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Gefährliche Diddlmaus. In ein Freundebuch werden Wünsche und größte Geheimnisse eingetragen.

© promo/www.diddl-shopping.de

Die Sparkolumne: Alte Freundebücher könnten brisant werden

Das neue Datenschutzgrundverordnung sieht ein Recht auf Vergessen vor. Drohen nicht horrende Strafen bei Zuwiderhandlung?

Von Andreas Austilat

Unsere Tochter muss so zehn oder elf gewesen sein, da bekam sie von einer Mitschülerin ein Freundebuch mit auf den Weg – verbunden mit der Bitte, eine Seite darin auszufüllen. Freundebücher, das muss ich vielleicht erklären, waren in den Nullerjahren und auch schon davor das, was man noch ein bisschen früher als Poesiealbum kannte. Man schrieb kleine Verse rein, außerdem, was man für cool hielt, die Lieblingsmusik zum Beispiel, einen Berufswunsch für später und welchen Film man toll fand.

Am Morgen vor der Schule fragte ich beiläufig, was sie denn eingetragen hätte? „Mein Lieblingsfilm ist ,Mississippi Burning’“, sagte sie mit ihrem damals noch ziemlich zarten Stimmchen. Ich war schockiert. Ein toller Film mit Willem Dafoe und dem zynischen Gene Hackman, das schon. Aber ein Rassismusdrama ist vielleicht keine gute Wahl für eine Elfjährige. Jedenfalls malte ich mir aus, was die anderen Eltern wohl über uns denken würden. Wahrscheinlich dürfte nie mehr jemand unsere Tochter besuchen.

Nun, der erwartete Eklat blieb aus. Irgendwann hatte ich die Geschichte vergessen, vertraute darauf, so ein Buch sieht nie jemand wieder. Bis ich auf dem Dachboden eine Kiste öffnete. Darin lagen ihre eigenen Freundebücher. Ganz oben eines mit einer Diddlmaus auf dem Titel, die war früher allgegenwärtig. Wie niedlich, dachte ich beim Blättern. Die Hälfte ihrer Freundinnen wollte also damals Tierärztin werden, nur Sara nicht, die schrieb „Kosmetikerin“. Was sie wohl heute dazu sagen würde? Ein anderer hatte allen Ernstes geschrieben, er würde gern bezahlter Urlauber werden.

Vielleicht sollte ich sie im Garten beerdigen

Ich stieß auf Bücher jüngeren Datums, drei, vier Jahre alt, ausgefüllt kurz vor dem Abitur. „Was ich mir wünsche“, schrieb einer, der offenbar eine Laufbahn als Profizocker anstrebte, „Glück im Spiel“.

Brisanter Stoff, dachte ich plötzlich. Ich sage nur Datenschutz-Grundverordnung. Die sieht neuerdings ein Recht auf Vergessen vor. Gibt es jetzt nicht sogar eine Pflicht zur Löschung? Und drohen nicht horrende Strafen bei Zuwiderhandlung? Im Extremfall sind es 20 Millionen Euro, bei Unternehmen vier Prozent vom Jahresumsatz.

Bislang hatte ich angenommen, das geht mich gar nichts an, richtet sich gegen Facebook und Co mit ihrer Sammelwut. Jetzt klappte ich schnell die Freundebücher zu.

Was soll ich tun? Muss ich einer teuren Abmahnung zuvorkommen? Weil sich schon bald Kanzleien auf so etwas spezialisieren werden?

Vielleicht sollte ich die Kiste draußen im Garten beerdigen, dort, wo schon die Haustiere liegen.

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