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Im Alten Botanischen Garten kommen auch Kinder auf ihre Kosten, es gibt hier auch einen Spielplatz.

© mauritius images/Markus Lange

Die schönsten Bahnhofsviertel: Nächster Halt: München

Nächstes Wochenende wird das Oktoberfest eröffnet. Wer nur durchs Bahnhofsviertel zur Wiesn hetzt, verpasst einiges.

Zum Spielen

Okay, es ist nicht der Englische Garten. Aber für die ambulanten Bedürfnisse des Bahnfahrers, der ein bisschen Auslauf braucht, hat der Alte Botanische Garten (1) genau die richtige Größe. Auch der Nachwuchs wird seine Freude haben, gibt es doch einen Spielplatz hier – den Erwachsene nur in Begleitung von Kindern betreten dürfen. Und gleich daneben ein Spielhaus mit rührender Geschichte: 1947, vier Jahre nachdem seine Tochter sich das Leben genommen hatte, stiftete es der Ingenieur Friedrich Kranz den Münchener Kindern und Jugendlichen. Mit der Auflage, sie so zu erziehen, dass Nationalsozialismus und Holocaust sich nicht wiederholen würden.

Bei schönem Wetter toben die Kurzen auch um den Neptunbrunnen herum, das gewaltige Herzstück des Parks, neben dem Café-Restaurant mit angeschlossener Bühne und einem Biergarten, der sogar im Winter geöffnet hat. Dann mit Eisstockbahn und Glühweinkiosk.

Zum Kunstschauen

Das Lenbachhaus (2) ist viel mehr als ein Museum. Die goldgelbe Villa mit dem italienisch anmutenden Garten hat sich bei aller Größe und Pracht die Atmosphäre einer Privatresidenz bewahrt. Der moderne Anbau von Lord Norman Foster fügt sich da hervorragend ein. Im alten Teil kann man die Künstler des Blauen Reiters im Original bewundern, Kandinsky, Münter, Marc und Co. Daneben gibt es immer hochkarätige Sonderausstellungen zu sehen, aktuell unter anderem „After the Fact. Propaganda im 21. Jahrhundert“.

Im Lenbachhaus kann man Kandinsky und Münter bewundern.
Im Lenbachhaus kann man Kandinsky und Münter bewundern.

© Städtische Galerie im Lenbachhaus

Wer danach noch Kraft hat, überquert einmal die Straße und schaut sich die Glyptothek an, wo er vielleicht nicht nur auf frühgriechische Jünglinge stößt, sondern auch auf den Lyriker Jan Wagner, der das dortige Museumscafé zu einem seiner Münchener Lieblingsplätze erklärt hat. Oder man läuft noch ein paar Schritte weiter, zum neuen NS-Dokumentationszentrum, um mehr zu erfahren über „die Hauptstadt der Bewegung“, die München einmal war.

Zum Filmgucken

Ein Kino im Bahnhofsviertel, das kann doch nur Porno oder Peepshow sein. Umso größer die Überraschung, wenn man in den kleinen, versteckten Hof gerät und sieht, was hier läuft: „David Lynch“, „Eine fantastische Frau“, „Die Migrantigen“ … Ein Programmkino! Und nicht nur eins – fünf Säle auf einen Streich, dazu eine eigene Bewirtschaftung, weil man vor der Vorführung doch noch einen Latte und hinterher Wein trinken will. Zweite Überraschung: Die Kultur in diesem 50er-Jahre-Komplex ist eine Berliner Insel im Münchener Meer. Die Gesellschafter der City Kinos (3) sind nämlich die Betreiber des hiesigen Delphi (ist ja auch in Bahnhofsnähe) und der anderen Yorck-Kinos. Das nennt man preußisch-bajuwarische Freundschaft.

Kulinarische Erweckungserlebnisse und die Prohibition

Ein Programmkino im Bahnhofsviertel! Fünf Säle, dazu eine eigene Bewirtschaftung.
Ein Programmkino im Bahnhofsviertel! Fünf Säle, dazu eine eigene Bewirtschaftung.

© City Kinos

Zum Ablegen

Wer braucht denn Schwabing, wenn es das Mariandl (4) gibt! Wer sich in dieses märchenschlossartige Gebäude aus der Belle Époque begibt, hat tatsächlich das Gefühl, eine andere Zeit zu betreten, als München noch eine Künstlerhochburg zu erschwinglichen Preisen war. Und wer braucht eine Lobby, wenn er ein ganzes Kaffeehaus haben kann. Dort, im Erdgeschoss, holt der Hotelgast sich am Tresen den Schlüssel ab und hievt seinen Koffer die breiten, ausgetreten Holztreppen hoch in den dritten Stock. Das Team ist jung, der Spirit auch. In der gelassenen Atmosphäre des Kaffeehauses, in dem regelmäßig musiziert wird, treffen sich alle, das 70-jährige Geburtstagskind und das schwule Paar, Alteingesessene und Durchreisende. Studenten der benachbarten Medizinfakultät, auf roten Ledersofas hockend, stärken sich mit Serviettenknödeln auf Waldschwammerlrahm und Schweinebraten mit Dunkelbiersauce.

Ein großzügiges Doppelzimmer mit Waschbecken kriegt man hier schon ab 69 Euro; wer unbedingt sein eigenes Bad haben möchte, zahlt halt mehr. Aber es ist gerade der Charme des Unmodernisierten, Nicht-Gentrifizierten, der den Reiz des Mariandl ausmacht, wozu auch Stilmöbelchen, Kronleuchter und Kissen mit Knick gehören. Gelegentlich werden die Hotelzimmer in Kunstkammern verwandelt. Eine echte Trouvaille.

Zum Stärken

Goethe, Lessing, Schiller heißen die Straßen hier. Dabei ist der Bahnhofskiez wahrscheinlich der multikulturellste der ganzen Stadt. Was sich auch in den Lokalen niederschlägt, die sich zwischen Tabledance, Spielhöllen und Wettbüros niedergelassen haben. Faszinierend, an einem Sonntagnachmittag auf der Landwehrstraße zu stehen und zuzugucken, wie die noch warmen Fladenbrote aus dem Fenster der Bäckerei gereicht werden, für 40 Cent das Stück.

Im märchenschlossartigen Mariandl zu übernachten, fühlt sich an, als würde man eine andere Zeit betreten.
Im märchenschlossartigen Mariandl zu übernachten, fühlt sich an, als würde man eine andere Zeit betreten.

© Hotel Mariandl

Kulinarische Erweckungserlebnisse erwarten den Besucher nicht in den Dönerstuben. Aber München wäre nicht München, gäbe es nicht noch eine schickisierte Version der orientalischen Küche: das „Kiss“ (5). Dort stehen Tandoori-Halloumi mit Limetten-Joghurt und Harissa auf der Karte, dazu gibt’s Papadam und Wildkräutersalat. Das geräucherte Auberginenragout könnte man mit einem Prince of Persia oder einem Anislikör runterspülen. Denn das „Kiss“ ist ebenso Bar wie (vegetarisches) Restaurant. Wo man sich selbst dann noch stärken kann, wenn die nahe gelegene Wiesn sich längst schlafen gelegt hat. In den Zelten des Oktoberfests wird das letzte Bier um halb elf ausgeschenkt.

Es lohnt sich, die Landwehrstraße runterzulaufen, sie beherbergt noch andere Originale: Im „Tonnadelparadies Gleich“ kann man Diamanten für den alten Plattenspieler kaufen. Und Gerard Wiener repariert in seiner Werkstatt analoge Kameras.

Zum Schlucken

Seit Beginn dieses Jahres ist der Konsum von Alkohol am Hauptbahnhof zu nächtlicher Stunde verboten. Die Prohibition lässt sich umgehen. Gleich neben den Gleisen liegt das alte Königlich Bayerische Postamt, das prächtig renoviert und in ein Fünf-Sterne-Hotel verwandelt wurde. Es duftet ein wenig parfümiert, wenn man das Foyer des Sofitel betritt. Und angesichts der 5-Sterne-Preise muss der Berliner kräftig schlucken. Doch wer nur wenig Zeit hat und dem Bahnhofsrummel entkommen möchte, ist in der Isar Bar (6) gut aufgehoben. Und was sind schon 20 Euro für einen Drink, wenn der geplante Umbau des Bahnhofs mehr als eine Milliarde kosten soll. Wann der beginnt? Nobody knows.

(1) Alter Botanischer Garten: Elisenstraße, immer geöffnet. Spielhaus: spielhaus-sophienstrasse.de

(2) Lenbachhaus: Luisenstr. 33, Di 10-20 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr; Tel. 089/233 32 000, lenbachhaus.de

(3) City Kinos: Sonnenstr. 12, Tel. 089/591 983, city-kinos.de

(4) Mariandl: Goethestraße 51, Tel. 089/552 91 00, Café tägl. 9-1 Uhr, mariandl.com

(5) Kiss: Landwehrstr. 44, Di-Sa 18-2 Uhr, Tel. 089/59 989 795, kismet.cc/kiss

(6) Isarbar im Sofitel: Bayerstr. 12, Mo-Fr 8-1 Uhr, Sa/So 9-1 Uhr, Tel. 089/599 480, sofitel-munich.com/de

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