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Meryl Streep als Emmeline Pankhurst in dem Film "Suffragette - Taten statt Worte" (Regie: Sarah Gavron).

© Steffan Hill/Concorde

Die Suffragetten-Bewegung in Großbritannien: Frauen an der Front für ihre Rechte

Sie wurden verlacht, geschlagen und ins Gefängnis gesteckt: die Suffragetten, radikale Streiterinnen für die Gleichberechtigung. Jetzt verkörpert Meryl Streep ihre Anführerin im Kino.

Geschockt, einige verweint, verlassen die weiblichen Zuschauer das Kino. So brutal hatten sie ihn sich nicht vorgestellt, den Kampf für das Frauenwahlrecht vor 100 Jahren. In dem Film „Suffragette“, der diese Woche regulär startet, werden Schaufenster zertrümmert, Briefkästen angezündet, Häuser bombardiert. Man schaut zu, wie Aktivistinnen von Polizisten getreten und blutig geprügelt, wieder und wieder ins Gefängnis gesteckt werden, wo sie als Hungerstreikende auf grausame Art von Medizinern zwangsernährt werden.

Ihre Anführerin, gespielt von Meryl Streep, ist nur selten im Bild. Und doch scheint sie allgegenwärtig, als diejenige, die die Marschrichtung vorgibt.

Emmeline Pankhurst heißt die Frau. Ein Name, der hierzulande kaum jemandem was sagt, und der im Angelsächsischen so bekannt ist wie der von Florence Nightingale. Die US-Zeitschrift „Time“ erklärte die Engländerin zu einer der 100 wichtigsten Menschen des 20. Jahrhunderts: „Sie mischte die Gesellschaft mit solcher Vehemenz auf, dass es kein Zurück mehr gab.“

Stell Dir vor, es ist Krieg – und alle gehen hin. Okay, nicht alle, aber eine ganze Menge: knapp eine halbe Million Demonstrantinnen 1908 im Hyde Park. Ein eindrucksvolles Bild in Weiß-Grün-Lila, den Erkennungsfarben der Bewegung: Weiß für die Reinheit, Grün für die Hoffnung, Lila für die Würde. Eine halbe Million, das haben nicht mal die amerikanischen Bürgerrechtler in den 60er Jahren geschafft. Beim legendären Marsch auf Washington, als Martin Luther King seine Rede „I Have a Dream“ hielt , waren es gut 200.000.

Taten statt Worte

Emmeline Pankhurst war keine Träumerin, sie war Macherin. Als Verfechterin des aktiven Widerstands machten sie und ihre Mitstreiterinnen mit spektakulären Aktionen auf das Frauenwahlrecht aufmerksam. Immer wieder hatten sie versucht sich im Parlament Gehör zu verschaffen, aber wurden nur ignoriert oder ausgelacht. Also ätzten sie ihr Ziel, „Votes for Women“, in den Rasen des Golfplatzes, auf dem Abgeordnete gern spielten, kappten Telefonleitungen, schmissen Steine. „Taten statt Worte“ hieß der Schlachtruf der Women’s Social and Political Union (WSPU), die Pankhurst als „Streitkraft für das Wahlrecht“ beschrieb.

Dabei war die zierliche kleine Frau, die als Neunjährige die Odyssee gelesen haben soll, außerordentlich wortgewaltig. Mit melodiöser Stimme peitschte die Charismatikerin beide Seiten auf. Vom Bürgerkrieg der Frauen sprach sie in ihrer berühmtesten Rede, die sie 1913 in den USA hielt, es ging, so der Titel, um „Freiheit oder Tod“. Ihr Vorbild: die Französische Revolution und die britischen Landarbeiter, die im 19. Jahrhundert ihrerseits Heuhaufen angezündet hatten, um das Wahlrecht zu bekommen.

Pankhurst und ihre Anhängerinnen waren nicht die Ersten und im internationalen Vergleich bei weitem nicht die Erfolgreichsten (siehe unten) – aber die Schlagkräftigsten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts waren in Großbritannien Dutzende von Vereinen im Kampf fürs Frauenstimmrecht gegründet worden. Schließlich war es nicht einzusehen, dass Frauen unter oft unmenschlichen Bedingungen schuften mussten, natürlich auch Steuern zahlten, aber nicht wählen durften. Und das in einem parlamentarischen Reich, dessen Oberhaupt eine starke Frau war. 64 Jahre saß Queen Victoria auf dem Thron, den sie geerbt hatte. Vom Frauenwahlrecht hielt sie allerdings nichts.

Ihr Mann war überzeugter Feminist

Emmeline, deren Eltern engagierte Gegner der Sklaverei waren, begleitete schon als 14-Jährige ihre Mutter zu Versammlungen zur „suffrage“ (aus dem Französischen, „Wahlrecht“). Aber aus all den Hoffnungen, auch Versprechungen war nichts geworden. Und jetzt hatte sie endgültig genug.

Der zündende Moment, so erzählt Emmelines Urenkelin Helen Pankhurst im Gespräch mit dem Tagesspiegel, war eine besonders perfide Form der Diskriminierung. Richard Pankhurst, 24 Jahre älter als seine Frau Emmeline, war plötzlich gestorben. Der linke Anwalt, eng mit der neuen Labour Party verbunden, hatte Emmelines Politisierung angefeuert. Als überzeugter Feminist hatte „der rote Doktor“ ein Gesetz durchgebracht, dass es Frauen erlaubte, auch nach der Eheschließung (Grund-)Besitz zu behalten, hatte auch versucht, ein Gesetz für das Frauenwahlrecht durchzubringen; sein Mitstreiter war der Philosoph John Stuart Mills. Nach Richards Tod wollte die Labour Party dem Radikalen einen Gedenkraum widmen. Ihre Urgroßmutter, erzählt Helen Pankhurst, durfte bei der Ausschmückung zwar helfen, schon bei der Einweihung aber war sie nicht mehr erwünscht. Frauen war der Zutritt verboten.

"Diktatorin ohne Gnade"

Emmeline Pankhurst bei einer ihrer berühmten Reden, auf dem Londoner Trafalgar Square.
Emmeline Pankhurst bei einer ihrer berühmten Reden, auf dem Londoner Trafalgar Square.

© picture alliance / dpa

1903 wurde die WSPU in Manchester gegründet, der Industriestadt mit radikalen Traditionen. Und zwar im Hause der Familie, das heute als Pankhurst Centre nicht nur Museum, sondern aktives Frauen-Zentrum ist. Es war ein Familienunternehmen, alle drei Töchter machten mit. Adela eher im Hintergrund, Christabel, Emmelines Lieblingstochter und studierte Juristin, die als Frau ihren Beruf nicht ausüben durfte, stand als forsche Vizegeneralin an vorderster Front, schloss irgendwann auch alle Männer vom gemeinsamen Kampf aus. Daneben Sylvia, die als studierte Künstlerin das optische Bild der Vereinigung prägte, die das Merchandising bestens beherrschte: Es gab Banner, Broschüren, Hutnadeln, Taschen ebenso wie Taschentücher, auch Amulette mit dem Antlitz von Emmeline.

Diese, von ihren Anhängerinnen ebenso vergöttert wie von ihren Feinden verteufelt, war eine schöne Frau, die ihre Weiblichkeit betonte. Weich steckte sie die Haare hoch, setzte extravagante Hüte auf. Die Mutter von fünf Kindern (die beiden Söhne starben früh, der eine als Kind, der andere als junger Mann), die eine glückliche Ehe geführt hatte, konnte kein Gegner als vertrocknete Jungfer abtun.

Aber auch nicht als sanftes Weib, wie die Politiker der Zeit sich das andere Geschlecht wünschten, duldsam, zart und rein. Die „Diktatorin ohne Gnade“, wie eine Weggefährtin sie nannte, praktizierte einen autoritären Führungsstil, ihre Armee hatte zu gehorchen. Eigene Meinungen wurde nicht geduldet. Andernfalls flogen selbst enge, treue Gefährten raus. Andere verließen die WSPU freiwillig, weil sie ihnen zu militant wurde. Allerdings: Gewalt propagierte Emmeline nur gegen Dinge, nicht gegen Menschen. Sie wusste, dass das Eigentum vielen ihrer Zeitgenossen noch heiliger war. Schon in jungen Ehe-Jahren hatte sie bei ihrer Sozialarbeit mit großen Entsetzen erlebt, unter welch unmenschlichen Umständen selbst kleine Jungen und Mädchen wie Sklaven arbeiten mussten.

Katz und Maus

Im Film hat man zuweilen den Eindruck, dass Pankhurst tatsächlich, wie ein Polizist sagt, die Basis nur als Kanonenfutter diente, sie die Frauen an die Front, in den Knast, ins Elend schickte, selber aber als Grande Dame im sicheren Hintergrund blieb. So ist es nicht gewesen. Emmeline Pankhurst gab alles, jahrelang hatte sie nicht mal ein eigenes Zuhause, immer wieder wurde sie ins Gefängnis gesteckt, vor dem auch ihre weiblichen Bodyguards sie nicht schützen konnten. Dort ruinierte sie ihre Gesundheit, trat wie viele mehrmals in den Hungerstreik, mit dem die Suffragetten erreichen wollten, als politische Gefangene anerkannt zu werden. Man spielte Katz und Maus. „Cat and Mouse Act“ wurde das perfide Gesetz von 1913 genannt, nach dem Frauen, die durch den Hungerstreik geschwächt waren, entlassen wurden, nur um, wenn sie sich ausreichend erholt hatten, wieder eingebuchtet zu werden.

Der Film spielt 1912/13, als der weibliche Bürgerkrieg seinen Höhepunkt erreichte. Anders als in der fiktiven Kino-Geschichte spielten Arbeiterinnen zu diesem Zeitpunkt kaum noch eine Rolle in der WSPU, die immer bürgerlicher, auch konservativer wurde. Und dann, gerade als viele dachten, jetzt könnte es bald mit dem Wahlrecht so weit sein, von einem Tag auf den anderen, war alles vorbei. Der Erste Weltkrieg machte aus Emmeline und Christabel Pankhurst militante Patriotinnen. Kurz zuvor hatte Christabel den Schatzkanzler Lloyd George, der 1915 Premierminister wurde, noch ins Kreuzverhör genommen, war Emmeline zu drei Jahren Haft verurteilt worden wegen eines Brandanschlags auf sein Landhaus. Nun wurde er zum engen Verbündeten, der Emmeline sogar als Kundschafterin nach Russland schickte. Die inhaftierten Suffragetten wurden zu Kriegsbeginn aus dem berüchtigten Frauen-Gefängnis Holloway entlassen. Die Zeitung „The Suffragette“ hieß nun „Britannia“, wieder bewies Emmeline Pankhurst sich als Organisationstalent, peitschte ihre Zuhörer ein, duldete keine andere Meinung. Wer nicht für den Krieg ist, so die Botschaft, ist gegen mich.

Das galt auch für die eigene Familie. Schon vorher wurde Tochter Adela, zu links und friedliebend für den mütterlichen Geschmack, nach Australien abgeschoben, von wo sie nie zurückkehrte. Sylvia wurde einfach aus der Organisation rausgeschmissen. Schon vorher hatte sich die Sozialistin ins Londoner Arbeiter-Viertel abgesetzt und ihre eigene Bewegung gegründet, die East London Federation of Suffragettes. Pazifistin durch und durch, Gegnerin des Ersten Weltkriegs, engagierte sie sich später gegen die italienischen Faschisten und für die äthiopische Unabhängigkeit. In Addis Abeba ist sie auch 1960 gestorben. Beim Staatsbegräbnis ernannte Haile Selassie sie zur Äthiopierin ehrenhalber.

Erst 1928 war das Ziel erreicht

Helen Pankhursts Urgroßmutter Emmeline Pankhurst 1911, mit ihren Töchtern Christabel (Mitte) und Sylvia, Helens Großmutter .
Helen Pankhursts Urgroßmutter Emmeline Pankhurst 1911, mit ihren Töchtern Christabel (Mitte) und Sylvia, Helens Großmutter .

© mauritius images

Zum endgültigen Bruch, so Sylvias Enkelin Helen Pankhurst, kam es aber aus anderem Grund. Sylvia, die nicht an die Institution der Ehe glaubte, hatte einen unehelichen Sohn bekommen. Emmeline brach den Kontakt ab. Obwohl sie selbst im Krieg vier uneheliche Halbwaisen adoptiert hatte.

Mit dem Krieg endete auch die alte Welt. Die Frauen hatten ihren Mann gestanden, konnten nicht mehr so kleingehalten werden. 1918 bekamen die Über-30-Jährigen in Großbritannien das Wahlrecht. Bis alle Briten (ab 21) zur Urne durften, sollten allerdings noch mal zehn Jahre vergehen.

Wenige Tage vor Verabschiedung des Gesetzes war Emmeline Pankhurst, krank und verarmt, mit knapp 70 gestorben. Zuletzt hatte sie noch, wieder vergebens, versucht, für die Konservativen einen Sitz im Parlament zu erringen. Tochter Christabel lebte inzwischen in Nordamerika, als Evangelistin der Adventisten.

Der Weg von der Märtyrerin zum Denkmal war im Falle Emmelines äußerst kurz, amüsierte sich die „New York Times“ einmal. Nur zwei Jahre nach ihrem Tod enthüllte der britische Premierminister eine Statue in Westminster, dem Parlamentsbezirk, dazu spielte das Blasorchester der Polizei. Das hatte sich freiwillig gemeldet.

Bis heute sind die Historiker sich nicht einig, wer und was am Ende für die Erringung des Wahlrechts verantwortlich war: die Gemäßigten, die den Rechtsweg bestritten, der Erste Weltkrieg oder die WSPU. Aber dass erst die Pankhursts und ihre Getreuen mit ihrem Guerillakampf das Frauenwahlrecht zu einem großen Thema in der Öffentlichkeit machten, daran zweifelt schon lange niemand mehr.

Also: Happy End, Vorhang zu? Kaum. Der Kampf für gleiche Bezahlung und gleichberechtigte Aufstiegschancen, den Emmeline und Christabel 1918 mit der Gründung ihrer „Woman Party“ erfolglos aufnahmen, ist noch lange nicht am Ende. So ist es vielleicht kein Zufall, dass die Suffragetten gerade ein regelrechtes Revival erleben. Pünktlich zum Filmstart hat der Sandmann Verlag ein Buch mit Porträts verschiedener Suffragetten herausgegeben, eine neue Graphic Novel erzählt die britische Geschichte, und der Steidl Verlag hat die Autobiographie von Emmeline Pankhurst frisch aufgelegt.

Auch für Sylvias Enkelin Helen Pankhurst ist die Sache noch nicht ausgestanden. Als einzige direkte Nachkommin der Familie in Europa hat die Feministin als Beraterin am Film mitgearbeitet, mit ihrer Tochter auch in einer Szene mitgespielt. Bei Publikumsgesprächen nach Filmvorführungen in Großbritannien und den USA habe sie viele Tränen, viel Wut und Frustration erlebt angesichts der Tatsache, dass noch so viel Ungleichheit existiert.

Neben der politischen Bedeutung hat der Streifen für die Aktivistin, die bei der internationalen Hilfsorganisation CARE arbeitet, eine persönliche: als Moment der Versöhnung. „Der Feminismus tritt in den unterschiedlichsten Formen auf, mit unterschiedlichen politischen Meinungen, links, rechts, alle möglichen Richtungen. Und meine Familie hat sie alle repräsentiert.“

Frauenwahlrecht international

Die Britinnen waren die Lautesten, nicht die Ersten. In Neuseeland erhielten Frauen schon 1893 das Wahlrecht, in Australien 1902. In Europa hatten die Skandinavier die Nase vorn: Finnland 1906, Norwegen 1913, zwei Jahre später Dänemark. 1918 war es auch in Polen, Österreich und Deutschland so weit. Die durch die Novemberrevolution an die Macht gekommene neue Reichsregierung verkündete es noch im selben Monat. In Italien und Belgien durften die Frauen erst nach dem Zweiten Weltkrieg an die Urne gehen. Das Schlusslicht in West-Europa bildeten die Schweiz (1971) und Liechtenstein (1984). Vorkämpferinnen aus Deutschland und anderen Ländern stellt der eben erschienene Sammelband „Die Suffragetten“ vor (Elisabeth Sandmann Verlag).

Ein exklusives Interview mit Emmeline Pankhursts Urenkelin Helen lesen Sie hier

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