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Gewöhnlicher Krake.

© Reuters

Berliner Schnauzen (9): Gewöhnlicher Krake

Der Name ist eine Frechheit. Wenn zu diesem Tier eine Eigenschaft so gar nicht passt, dann ja wohl: gewöhnlich.

Jedenfalls, sagt Pfleger Christian Heller, müsse der Krake dort irgendwo in der Ecke stecken. Becken 44 im Zoo-Aquarium wirkt ziemlich dämmrig, die aufgetürmten Natursteine werfen Schatten. Einmal hat Heller versucht, die Dekoration besucherfreundlich mit LED-Lampen auszuleuchten. Der Krake brauchte keine fünf Tage, um alle Lampen zu zerlegen und gleich noch die Kabel durchzubeißen. Kraken sind umtriebig. Jede Dekoration muss im Boden einbetoniert werden, sonst drohen großflächige Umräumaktionen, und wenn dabei Steine gegen Scheiben knallen, verkratzt das Glas. In Kalifornien hat es ein Tier mal geschafft, nachts das Ventil des Filters aufzuschrauben und so eine gesamte Etage unter Wasser zu setzen. Überhaupt gilt Octopus vulgaris als Ausbrecherkönig. Weil er keine Schale besitzt, kann er sich extrem zusammenziehen und durch schmale Spalte zwängen. Wo also ist das Viech jetzt, Herr Heller? Etwa abgehauen? Nein, nein, sagt er, da unten links, der Klumpen. Tatsächlich: Kopf plus acht Tentakeln zusammengewurschtelt, könnte auch ein Stein sein. Allerdings ein schneeweißer. „Die Farbe nehmen Kraken an, wenn sie sich erschrecken.“ Vielleicht hat vorhin ein Besucher gegen die Scheibe geklopft. Normalerweise glänzt der Gewöhnliche Krake goldbraun. Oder knallrot, nach einer Wutattacke.

Im Zoo-Aquarium hat die Krakenhaltung eine lange Tradition. Mitte der 1960er Jahre wurde ein Exemplar sogar Publikumsmagnet. Zunächst trug es den Namen Otto, musste jedoch, als es mit dem Ablegen tausender Eier begann, in Ottilie umbenannt werden. Kurz darauf begann das Tier, sich seine Tentakeln abzubeißen. Das machen Kraken so, wenn sie sterben.

Sowieso ist Gewöhnlichen Kraken nur ein kurzes Leben vergönnt, maximal zwei Jahre, sagt Christian Heller. Und weil die Exemplare fürs Zoo-Aquarium im Mittelmeer gefangen werden und sich nie genau bestimmen lässt, wie alt sie zu dem Zeitpunkt schon sind, weiß keiner, wie viele Monate der aktuelle Krake noch vor sich hat. Zur Sicherheit wird hinten im Quarantänebereich bereits ein Jungtier gehalten. Das wird dann bei Bedarf eingewechselt.

Zusammenhalten geht leider nicht, Gewöhnliche Kraken sind Einzelgänger, finden nur zur Paarung zusammen. Spätestens da wird Beobachtern die ganze Cleverness der Tiere bewusst: Schwächere Krakenmännchen geben sich als Weibchen aus, um sich an Nebenbuhlern vorbeizuschleichen und dann in Sekundenschnelle deren Weibchen zu begatten. Außerdem neigen Männchen dazu, mit ihren Tentakeln die sogenannten Samentaschen der Weibchen zu entleeren, um dort anschließend das eigene Erbgut zu deponieren.

In Gefangenschaft langweilen sich Kraken schnell. Deshalb werden sie beschäftigt. Zum Beispiel mit Plastikflaschen, deren Verschluss sie aufdrehen müssen, um an das Futter darin zu gelangen. Nur eine Animationsmöglichkeit lehnt Heller ab: die Verwendung als WM-Orakel. „Hokuspokus“ brauchen wir hier nicht, sagt Heller. Die Tiere seien doch so schon sonderbar genug. Sebastian Leber

GEWÖHNLICHER KRAKE IM AQUARIUM

Lebenserwartung:  1-2 Jahre

Eier pro Zeugungsakt: bis zu 400 000

Interessanter Nachbar: Eberfisch, Schriftbarsch, Großer Einsiedlerkrebs

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