem 1919 der Versailler Vertrag auch auf Englisch formuliert wurde, sagt man, Französisch sei als Sprache der Diplomatie auf dem Rückzug. Doch so einfach ist das nicht, in Deutschland folgt die Sprache einer Konjunktur persönlicher Freundschaften: Adenauer und Charles de Gaulle. Kohl und Mitterrand. Merkel und Macron. Jeder Diplomat muss bis heute nach seiner Ausbildung auf Französisch „arbeitsfähig“ sein.

Auf dem Tegeler Ausbildungsgelände des Auswärtigen Amtes hört sich das frische „bonjour, monsieur“ jetzt wie beiläufig an. In Wahrheit ist es ein Echo. Es gilt dem Lehrer Heinrich Rohrbach. Einer Kapazität und Institution. Es ist der Nachhall von bald 40 Jahren Arbeit.

Rohrbach selbst wehrt gespielt bescheiden ab, aber Tatsche ist: Alle deutschen Diplomaten, die in den letzten 40 Jahren ausgebildet wurden, sind durch seine Hände gegangen. Er fing 1978 in Bonn Ippendorf beim Auswärtigen Amt als Lehrer an. Seit 1984 koordinierte er dessen Sprachenschule bis 2014. Er war zuständig für die Sprachausbildung, als Außenminister Genscher 1990 sagte: Die alten DDR-Diplomaten will ich nicht. Er wollte aber durchaus neu ausgebildete Diplomaten aus den neuen Bundesländern und investierte in intensive Schulungen. „Heute sind keine Unterschiede zu hören.“ Rohrbach konzipierte auch seinen Unterricht neu, als die Formelsprache der 80er durch die „public diplomacy“ ersetzt wurde, eine Art Imagearbeit der Regierung, die sich an die Öffentlichkeit im Ausland richtet.

Grammatik ist kein Selbstzweck

Irgendwann wünschte sich das Amt mehr sogenannte Drittsprachen als Qualifikation für die Bewerber: asiatische Sprachen, Arabisch. Es bestand die Gefahr, dass jede weitere Sprache auf Kosten des Französischen gehen würde. Nur 14 Monate haben sie im Auswärtigen Amt Zeit, um ihre Diplomaten handlungsfähig zu machen.  „Perfektion können nicht alle erreichen, aber alle sollen in Französisch arbeitsfähig sein“, sagt Rohrbach. Arbeitsfähig bedeutet: eine bilaterale Verhandlung führen, Muttersprachler in Europa und Afrika verstehen, einen Text zusammenfassen, eine Rede entwerfen und einem Gegenüber in angemessener Sprache antworten können. „Grammatik ist kein Selbstzweck; sie wird erklärt, wenn es notwendig ist.“ Der Diplomat dient ja dem Land und die Sprache dem Diplomaten.

Mit Heinrich Rohrbach – es heißt, er habe sich seinerzeit gerne „Henri“ nennen lassen – kam neue Ordnung in das Lehrmaterial. Früher waren Glossare alphabetisch, das Arbeitsbuch des Auswärtigen Amtes ist nun nach Themen und Situationen sortiert: Visafragen, Flugzeugabsturz, Schuleinweihung, vermisste Staatsbürger, Naturkatastrophen. Es handelt sich je um Spezialwortschätze. Soeben wird im Haus der 72. Jahrgang unterrichtet. Es geht um die Inhaftierung eines Journalisten in der Türkei. Wie drückt man das in verschiedenen Abstufungen aus? Wie legt man die Gründe dar? „Wir müssen mit authentischen Texten arbeiten“, sagt Rohrbach. Früher stand wenig Originalmaterial zur Verfügung und es brauchte viel Zeit, das zu finden. Heute gibt es ungeheuer viele Quellen. Es braucht Zeit, sie auszuwählen.

Ein Lehrer muss inhaltlich ein Sparringspartner sein

„Der Sprachunterricht ist auch eine Art Spielwiese“, sagt Rohrbach. Ein Lehrer im Auswärtigen Amt muss inhaltlich ein Sparringspartner sein. Die hoch qualifizierten Schüler erwarteten, dass ihre Lehrer „in Sachfragen gleich Bescheid wissen.“ Von dieser Relevanz ist Rohrbach auch nach seiner Pensionierung noch beseelt.

Die Sprachen sind die Zahnräder im Uhrwerk der Diplomatie. Ihr Knackpunkt ist die Übersetzung. Gegen Ende der Ausbildung haben einige die Möglichkeit, Zeit im französischen Außenministerium am Quai D’Orsay zu verbringen, sie lernen dann manchmal sogar denjenigen kennen, der die eigene spätere Aufgabe spiegelbildlich in Frankreich erledigt. Wer schon in der Sprache gemeinsame Grundlagen entdeckt, der finde später auch bei gegenteiligen Interessen leichter das, was Rohrbach „erweiterbare Schnittmengen“ nennt.

Handelt nicht die gesamte Diplomatie von „erweiterbaren Schnittmengen?“ Das deutsch-französische Europa-Tandem, das Macron soeben als Motor für Europa beschrieb, wäre nicht denkbar, wenn in den letzten 40 Jahren Diplomaten die Nähe nicht praktiziert hätten.

Rohrbach kam als Teenager aus seiner Kleinstadt Hünfeld bei Fulda in die bretonische Partnerstadt Landerneau. Da hat es gleich gefunkt. „Die Zukunft des deutsch-französischen Verhältnisses liegt in solchen Programmen.“ Da entwickelt sich in persönlicher Nähe, was später Völkerfreundschaft heißt. Rohrbach faltet sich in seinen Smart. Mit dem Motor springt der Sender RFI an, Radio France International. Man muss ja drinbleiben.

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