zum Hauptinhalt
Foto: Boris Zerwan

© Boris Zerwan

Das Buch zur Gartenkolumne: Bin im Garten

Seit Jahren schreibt unser Kolumnist über seinen Kampf mit Heckenschere, Kettensäge und Giersch - nun erscheint die volle Wahrheit als Buch. Ein Auszug.

Von Andreas Austilat

Ich hatte keine Ahnung. Gut, ich bin in einem Garten aufgewachsen, einem sehr großen sogar, 2000 Quadratmeter, heute stehen auf dem Grundstück drei Häuser. Aber es war nicht unser Garten, wir wohnten dort nur zur Miete. Was ich wahrscheinlich nicht einmal wusste. Und falls ich es gewusst haben sollte, hat es mich nicht interessiert. Wenn man acht, neun oder zehn Jahre alt ist, hat man ein anderes Verhältnis zu Fragen des Eigentums. Ich durfte in diesem Garten spielen, und damit war es meiner.

Ich habe nie jemanden in diesem Garten irgendetwas arbeiten sehen. Außer mir selbst. Ab und zu habe ich für Frau Ulrich den Rasen gemäht. Frau Ulrich, das war unsere Vermieterin. Sie hatte die Wohnung im Erdgeschoss, wir wohnten eine Treppe höher, und ganz oben wohnte Lilli, ihre Tochter. Lilli hat auch nie in diesem Garten gearbeitet, und Frau Ulrich war ziemlich alt. Das heißt, es kann gut sein, dass sie noch gar nicht so alt war. Ein Zehnjähriger ist kein besonders zuverlässiger Zeuge, wenn es darum geht, das Alter eines Erwachsenen zu schätzen. Für den sind alle Erwachsenen alt, selbst die, die sich noch für vergleichsweise jung halten. Aber in meinen Augen war sie viel zu alt, um zum Beispiel den Rasen zu mähen. Das fanden übrigens alle, weshalb mir diese Aufgabe automatisch zufiel. Mit einem Spindelmäher, also ganz ohne Motor, war das eine ziemliche Schinderei. Wir hatten dort einen Süßkirschbaum, zwei Sauerkirschen, diverse Birnen, Äpfel und Pflaumen, einen Walnussbaum, einen Haselnussstrauch, einen Pfirsichbaum, mindestens zwei verschiedene Sorten Stachelbeeren und Johannisbeeren. Dieser Garten hatte etwas vom – ja, Paradies. Denn wie gesagt: In diesem Garten hat nicht einmal jemand gearbeitet. Heute gibt es ganze Bibliotheken allein über Obstbaumschnitt.

Wir hatten immer Äpfel. Wir hatten dermaßen viele Äpfel, dass es einen grauste. Vor allem mich. Ich hätte auch gern mal eine Fanta getrunken, von Cola gar nicht zu reden. Meine Mutter aber war der Meinung, dass es nichts Besseres für mich geben würde als selbst gepresste Äpfel. Darunter viele saure Äpfel übrigens. Wenn man mich fragt, was das Geräusch meiner Jugend war, dann dieses durchdringende, unbarmherzige Kreischen, das der Entsafter machte, während er die Äpfel zerquetschte. Unten kam ein sehr saurer, ziemlich trüber Extrakt heraus, der erstens nichts kostete und zweitens unfassbar gesund sein sollte, ja, es bestimmt sogar war. Und für immer und alle Zeiten war Garten für mich mit Obst verbunden. Wie gesagt, ich hatte ja keine Ahnung.

Die Gartenkolumne im Film: Sommer, dunkle Wolken über der Wisteria

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Und dann hatten wir plötzlich selbst einen Garten, meine Frau und ich. Ich habe nicht danach gesucht, aber mit den Kindern, fanden wir, passt das gut zusammen. Um ehrlich zu sein, er ist ungleich kleiner als der Garten meiner Kindheit: ein Reihenhausgarten, lang, aber schmal, keine 300 Quadratmeter groß. Ich glaube, dass einige unserer Freunde uns insgeheim für ziemlich spießig hielten, nachdem wir unsere große Altbauwohnung mit diesem kleinen Reihenhaus getauscht hatten. Zum Glück hatten wir damals den Hund noch nicht, es hätte sie in ihrem Verdacht bestärkt, möglicherweise wäre es einsamer um uns geworden. Allerdings nur im Winter. Im Sommer kommen sie nämlich ganz gern und sitzen bei uns auf der Terrasse. Es gibt nichts Schöneres, als auf der Terrasse zu sitzen, den Duft geschnittenen Rasens in der Nase, den taumelnden Flug des Schmetterlings vor Augen – außer vielleicht, auf dem Rasen selbst zu liegen. So ein Garten steckt voller Geheimnisse. Viele davon werden mir auf ewig ein Rätsel bleiben. Warum zum Beispiel ist unser Tränendes Herz in einem Jahr eine Augenweide, um die uns meine Schwiegermutter beneidet, im anderen dagegen mickert es vor sich hin? Und wann wird unser Flieder wieder blühen? Sonst kommt er nämlich weg, ich hätte sowieso viel lieber Johannisbeeren. Der Garten, das ist die reale Welt, mit echten Ameisen, echtem Blütenduft, echtem Sommerwind. Das unterscheidet ihn so wohltuend von der virtuellen, die kann ich an meinem Computerarbeitsplatz jeden Tag haben.

Die Gartenkolumne im Film: Wie viel Dekoration verträgt der Garten

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Ich fand unsere Neuerwerbung großartig, war gewillt, diesen Garten Schritt für Schritt in das verlorene Paradies meiner Kindheit zu verwandeln. Ich würde einen Baum pflanzen. Ich weiß noch genau, wie ich gleich am Anfang ein kleines Loch gegraben habe. Einfach so, weil es ja jetzt meine eigene Erde war, weil es mir keiner verbieten konnte. Das muss irgendetwas Archaisches sein. Allerdings war es zunächst nicht allein unser Garten. Weil unsere Vorgängerin einiges darin hinterlassen hatte. Und weil sich geheimnisvolle Kräfte seiner bemächtigten, während wir uns erst einmal um das Haus kümmern mussten. Zum Beispiel dieses Farnfeld hinten links. Wer hatte das eigentlich angelegt? Wir fanden es eine Weile lang recht dekorativ. Bis uns ein befreundeter Gärtner von den berühmten schottischen Farnwäldern erzählte, die sich ausbreiten wie verrückt, dabei alles andere überwuchern.

Dieser Garten war vom Winde gesät

Foto: Boris Zerwan
Foto: Boris Zerwan

© Boris Zerwan

Der Farn ist im Prinzip ein lebendes Fossil und schon seit 350 Millionen Jahren auf der Welt. Damals brummten zwischen 40 Meter hohen Farnwedeln gewaltige Libellen, tummelten sich Riesenspinnen. An Menschen war noch gar nicht zu denken. Meine Frau mag keine Spinnen. Wenn sie eine sieht, ruft sie mich, eine der wenigen Aufgaben, bei der es bei uns kein Kompetenzgerangel gibt. Kurz, der Farn hat eine echte Erfolgsgeschichte hinter sich. In vielen Internetforen wird behauptet, es sei gar nicht leicht, Farn zu vermehren. Unserer hat das prima von allein hingekriegt. Inzwischen weiß ich, Farne haben Sporen an der Unterseite ihrer Wedel, die bei Trockenheit aufreißen, und dann gehen die Sporen auf die Reise, um in der Nachbarschaft viele neue kleine Farne wachsen zu lassen. Dazu brauchen die uns gar nicht. Wie der Löwenzahn. Als Kind mochte ich den, vor allem als leuchtend gelbe Butterblume. Und war er verblüht, hatte ich ihn als Pusteblume noch lieber, weil es mir großen Spaß gemacht hat, die Stängel auszurupfen und dem Samen beim Verbreiten zu helfen. Wäre nicht nötig gewesen, das schafft der Wind ohne Hilfe. Und wenn man nicht aufpasst, verbreitet sich der Löwenzahn im Rasen flächendeckend. Man kann also sagen: Dieser Garten war vom Winde gesät. Und langsam dämmerte uns: Wenn wir wollten, dass er unser würde, müssten wir etwas unternehmen. Meine Frau hat eine etwas andere Beziehung zu unserem Garten. Obst war ihr lange Zeit nicht allzu wichtig. Ich glaube, sie denkt, es sei sowieso mehr ihr Garten. Weil sie auch erheblich mehr Zeit darin verbringt. Ich lasse sie in diesem Glauben. Immerhin ist es ihr Verdienst, wenn ich inzwischen ein bisschen mehr Ahnung habe von den Dingen, die da draußen vor sich gehen.

Die Kolumne im Film: Vor- und Nachteile einer Gartenparty

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Meine Frau ist in einer Mietwohnung groß geworden. Aber ihre Eltern haben eine Laube, ein Kleingartengrundstück, das seit 1923 im Besitz der Familie ist. Man sieht ihr das Alter auch an, sie ist die einzige, die ein spitzes Türmchen hat, sozusagen die Ritterburg unter den Lauben.

Meine Frau kennt die Laube ihrer Eltern von klein auf. Im Sommer traf sich ihre gesamte Familie dort beinahe jeden Sonntag. Wenn sie von dem Garten ihrer Eltern sprach, war interessanterweise immer nur von Oma und Opa, den Cousinen, Tante Toni und Onkel Rudolf die Rede. Aber nie davon, dass jemand die Hecke beschneiden musste oder die Tomaten bewässern, es hat sich niemand Gedanken machen müssen über irgendwelche eigenartigen Flecken auf den Rosen oder warum der Apfelbaum eigentlich keine Äpfel trägt. Lieber haben sie davon erzählt, dass zum Sommerende in der Laubenkolonie großer Schwoof war, mit Bratwurst und Tanzmusik, und da kamen noch mal alle, bevor sie sich erst wieder zu Weihnachten sehen würden. Garten, das war bei ihr also eher eine Art Familienangelegenheit. Und es war nicht so, dass sie tief in sich verborgen eine Gärtnerin des Herzens wäre. Obwohl meine Frau einen Onkel in England hat und einen Cousin dazu. Den Briten sagt man ja eine besondere Affinität nicht nur zum Rasen nach. Für mich war also nicht erkennbar, dass meine Frau gern einmal einen Garten hätte und sie, wenn er ihr auf irgendeinem, im Nachhinein schwer erklärlichen Wege zufiele, eine Menge Zeit, Geld und Liebe in diesen Garten investieren würde.

Die Kolumne im Film: Herbst, Rückblick auf die Erntesaison

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Eigenartigerweise ist genau dieser Fall eingetreten. Ich weiß nicht mehr ganz genau, wann meine Frau den Garten zu ihrer Herzenssache erklärt hat. Es kann sein, dass es mit dem Fällen der Kiefer zusammenhing. Plötzlich war da ein Loch, das es zu füllen galt. Weitere Löcher sollten folgen, und sie hat sie alle gefüllt. Meine Frau fing an, Fachzeitschriften zu lesen, sich eine Gartenbibliothek anzulegen. Sie hat Pflastern gelernt, treibt sich ständig in Fachmärkten herum, und manchmal sitzt sie auf dem Sofa und entwirft Projekte für den Garten, der doch gar nicht so groß ist. Dann macht sie mir direkt Angst.

Der Text ist ein Auszug aus Andreas Austilats Buch "Vom Winde gesät. Meine Frau, unser garten und ich", das am 18. Mai erscheint. (Goldmann Verlag, 224 Seiten, 8,99 Euro)

Foto: Goldmann
Andreas Austilat: Vom Winde gesät. Meine Frau, unser Garten und ich. Erscheint im Goldmann Verlag, 224 Seiten, 8,99 Euro

© Goldmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false