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Antike Wohnungsnot: Mietwucher im alten Rom

Berlin ist attraktiv, Wohnungen werden knapp und teuer. Mit diesem Problem plagten sich die Römer schon vor 2000 Jahren. Da verfügte Cäsar 47 vor Christus eine Mietpreisgrenze. Doch auch der große Feldherr scheiterte auf dem Schlachtfeld der Immobilienspekulanten.

Von Andreas Austilat

Er war gerade 22 und zu Hause ein König. Doch nun saß der junge Ägypter fern der Heimat in einer winzigen Wohnung. Und obwohl der Vorgang sich bereits im Jahr 164 vor Christi Geburt abspielte, fällt es nicht schwer, sich die Misere des Ptolemaios VI. vorzustellen. Wie ein Student von heute hauste der von seinem Bruder vertriebene Pharao „wegen der hohen Mieten in Rom jetzt in einem engen und gänzlich schlechteren oberen Stockwerk“. So notierte es ein antiker Geschichtsschreiber.

Dabei hatte Ptolemaios noch Glück. Er fand Unterkunft bei einem gewissen Demetrios, den er aus seiner Heimat kannte. Demetrios war übrigens erfolgreicher Geograf. Doch Rom war eben nicht irgendeine Stadt, sondern die aufregendste Metropole jener Zeit. Und weder der gestürzte König noch der Gelehrte konnten sich dort etwas Besseres leisten als eine Wohnung im Obergeschoss einer römischen Mietskaserne.

Diese Insulae genannten Mehrgeschosser konnten einen ganzen Block umfassen, in Roms besten Zeiten gab es mehr als 46 000 davon. Schwer zu bestimmen, wie viele Einwohner das antike Rom hatte. Die Wissenschaftler sind sich heute in ihrer Mehrheit jedoch einig, es müssen schon zu Zeiten des Ptolemaios mehrere Hunderttausend, zur Kaiserzeit, also um Christi Geburt, sogar eine Million gewesen sein. Die meisten Römer lebten zur Miete. Den über 40 000 Mietskasernen standen nur 1797 Domus gegenüber, Einfamilienhäuser, die allerdings palastartige Ausmaße erreichen konnten.

Eine Million Menschen sind eine Menge, wenn man bedenkt, dass es in dieser Großstadt weder U- noch S-Bahn gab, noch irgendein anderes vernünftiges Verkehrsmittel. Immerhin wurde nur eine Minderheit gezwungen, nach Rom zu ziehen, Sklaven nämlich, die sich ihren Wohnsitz nicht aussuchen konnten – aber in weit größerer Zahl auf dem Land arbeiteten. Auf Roms Mietwohnungsmarkt spielten sie erst eine Rolle, wenn sie freigelassen wurden.

Die meisten kamen, weil sie es wollten. Weil sie auf einen besseren Job hofften – Rom war die Verwaltungszentrale eines Riesenreichs. Weil sie auf einflussreiche Gönner warteten, wie der gestürzte König Ptolemaios, der sein Reich am Nil gern wiedergehabt hätte und tatsächlich auch als König von Roms Gnaden zurückkehren sollte. Weil sie auf eine anständige Orgie eingeladen werden wollten oder wenigstens ins Theater. Denn, wie der Schriftsteller Decimus Iunius Iuvenalis, genannt Juvenal, in einer seiner Satiren schrieb: In der Provinz mag das Leben zwar beschaulicher sein, dafür gibt es dort auch nur einen Anlass, sich einmal gut zu kleiden. Nämlich bei der eigenen Beerdigung.

Und weil so viele frei nach Juvenal in der Provinz nicht einmal tot überm Zaun hängen wollten, drängte es sie aus allen Ecken des Imperiums, zog es Juden, Daker und Germanen, Iberer, Kappadokier und Äthiopier nach Rom. Schon die antiken Stadtplaner erkannten, dass dies Probleme bereiten würde. Denn wenn jedes Haus nur eine Etage hätte, würde die Stadt zwangsläufig schon im Jahr 100 bis an die Adria reichen, wie ein zeitgenössischer Mathematiker errechnete.

„Bei der gewaltigen Ausdehnung Roms und einer unendlich zahlreichen Bevölkerung musste für die Herstellung unzähliger Wohnungen Sorge getragen werden“, schrieb Marcus Vitruvius Pollio, besser bekannt als Vitruv, vor 2000 Jahren in seinen „Zehn Büchern über Architektur“. Vitruv fuhr fort: „Da nun bei einer solchen Masse von Einwohnern das vorhandene Bauterrain den Wohnzwecken nicht mehr genügen konnte, so zwang die Not, die Errichtung mehrstöckiger Bauten einzuführen“.

Vordergründig war Vitruv sehr angetan vom römischen Immobilienmarkt. Er behauptete, dass die Einwohnerschaft in ihren Mietskasernen „zweckmäßige Wohnverhältnisse“ vorfand. Doch er schrieb auch, dass „sehr reichliche Einkünfte“ mit mehrfach abgeteilten oberen Dachwohnungen zu erzielen seien.

Das ist nicht der einzige Hinweis, der verrät: Die Römer haben vor über 2000 Jahren nicht nur den Mietwohnungsbau im großen Stil erfunden, sie haben daraus auch ein Geschäft gemacht.

Die Szenemetropole am Tiber litt unter den Folgen galoppierender Immobilienspekulation. Denn wenn sich schon Könige in Dachkammern stecken lassen, ist klar: Das ist ein Markt, der verspricht Profit. Sehr viel Profit sogar, 30 Mal so viel wie die Viehzucht, rechnet der antike Schriftsteller Marcus Valerius Martialis, genannt Martial, an einem Beispiel vor.

Der erste berühmte Miethai, der aktenkundig wurden, ist Marcus Licinius Crassus. Ein Mann, dessen Beinamen so viel wie „fett“ bedeutet, auf den heute noch das Wörtchen „krass“ zurückgeht. Crassus war es, der mit seinem Heer den von Spartacus geführten Sklavenaufstand blutig beendete: Die gefangenen Sklaven wurden entlang der Via Appia an Kreuze genagelt. Extrem war auch der Reichtum des Crassus. Dabei soll er zu Beginn seiner Karriere nur ein überschaubares Vermögen von 8400 Sesterzen besessen haben. Er machte 200 Millionen daraus. Zum Vergleich: Ein antiker römischer Arbeiter verdiente 1000 Sesterzen im Jahr. Für 200 Millionen hätte er demnach 200 000 Jahre arbeiten müssen.

Geschäfte machen, während das Haus noch brannte

Crassus schaffte das sehr viel schneller. Er kaufte eingestürzte oder niedergebrannte Häuser und errichtete auf den Grundstücken neue Mietskasernen. Seine Spezialität war es, ein Angebot zu unterbreiten, während das Haus noch brannte. Weil er nämlich schnell merkte, dass sich mit geschockten Eigentümern besser verhandeln ließ. Vor allem, weil Rom zu seiner Zeit noch keine öffentliche Feuerwehr hatte: Die führte erst Augustus um 23 vor Christus ein, also rund 50 Jahre später. Zu Crassus Zeiten hörte die einzige verfügbare Feuerwehr praktischerweise auf sein eigenes Kommando.

Es brannte häufig in Rom. Die obersten Etagen bestanden oft nur aus Holz, geheizt und beleuchtet wurde mit offenem Feuer, lediglich Erdgeschosse waren an die Wasserversorgung angeschlossen. Auch als Augustus endlich eine Feuerwehr aufstellte, verfügte die zwar über Spritzenwagen, nur der Schlauch war noch nicht erfunden. Weshalb jeder Mieter verpflichtet war, ein paar Krüge Wasser in seiner Wohnung vorzuhalten.

Bei manchen dieser Brände ging es wohl nicht mit rechten Dingen zu, vermuteten schon die Zeitgenossen. Martial, der selbst lang in einer Etagenwohnung im dritten Stock wohnte, nannte sogar Namen. Er bezichtigte einen gewissen Tongilianus des Versicherungsbetrugs: „Du hast 200 000 Sesterzen für dein Haus bezahlt. Ein Unfall, nur zu üblich in dieser Stadt, hat es zerstört. Du hast eine Million Sesterzen kassiert. Nun frage ich dich, scheint es nicht möglich, dass du selbst Feuer gelegt hast?“

Ebenso häufig stürzten Häuser ein. Und das, obwohl die Römer über exzellenten Zement verfügten und solide bauen konnten. Das Pantheon, 1700 Jahre lang größtes Kuppelgebäude der Welt, steht noch heute. Vitruv zählt in seinem Architekturwerk die häufigsten Fehler auf: zu gering dimensionierte Grundmauern, falsches Holz, falsches Gestein, Ziegel, die nicht lange genug ausgehärtet wurden, Zement, dem mangelhafter Kalk zugesetzt worden war. Das alles geschah nicht aus Unkenntnis, sondern um Geld zu sparen. Crassus übrigens, der zum größten Vermieter Roms aufstieg, ließ sich von seinen eigenen Handwerkern für sich selbst kein Haus bauen.

Roms Stadtbild wurde in weiten Teilen durch die Mietskaserne geprägt. Natürlich gab es bessere und schlechtere Gegenden. Auf dem Palatin zum Beispiel, dem ältesten Viertel der Stadt, standen deutlich mehr Paläste und offenbar auch teurere Mietshäuser. Einem Klienten Ciceros, des berühmtesten Anwalts seiner Zeit, wurde vorgeworfen, er würde 30 000 Sesterzen im Jahr für Miete aufwenden. Cicero behauptete in seiner Verteidigung, es wären nur 10 000, aber das war immer noch deutlich über dem ohnehin schon teuren Schnitt. Rom war im Prinzip sozial stark durchmischt, reich lebte neben arm, oft sogar im selben Haus. Wer es sich leisten konnte, zog allerdings ins Erdgeschoss, um keine Treppen steigen zu müssen und sich im Brandfall schneller in Sicherheit bringen zu können. Je weiter es nach oben ging, desto billiger wurde es. Lucius Cornelius Sulla, erfolgreicher Politiker und Feldherr, zahlte in seinen jungen Jahren 3000 Sesterzen Jahresmiete, der Mieter in der Wohnung über ihm zahlte 1000 weniger.

2000 Sesterzen Jahresmiete, das Doppelte eines Jahreslohns für Arbeiter, das scheint die Summe zu sein, unterhalb derer man in Rom schwer eine Wohnung fand, die dabei in der Regel nur ein oder zwei Zimmer hatte. Wobei der Preis noch durch Spekulation in die Höhe getrieben wurde. Die Digesten, eine altrömische Rechtssammlung, zitieren Fälle, in denen Subunternehmer vom Eigentümer mehrere Wohnungen pachteten und gegen Aufschlag weitervermieteten.

Warum sich Wohngemeinschaften bildeten

Der Standard war erbärmlich, Fensterglas hatten nur die ganz Reichen, einen Ofen gab es ebenso wenig wie eine Küche, die Ärmeren waren auf das Angebot der Garküchen angewiesen. Solche antiken Schnellimbisse gab es an jeder Ecke. Als Toilette diente ein Topf, der in der Latrine im Erdgeschoss zu entleeren war. Oder er wurde zusammen mit dem Müll aus dem Fenster geworfen, was für Passanten ziemlich gefährlich werden konnte. Immerhin hatte eine römische Mietskaserne vier oder fünf Etagen.

So warnt der Satiriker Juvenal seine Leser denn auch, „wie hoch die Häuser sind, von denen irdenes Geschirr die Hirnschale trifft“. Natürlich neigte Juvenal zur Übertreibung. Doch den wahren Kern bestätigen die Digesten. Ein römischer Jurist des zweiten Jahrhunderts schrieb: „Wenn die Wohnung unter mehrere Benutzer aufgeteilt ist, wird nur derjenige zur Rechenschaft gezogen, aus dessen Wohnungsteil die Flüssigkeit herabgeschüttet wurde.“ Der Satz belegt zugleich, dass sich Wohngemeinschaften bildeten, um die Miete überhaupt aufbringen zu können.

Die Gerichte des Imperiums hatten mit dem Wohnungsmarkt gut zu tun. Und die Fälle muten mitunter modern an. Etwa jener, in dem ein Hausherr seinem Nachbarn die Fenster zumauerte, so etwas passiert auch im Berlin unserer Tage. Oder der jenes Bauherrn, der in Wohnungen Bäder einbauen ließ, die unmittelbar an die Wand des Nachbarhauses stießen und dieses wegen unsachgemäßer Konstruktion beschädigten. Das klingt nebenbei nach einem Fall von Luxussanierung. Die gab es, zumindest außerhalb Roms ist sie verbürgt. So verdiente ein Sergius Orata sehr viel Geld damit, dass er Villen in der Umgebung von Baiae am Golf von Neapel, dem mit Abstand schicksten Ferienort des Imperiums, aufkaufte und sanierte. Orata ließ Fußboden- und Wandheizungen einbauen, bei denen Heißluft durch hohle Ziegel zirkulierte.

Indizien für eine Gentrifizierung fand man in Pompeji und Herculaneum, den beiden Städten, die beim Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 verschüttet wurden. Archäologen entdeckten dort Inserate für Mietwohnungen, die eindeutig auf eine bessere, solvente Klientel zielten. Aufwendige Wandmalereien und Latrinen selbst in Obergeschossen waren jedenfalls kein Angebot für arme Schlucker. Es gab aber auch den umgekehrten Fall, etwa der nachträglichen Abtrennung kleinerer Wohneinheiten von einem ursprünglich großzügigen Atriumhaus.

Ob sich solche Fälle auf Rom selbst übertragen lassen, ist unsicher. Allgemeingültig scheint ein in Herculaneum aufgefundener Senatsbeschluss zu sein, der das Thema Abriss aus Profitgier aufgreift. Offenbar war man gewillt, solche Machenschaften zu verhindern, tat sich aber schwer mit der Umsetzung.

Überhaupt stand der römische Mieter seinem Hausbesitzer vergleichsweise hilflos gegenüber. Es gab keinen öffentlichen Wohnungsbau, der Druck auf die Höhe der Mieten hätte ausüben können. Die Gesetzgebung nahm den Mieter, wenn überhaupt, nur ungenügend in Schutz. Was es gab, war der hilflos anmutende Versuch Cäsars, dem Mietwucher Einhalt zu gebieten. Auf seine Anordnung hin waren 47/48 vor Christus alle Mieten in Rom für ein Jahr bis zu einer Höhe von 2000 Sesterzen zu erlassen. Im Umland waren es bis zu 500 Sesterzen – woran man das Mietgefälle zwischen Metropole und Provinz abschätzen kann.

Selbstverständlich empörte die Verordnung die Vermieter. Cicero, der in großem Stil in Mietwohnungen investiert hatte, schäumte: „Die Leute sollen ohne Entgelt in fremdem Eigentum wohnen. Was soll das?“ Ebenso natürlich sammelte der um die Macht im Staat kämpfende Cäsar mit seinem Dekret Punkte bei der plebs urbana, der armen Stadtbevölkerung. Aber nach einem Jahr war alles wie zuvor. Und noch ein bisschen später starb Cäsar unter den Dolchen der Verschwörer aus den Reihen des Senats. Cicero wiederum überlebte den anschließenden Bürgerkrieg nicht. Er wurde auf der Flucht ermordet, sein Leichnam durch die Straßen Roms geschleift. Übrigens erlitt auch der eingangs erwähnte Mietwohnungskönig Crassus einen grausamen Tod. Reich geworden, ging er in die Politik, stellte noch einmal ein Heer auf und fiel nach einer verheerenden Niederlage gegen die Parther auf dem Gebiet der heutigen Türkei seinen Feinden in die Hände, sie schlugen ihm den Kopf ab.

Augustus, erster Kaiser des Imperiums und Nachfolger Cäsars, nahm sich des Themas Wohnungsbau an. Nicht nur, indem er die Feuerwehr gründete, er wollte auch die Gefahr durch einstürzende Neubauten eindämmen. Augustus führte eine Art Traufhöhe ein, höher als 27 Meter durfte nicht mehr gebaut werden. Den Wohnungsmarkt entlastete er nicht.

Den Römern blieb nur, über die Habgier gleichgültiger Bauherren zu klagen, wie Seneca, der schimpfte: „Was gibt es denn, was der Reichtum nicht korrumpiert?“ Oder sie konnten der Stadt den Rücken kehren, denn, so Juvenal: „Wenn du dich von den Zirkusspielen losreißen kannst, kannst du dir in Sora oder in Fabrateria oder in Frusino das schönste Haus kaufen für das Geld, das du jetzt pro Jahr Miete zahlst für ein finsteres Loch.“

Einer folgte seinem Rat: Martial, der irgendwann genug hatte von seiner extrem lauten Wohnung im dritten Stock an der Straße zum Birnbaum irgendwo oberhalb der heutigen Fontana di Trevi. Er zog sich „vom Ekel erschöpft“, so oft es ihm möglich war in sein Landhaus zurück. Schließlich verließ er Rom ganz und ging zurück in seine spanische Heimat, einen Ort unweit des heutigen Saragossa.

In Rom blieb die Wohnungsfrage angespannt, weil die Stadt lange nicht an Attraktivität verlor. Erst als die Germanen kamen, alles kurz und klein schlugen und den Untergang des Imperiums besiegelten, änderte sich das, weil die Bevölkerung das Weite suchte. Im Jahre 530, knapp 60 Jahre nach dem offiziellen Ende des Weströmischen Reiches, hatte Rom nur noch 100 000 Einwohner. Wieder 700 Jahre später beherbergte die Stadt gerade mal 20 000 Bürger. Die hatten nun zumindest kein Platzproblem mehr.

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