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Er sprüht vor Ideen. Frédéric Malle ist selbst kein Parfümeur, hat aber die besten der Branche um sich.

© AFP

Die goldene Nase: Parfum-Produzent Frédéric Malle über die Düfte seines Lebens

Der Vanille-Patchouli-Mix der Mutter, die grünen Lilien von Oma, die Waffeln an Weihnachten: Welche Gerüche seine Erinnerung prägten.

Frédéric Malle macht keine Parfüms, er kuratiert sie wie ein wählerischer Verleger. Für „Editions de Parfums“ kreieren die besten Nasen der Welt ohne lästige Vorgaben wie Abgabetermin und Finanzbudget Düfte für Malle, er verpackt sie in hübsche Flakons und verkauft sie zu enormen Preisen. 50 Milliliter ab 130 Euro. Und das geschieht alles ohne Werbung, ohne Prominente als „Testimonials“, ein erfolgreiches und diskretes Geschäftsmodell. Wie die Kreise, aus denen der 55-jährige Pariser mit Wohnsitz New York stammt. „Gäbe es eine Duftdynastie, hätte Malle einen Adelstitel“, schrieb die „New York Times“ über ihn. Der Großvater war Parfümhersteller für Christian Dior, sein Onkel Louis ein berühmter Filmregisseur („Auf Wiedersehen, Kinder“). Hier erklärt er, welche Düfte ihn durch sein Leben begleiten.

Im Büro meines Großvaters

Ich bin 1962 geboren, drei Jahre nach dem Tod meines Großvaters Serge Heftler-Louiche. Er war der Gründer von Christian Dior Parfüms. Außerhalb von Paris besaß er eine Fabrik, in der die Düfte hergestellt wurden. Meine Mutter arbeitete in der Entwicklungsabteilung und hatte ebenfalls ihr Büro dort. Manchmal nahm sie mich zur Arbeit mit. Wenn ich aus ihrem Büro hinunterschaute, sah ich auf das Fließband in der Halle, ich war fasziniert, wie die Arbeiter die Flaschen zusammensetzten: erst den Verschluss aufsetzen, dann den Zerstäuber und den Deckel. Es war, als würden sie ein Spielzeug zusammenbauen. Meine Mutter schenkte uns schon als Kinder Parfüms von Dior. Ich erinnere mich an „Eau Savage“, das in den späten 60er Jahren auf den Markt kam. Nach dem Sport sprühte ich mich gern damit ein. Damals hat mich die Frische in den Bann gezogen, der intensive Zitrusduft, der Geruch von überwältigender Natur. Mein Bruder und ich durften uns an den Flakons bedienen, wie wir wollten, nur eines schärfte uns meine Mutter ein: Nie davon trinken!

Das Paris meiner Kindheit

Wir lebten im siebten Arrondissement – am linken Seineufer, wo auch der Eiffelturm steht. Meine Eltern haben die Wohnung von jemandem aus der Guerlain-Familie gekauft, einer Dynastie von Parfümeuren. Ich wuchs im selben Zimmer auf wie Jean-Paul Guerlain, eine berühmte „Nase“ der Firma. Das erscheint im Nachhinein wie eine Bestimmung. Meine Mutter ließ in den 70er Jahren mein Zimmer neu gestalten. Ich war neun Jahre alt, durfte mir die Farbe aussuchen und entschied mich für Khaki, das mit einem glänzenden Lack aufgetragen wurde. Die Wand roch wegen des Lacks nach Knete. Toll! Im Wohnzimmer meiner Eltern hing dagegen eine Weihrauchnote. Das war verdünntes „GQ“, ein Duft von Guerlain, den meine Mutter mochte. Aquamarin, Zimt, Lavendel, Vanille und Patchouli, dieser Mix war für mich das Vorbild, wie ein guter Haushalt in Paris zu riechen hat.

Das Haus meiner Großmutter

Meine Oma wohnte in Biarritz am Atlantik. Ihr Haus roch nach Casablanca-Lilien. Wenn ich meine Augen schließe, mir der würzige Geruch in die Nase steigt, sehe ich das Gebäude vor mir. Es hatte eine Galerie an der Fassade, wie ein Wintergarten, der sich entlang der Vorderseite zog. Darin standen lauter exotische Pflanzen, am Ende befand sich ein Kamin, ein großer Spiegel ihm gegenüber und überall riesige Blumenbouquets. Grüne Vasen mit Lilien, die so zerbrechlich aussahen. Die Sonne strahlte seitlich ins Zimmer, wenn meine Großmutter mit ihren Freundinnen am Tisch saß und Bridge spielte. Es gab zwei Sofas, die nur Dekoration waren, wir Kinder durften jedenfalls nie darauf sitzen. Neben dem Kartentisch stand eine mobile Bar mit Getränken für die Erwachsenen, Whiskey, Cognac, aus der wir Kinder manchmal eine Cola stahlen.

Chinatown und die heiße Luft von Manhattan – abstoßend

Die Märkte, der Fisch, die Gewürze: Im Sommer findet Malle die Ausdünstungen von Chinatown unerträglich.
Die Märkte, der Fisch, die Gewürze: Im Sommer findet Malle die Ausdünstungen von Chinatown unerträglich.

© imago/Kraft

Mein Onkel Louis

Die Malle-Brüder standen einander sehr nahe. Sie waren zu viert, drei von ihnen waren kurz hintereinander geboren, mein Vater war der älteste, der jüngste kam 18 Jahre später zur Welt. Dazu noch drei Schwestern, die Malles waren eine ordentliche katholische Familie aus Nordfrankreich. Im Büro von Onkel Louis, der mit „Fahrstuhl zum Schafott“ bekannt wurde, saß auch mein Vater. Er war eigentlich Banker, gründete jedoch eine Filmproduktionsfirma, um seinen Bruder zu unterstützen. Ihr Büro hatten sie an den Champs-Élysées Nummer 92. Die Fenster gingen zum Boulevard hinaus, drinnen graue Wände, große Schreibtische, auf denen sich lauter Stapel mit Drehbüchern, Artikeln und Dokumenten türmten. Das Büro versank im Chaos und hatte den trockenen Geruch von Papier, von alten Büchern und ein wenig von der Zigarre meines Vaters. Nur im Herbst war es manchmal anders. Stieg ich an der Metrostation Franklin Roosevelt aus, um ins Büro meines Vaters zu gehen, wehte der süße Geruch von Kastanien von der Straße hinein und folgte mir hinauf zu den Malle-Brüdern.

New York

Seit elf Jahren lebe ich in New York. Ich rieche die Stadt kaum noch – sie ist wie ein Parfüm, das man jeden Tag aufträgt und nicht mehr bemerkt. Bis auf eine Ausnahme: Im Sommer finde ich die Ausdünstungen von Chinatown unerträglich. Die Märkte, der Fisch, die Gewürze, das Gemüse, gemischt mit der heißen Luft von Manhattan – abstoßend. Im Winter dagegen ist die Luft viel sauberer als an einem Dezembertag in Paris. Der Wind weht die kalte Meeresluft direkt in die Straßen der Stadt. Ich wohne auf der Upper East Side. Wenn ich zum Central Park hinübergehe, erinnere ich mich an die Portiers, die früher die mit Gold und Messing beschlagenen Drehtüren mit Putzmitteln sauber machten, deren stechender Geruch die Nase betäubte. Auch die Frauen auf der Madison Avenue dieselten sich in den 70er Jahren stärker ein. Schwere Parfümwolken von Oscar de la Renta umgaben sie, heute tragen sie nicht so viel auf.

Bloß keine Durchschnittsware! In Duty-Free-Shops kriegt der Parfum-Verleger Kopfschmerzen.
Bloß keine Durchschnittsware! In Duty-Free-Shops kriegt der Parfum-Verleger Kopfschmerzen.

© imago/China Foto Press

In den großen Parfümläden

Ladenketten und Duty-Free-Shops sind für mich die schlimmsten Auswüchse des Parfümeriegeschäfts. Viele billige Düfte verwenden dieselben Komponenten, die Bestseller, das sind etwa 25 Inhaltsstoffe, natürlich unterschiedlich proportioniert. Zum Beispiel „Hedione“, synthetische Jasminriechstoffe, oder „Galaxolide“, künstliche Moschusgerüche. Einzeln duftet jeder gut, nur merke ich davon nichts, wenn ich in ein Geschäft wie Douglas gehe. Ich habe das Gefühl, ich bewege mich durch Nebelschwaden. Verstehen Sie mich nicht falsch, einige der Parfüms wie „Chanel No. 5“ sind tolle Produkte, aber gemischt mit dem neuesten Guerlain und dann noch eine Schicht „Romantique“ obendrauf, da kriege ich Kopfschmerzen. Es ist, als würde man in eine Kakophonie hineinlaufen, als würden in einem Geschäft gleichzeitig Wagner, die Rolling Stones, Mozart, Schubert und Rihanna aus den Boxen plärren. Wunderbar jeder Künstler für sich, fürchterlich alle zusammen. Deshalb habe ich in meinen Parfümerien luftdichte Kabinen eingebaut, in die Kunden sich hineinstellen und wir das Parfüm versprühen. Die Menschen sollen verstehen, wie sich der Geruch mit der Luft und ihrer Haut vermischt. Ich will, dass die Kunden das Parfüm riechen und nicht das Geschäft.

Was ich vermisse: dass die Menschen in Clubs rauchen dürfen

Zigaretten, Schweiß Und Parfüm: Im legendären "Studio 54", wo viele Stars gern feierten, überlagerten sich die Gerüche.
Zigaretten, Schweiß Und Parfüm: Im legendären "Studio 54", wo viele Stars gern feierten, überlagerten sich die Gerüche.

© imago/Unites Archives

Eine gute Nacht

Ich ging Ende der 70er Jahre aufs College in New York und manchmal nachts ins „Studio 54“, bevor es 1981 schließen musste. In den Laden hineinzukommen, war nie ein Problem für mich. Es half vermutlich, dass ich eine gutaussehende Freundin hatte. Der Türsteher kreierte ein demokratisches Ensemble für die Nacht, er wollte Menschen, die interessant aussahen, Geld spielte keine Rolle. Wenn man ihm einmal vorgestellt wurde, erinnerte er sich später an das Gesicht. Für mich glich das einer Offenbarung: als würde sich das Rote Meer vor mir öffnen und ich könnte hindurchgehen. Liza Minnelli und Andy Warhol neben Studenten und armen Künstlern. Es gab keine Mobiltelefone, niemand machte Fotos, die Leute fühlten sich sicher und taten, was immer sie tun wollten. Die Gäste trugen viel weniger Parfüm als in heutigen Clubs. Klassische Zitrusdüfte von Guerlain, Mandarin- und Vanillenoten von Yves Saint-Laurents „Opium“. Was ich aus dieser Zeit vermisse: dass die Menschen in Clubs rauchen dürfen. Damals tat das jeder, Zigarren, Zigaretten, diese Gerüche überlagerten sich mit Parfüms und Schweiß, das ergab ein ganz spezielles Gemisch. Am nächsten Morgen stanken die Hemden zwar fürchterlich, doch in der Nacht zuvor, wenn der Rauch noch warm war, erfüllte diese Mischung die Nacht mit einem tollen Aroma.

Weihnachten

Ich bin in der Beziehung etwas deformiert, weil ich seit Jahren in den USA lebe. Dort herrschen die stereotypen Düfte von Fichtennadeln und Zimt vor. Als ich ein Kind war, roch Weihnachten anders, nach Soufflé und manchmal der knackig-kalten Luft, wenn der erste Schnee sich mit dem Rauch aus den Schornsteinen vermischte. Ich verbrachte viele Feiertage bei meinen Großeltern väterlicherseits, die Malle-Familie hatte ein Anwesen in Nordfrankreich. Das beste Essen, das ich mir erträumen konnte. Eine sehr bürgerliche Küche, meine Großeltern hatten eine ausgezeichnete Köchin. Weißer Fisch, ein Soufflé, ein bisschen Käse, dazu eine Tomatensauce. Ich habe meinen jüngsten Onkel einmal nach dem Rezept gefragt, weil er die Rezeptsammlung meiner Großmutter geerbt hat. Er pfiff nur kurz und sagte: kompliziert. Zu Weihnachten gab es abends Tee und Waffeln aus der Patisserie Méert in Lille. Vanille, viel Butter, dazu ein leichter Mandelgeschmack – es war göttlich! Das Geschäft existiert noch heute, meine Kinder sind inzwischen wie ich süchtig danach.

Parfüms von Frédéric Malle gibt es in Berlin unter anderem im KaDeWe, The Corner am Gendarmenmarkt und MDC Cosmetic.

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