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Wolken sind ein permanenter Tanz zwischen Erscheinen und Verschwinden.

© picture alliance/dpa

Cloudspotting: Vom unterschätzten Blick zum Himmel

Alle schimpfen auf die Wolken. Wir nicht. Denn Cirrus oder Cumulus bringen nicht bloß Regen. Sie können glücklich machen und meditativ wirken.

Der Lobbyist

Ich muss fünf oder sechs gewesen sein, als ich das erste Mal bewusst eine Wolke sah. Auf dem Weg zur Schule hing eine große vor der Sonne, deren Strahlen herausleuchteten. Ich habe mich gefragt, woraus dieses Wesen wohl gemacht ist, wie viel es wiegt, es wirkte so solide, aber schwebte doch, ohne zu Boden zu fallen. Als Erwachsene werden die meisten von uns blind gegenüber dieser Schönheit der Natur. Viele schimpfen nur über Wolken. Dabei wäre der Himmel langweilig ohne sie, die Abwechslung würde fehlen, das Drama. Deswegen habe ich, halb im Scherz, 2005 die „Cloud Appreciation Society“ gegründet, eine Gesellschaft zur Wertschätzung der Wolken. Inzwischen haben wir 44 000 Mitglieder aus der ganzen Welt. Die Society ist wie ein kleiner Klaps auf die Schulter, um die Leute an diese Kostbarkeit zu erinnern: Guckt hoch!

Es gibt zwei Arten, in den Himmel zu schauen. Die eine ist eher analytisch, rational, da geht es darum, um was für Typen es sich handelt, Cumulus, Cirrus und so weiter, und was bedeutet das; der Himmel als Wettervorherschau. Die andere ist eher impressionistisch. Was für Gefühle löst der Himmel aus und warum? Uns sind beide Perspektiven wichtig. Denn wo Kunst und Wissenschaft sich treffen, beginnt das Wunder.

Wolken sind ein permanenter Tanz zwischen Erscheinen und Verschwinden. Deswegen eignen sie sich so gut als Metaphern für Gedanken und Gefühle. Romantische Lyriker wie Shelley, Byron oder Coleridge haben davon reichlich Gebrauch gemacht. Das ist das Reizvolle an Wolken, dass man sie nicht kaufen, nicht fangen, nicht in die Vitrine stellen kann. Damit spielt der Titel von einem meiner Bücher, „The Cloud Collector’s Handbook“, weil man sie ja gerade nicht sammeln kann. Für mich ist eine Wolkensammlung die Erinnerung an das, was ich am Himmel gesehen habe.

Jeder kann ein Cloudspotter sein

Viele unserer Mitglieder sammeln die Formationen, indem sie sie fotografieren. Ich mache das selten. Weil sich der Akt des Einfangens zwischen mich und das, was ich mir anschaue, schiebt. Man holt die Kamera raus, dann stimmt das Licht nicht, die Perspektive ist falsch – und schon ist die Wolke weg, der Moment ist vergangen.

Gezielt irgendwohin zu gehen, um besonders spannende Formationen zu beobachten, ist riskant. Der Himmel lässt sich nicht lenken. Entweder hängt er voller Altostratus, auch bekannt als langweilige Wolken, grau und ohne Variationen. Oder er ist einfach strahlend blau.

Als Cloudspotter braucht man kein besonderes Wissen oder Können. Es ist eine Haltung: Was immer man gerade tut, für einen Augenblick sein zu lassen, wenn man was Spannendes am Himmel entdeckt. Natürlich ist das, was passiert, trivial, im Vergleich mit dem, was man erledigen muss. Ein flüchtiges Nichts. Aber davon Notiz zu nehmen, bereit zu sein, eine Minute innezuhalten, hat was sehr Tiefes.

In die Wolken zu gucken ist außerordentlich gesund – für Körper, Geist und Kreativität. Wenn es einem nicht gut geht, guckt man immer nach unten. Schaut man hoch, öffnet sich der Brustkorb automatisch, man ändert seine Perspektive. Und man entschleunigt. Ein Moment der Meditation, ohne meditieren zu müssen. Man ist einfach in der Gegenwart, beschäftigt sich mit der Umgebung. Auch ein guter Kontrast zur Kultur der Geräte, in der wir leben. Wenn man nur irgendwohin schaut, ist das Hirn auf andere Weise aktiv als wenn man etwas tut. Wir verbinden Ideen miteinander, sortieren sie neu.

Der Himmel ist das letzte Stück Wildnis in der Stadt

In unserer digitalen Kultur gibt es so viel Ablenkung und so wenige Momente, wo wir nur gucken und denken. Das ist einer der wichtigen Aspekte des Cloudspottings: die Legitimation, nichts zu tun. Man schaut einfach die Formationen an, die keinen Anfang, kein Ende und kein Narrativ haben.

Man muss nicht wie ich auf dem Land leben, um den Himmel genießen zu können. Für Großstädter ist es sogar noch wichtiger. Alles um sie herum ist von Menschen arrangiert und kontrolliert und zugebaut. Der Himmel ist das letzte Stück Wildnis in der Stadt.

Gavin Pretor-Pinney, 50, Autor und Philosoph, hat Bücher über Wolken und Wellen geschrieben. Auf Anregung der „Cloud Appreciation Society“ nahm die World Meteorological Organisation (WMO) 2017 ein neues Exemplar in den Wolkenatlas auf: die dunkle, stürmische Asperitas.

Der Erklärer und die Wetterfühlige

Das Schwierige ist, die Wolke überhaupt zu definieren.
Das Schwierige ist, die Wolke überhaupt zu definieren.

© imago/Christian Ohde

Der Erklärer

Ohne Wolken gäbe es keinen Regen und damit kein Leben an Land. Selbst für Forscher sind sie noch immer ein Geheimnis – eine der größten Unsicherheiten in Fragen der Klimaerwärmung. Man weiß zwar ungefähr, wie viele an welcher Stelle auftreten, aber nicht, wie die Meeresoberflächentemperatur mit der Höhe der Wolken zusammenhängt, wieviel Wasser sich in diesen befindet und welche Rolle Staub dabei spielt. Ohne den können sich nämlich keine Wolken bilden. In jedem einzelnen Regentropfen muss ein kleines Schwebeteilchen stecken. Gäbe es diese sogenannten Aerosole nicht, würden die Wassermoleküle sofort wieder auseinandergerissen; an ein Salzkörnchen, ein Saharastaubpartikel oder einen Pollen dagegen können sie sich heften und so Tröpfchen bilden.

Das Schwierige ist, die Wolke überhaupt zu definieren. Sie hat ja keine harte Kante, der Rand ist ein fließender Übergang von 30 bis 50 Metern. Von der Erde aus sieht das Ganze wie eine schöne Struktur aus, aber wenn man durchfliegt, macht es kurz pfft, es ist weiß – und schon ist es wieder vorbei.

Was man dabei allerdings merkt, sind die Aufwinde. Wolken gibt’s immer dort, wo Luft aufsteigt. Bei Hochdruck, wenn diese nach unten sinkt, lösen sie sich auf. Sie können ein Klima sowohl abkühlen als auch aufwärmen. Denn Wolken reflektieren einen Teil des Sonnenlichts zurück ins Weltall und kühlen den Planeten. In der Nacht halten sie einen großen Teil der thermischen Abstrahlung ins All zurück und wirken so als wärmende Decke. Wie Wolken sich verhalten, wenn die Meere heißer werden, ist überhaupt noch nicht verstanden. Deswegen sind sie auch für die Forschung im Moment so spannend.

Florian Ewald, 32 Jahre, erforscht als Atmosphärenphysiker am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) in Oberpfaffenhofen Wolken und ihr Wirken auf unser Klima.

Die Wetterfühlige

„Wandeln“ heißt die Installation, die ich für die Augsburger Moritzkirche geschaffen habe. Ein Teil zeigt das Verschwimmen von Gewitterwolken mit Gischt vom Meer. Die Fotografie ist 3,50 Meter auf 2,50, in einer Höhe von fünf Metern überm Boden befestigt – Dimensionen, die man selbst im Museum so nicht hat. Je nachdem, wie das Licht darauf fällt, verändert das leicht silbrige Material den Kontrast. Man weiß nicht genau, wo die Wolke beginnt, wo das Wasser endet, das eine große physische Kraft hat, ganz nah kommt. Das ist nicht die Wolke wie man sie aus der Kunstgeschichte und den Kirchen kennt.

Die Arbeit ist auf der Insel Innisheer vor der irischen Westküste entstanden, wo ich ein Stipendium hatte. Ein Ort mit so einer Naturgewalt! Und man selbst mittendrin. Mich haben die Wolken gelockt. Ich wollte sie mal nicht nur aus sicherem Abstand, auf der Wiese liegend, beobachten, sondern selber reingehen, mich einer gewissen Orientierungslosigkeit aussetzen. Den ständigen Wetterwechsel habe ich sehr genossen. Das Atelier hatte ein Riesenfenster Richtung Himmel und Meer. Ich konnte dort den ganzen Tag sitzen und nur durchs Fenster schauen: Wie sich das Licht verändert, wie die Wolken sich ins Bild schieben. Es war unglaublich. Auch, dass man sich über einen so langen Zeitraum erlaubt, etwas zu tun, was keinen direkten Nutzen hat. Das ist ja das Wesen der Kunst.

Was ich auf der Insel gesucht habe, möchte ich mit meiner künstlerischen Arbeit auch beim Zuschauer auslösen: etwas nicht aus einer Distanz zu betrachten, wie ein Wandgemälde, sondern involviert.

Wolken zu fotografieren, ist schwierig, weil das ganz schnell ins Beliebige abrutschen kann. Ich bin kein Landschaftsfotograf, der einen Ort festhalten will. Mich interessiert die Stimmungslage. Ich möchte nicht, dass man sich bei den Bildern überlegt, wo sie aufgenommen wurden. Ich stelle eine Welt zur Verfügung, in die der Betrachter eintreten kann, einen Erlebnisraum parallel zur Wirklichkeit.

Karen Irmer, 44, ist Mitglied Nr. 29 940 der „Cloud Appreciation Society“. Die Installation der Künstlerin ist bis zum 4. November in der Augsburger Moritzkirche zu sehen.

Der Tröpchen-Experte

Forscher überlegen, wie man Winterwolken manipulieren kann, damit sie auf der richtigen Seite des Berges abschneien.
Forscher überlegen, wie man Winterwolken manipulieren kann, damit sie auf der richtigen Seite des Berges abschneien.

© imago/Aurora Photos

Der Tröpchen-Experte

Wir produzieren Wolken: in unserer Kammer „AIDA“ am Karlsruher Institut für Meteorologie und Klimaforschung. Dort simulieren wir aufsteigende Luftpakete in der Atmosphäre. Die „AIDA“ ist ein 84 Kubikmeter großer Aluminiumbehälter, der in einem Riesengefrierschrank steht, in dem wir Temperaturen zwischen plus 20 und minus 90 Grad erzeugen können. Mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten senken wir den Behälterdruck ab, so können wir verfolgen, wann sich Wolken bilden, und wann in welchen Aerosolpartikeln – Feinstaub und so weiter –, wie viel Eis entsteht. Denn das startet häufig die Niederschlagsbildung.

Wolkentröpfchen bleiben bis minus 35 Grad flüssig; nur sehr wenige gefrieren und bilden Eiskristalle. Hagel schmilzt in den meisten Fällen unterhalb der Wolke und kommt unten als Regen an. Nur in extremen Fällen landen Körner und verursachen Schäden. Man muss die Prozesse der Eisbildung genauer kennen, um Hagel in Zukunft besser vorhersagen zu können.

Seit einiger Zeit wird über Wettermanipulation diskutiert. Manche Kollegen meinen, man könne Partikel in die Luft bringen, die Eiskristalle oder Eiswolken auf anderem Wege bilden. Die Idee dahinter: Die Idee dahinter: Cirren, die wie Treibhausgase wirken, so auszudünnen, dass sie weniger Hitze zum Erdboden zurückstrahlen und die Erderwärmung dadurch verringert wird. Aber das ist sehr umstritten, weil man nicht weiß, was die Partikel sonst noch so alles anrichten. Die müssen ja irgendwann wieder runterkommen und beeinflussen dann auch die tieferen Wolken. Da sind noch viele Fragen offen.

Wie kann man Wolken manipulieren?

Auf der ganzen Welt gibt es fünf, sechs Kammern wie unsere. In Japan forschen sie damit stark an der Niederschlagsbeeinflussung. Sie impfen Wolken, um die Frischwasserversorgung für den Sommer zu gewährleisten. Wie kann man Winterwolken so manipulieren, dass sie auf der richtigen Seite des Berges abschneien und die Reservoire aufgefüllt werden? In China wird gerade ein „weather modification office“ nach dem anderen gegründet, dafür gibt’s viel Geld. Dort ist man unter anderem daran interessiert, dass es bei den Winterspielen 20/22 ausreichend schneit, trägt dabei aber auch viel zum Verständnis der Wolken- und Niederschlagsbildung bei. Solche Maßnahmen sind aber noch immer schwer planbar und kontrovers.

Mein Blick geht stets zum Himmel hoch, wenn ich unterwegs bin. Der Blick in unsere Kammer ist weniger spektakulär. Wolken sind ja nur schön, weil sie Ränder haben, unterschiedlich farbig sind, sich die Dynamik der Atmosphäre in ihnen widerspiegelt. All das sieht man in der „AIDA“ nicht. Stattdessen: ein einheitlich streuendes Luftpaket. Und Wolken aus kurzer Entfernung betrachtet, das kennt man aus dem Flugzeug, sind transparent. Man braucht schon einen Laserstrahl, um die Eiskristalle darin aufflackern zu sehen.

Ottmar Möhler, 58, erforscht als Physiker am Karlsruher Institut für Technologie die Eiswolkenbildung.

Der Chronist

Weizenfelder. Ein Ölgemälde des späten 17. Jahrhunderts von Jacob van Ruisdael.
Weizenfelder. Ein Ölgemälde des späten 17. Jahrhunderts von Jacob van Ruisdael.

© imago/Le Pictorium

Der Chronist

Als Kind war der Himmel für mich total bedrohlich. So wie für die Leute in der Bibel, wo nichts Gutes von oben kommt, vom strafenden Herrgott. 1938 geboren, ’44 total ausgebombt, ein Jahr lang jede Nacht im Keller verbracht – in unseren Garten ist sogar mal ein englisches Flugzeug gefallen, mit einem toten Piloten drin. Erst als wir auf dem Dorf untergebracht waren, 1945, ein herrlicher Sommer, wo ich auf einer bunten Wiese lag, auf einmal hochguckte und eine ruhige, fast stillstehende weiße Cumulus sah, eine Quellwolke – da dachte ich, das ist so wunderbar, das musst du beschreiben.

Zu Hause habe ich mich hingesetzt, es versucht und gemerkt: Das hat gar nichts mit der Wolke zu tun, die ich da gesehen habe. Seitdem jage ich dem hinterher, wie kann ich das beschreiben? Und bis zu meinem Lebensende wird mir das nicht gelingen. Aber macht nichts. Wieder versuchen. Besser scheitern beim nächsten Mal.

Weiter als mit Worten kommen Sie mit der Malerei – Turner, Coleridge, van Ruisdael. Und noch näher in der Musik. Adalbert Stifter hat mich darauf gebracht, mit seiner hinreißenden Beschreibung einer Sonnenfinsternis: Wäre ich nur ein Beethoven, dann könnte ich dem, was ich da atmosphärisch gesehen habe, näherkommen! Franz Liszt fängt in seiner Komposition „Nuages Gris“ („Trübe Wolken“) in einer Tonart an und hört in einer anderen Tonart auf, und dazwischen lauter Septimen-Akkorde, rauf und runter, rauf und runter, die gewissermaßen weiterziehen ins Unendliche. Wie Wolken.

Mich interessieren an diesen am meisten die Übergänge. Wo sich etwas verwandelt in etwas anderes, wo man nicht vorhersehen kann, ob sich aus der Stratus, der niedrigen Schichtwolke, ein Cumulus entwickelt oder zieht sie gleich höher zu den Cirrus-Wolken, für mich die schönsten. Weil sie die höchsten sind, scheinen sie sich kaum zu bewegen.

Man muss die Wolke betrachten als das, was sie ist

Ich stand einmal mit einem englischen William-Turner-Spezialisten vor der Kartause von Pavia, vor der großen Kirchenfassade, und der Mann begann zu zeichnen. Ich fragte ihn, warum fotografieren Sie das denn nicht? Er antwortete, da sehe ich nichts. Diesen klugen Satz habe ich mir zu eigen gemacht. Genau hinsehen. Noch genauer. Das kann man trainieren. Deswegen führe ich seit Jahren ein Wolkentagebuch. Wenn ich eine beobachte, sage ich meiner Frau oft: Fotografiere sie bitte, ganz schnell, eh sie fort ist. Aber es war nie die gleiche. Nie meine Wolke.

Mein Buch „Wolkendienst“ habe ich im Untertitel „Figuren des Flüchtigen“ genannt. Das ist es, was mich reizt: Wie kann ich etwas festhalten, was in dem Moment, wo ich es fixiere, schon verschwunden ist. Gibt es etwas, was ich herüberretten kann?

Wolken zu vergleichen, zu sagen, sie sieht aus wie ..., ist eine kindliche Art sie zu verbildlichen, sie herüber zu holen in den eigenen Verstehenshorizont. Die Antike erkannte ja auch etwas Verbildlichtes in den Wolken: Sie kommen von oben, sind ein Zeichen der Götter. Aber ich meine, man muss die Wolke betrachten als das, was sie ist. Und das ist so sehr schwer zu beschreiben.

Als Goethe auf Luke Howard stieß, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Wolken systematisiert und ihnen ihre Namen gegeben hat, dachte er, so, jetzt ist dieses letzte Kapitel endlich erklärt. Aber am Ende hat er die Systematik wieder in Frage gestellt: Die Wolken machen ja sowieso, was sie wollen.

Klaus Reichert, 80, Autor und Literaturwissenschaftler, schrieb das Buch „Wolkendienst“, das für den Leipziger Buchpreis 2017 nominiert war.

Protokolliert von Susanne Kippenberger.

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