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Jan Borek ist hier aufgewachsen und schon als Kind mit seinem Vater rausgefahren.

© Kitty Kleist-Heinrich

Angeln am Plauer See: Der Mann mit der Rute

Köder präparieren, Wassertiefe ermitteln, ewig warten. Das alles fällt unserem Autor bei seinem ersten Angeltrip leicht. Doch dann muss er die Fische auch noch töten.

Von Andreas Austilat

Das Gefährlichste an der Angelei ist der Haken. Für den Fisch sowieso. Aber auch für den Menschen. Sagt Jan Borek und braucht es nicht lange zu erklären. Ich erinnere mich gut, wie ich mal auf einer portugiesischen Hafenmole stand und plötzlich so ein Ziehen im Schritt verspürte. Wir waren beide sehr überrascht, der Angler, der rückwärts beherzt zum Wurf ausgeholt hatte. Und ich, der unter reger Anteilnahme der ansässigen Bevölkerung den Widerhaken zum Glück nur aus der Hose pulen musste.

Seitdem wahre ich zu Angelhaken eine möglichst große Distanz. Aber heute geht das nicht, heute will ich einen Fisch fangen. Mir zur Seite steht Jan Borek aus Plaue bei Brandenburg an der Havel. Den Chef des dortigen Angelladens „Fishing Pro“ kann man buchen, damit er selbst Anfängern erklärt, wie das funktioniert. Borek, 39 Jahre alt, T-Shirt, braune Funktionshose und Sonnenbrille, die er lässig über den Schirm seines Basecaps geschoben hat, ist ein Profi.

Ohne ihn dürfte ich keinen Haken ins Wasser des Plauer Sees halten – um Missverständnissen vorzubeugen: nicht den in Mecklenburg, sondern den in Brandenburg. Das wäre nämlich Fischwilderei, ein Straftatbestand, und zwar nicht nur hier, wie Borek mit strengem Blick erklärt. Um seine Rute auswerfen zu dürfen, braucht man einen Fischereischein und eine Angelkarte für das jeweilige Gewässer.

Bereit für das Friedfischangeln

Den Schein bekommt man nicht ohne Prüfung, bei der dann Sachen gefragt werden wie: „Wozu dienen die Barteln?“ Wer weiß das schon auf Anhieb, weshalb man sich besser vorbereitet, beispielsweise mit einem Abendkurs bei Borek im Laden. Die Barteln übrigens sind diese Fäden, die vielen Fischen ums Maul herum hängen und ihnen als Tast- und Geschmacksorgane dienen.

Zum Glück gibt es aber noch eine Light-Version, für Leute, die das nur mal ausprobieren wollen, ohne sich gleich einer Prüfung zu unterziehen. Man kauft eine Angelkarte, bezahlt die Fischereiabgabe, und schon ist man bereit für das Friedfischangeln. Räuber wie Zander und Hecht sind damit freilich tabu. Macht nichts, ich würde sie mit der einfachen Rute, die Borek für mich bereithält, sowieso nicht fangen.

Das ist natürlich schade, denn der Plauer See, aus Berliner Sicht hinter der Stadt Brandenburg gelegen, wird von der Havel durchflossen und gilt als exzellentes Revier, wenn man scharf auf die großen Brocken ist. Borek zeigt gern ein paar Fotos, auf denen er kapitale Exemplare in die Kamera hält. Das Größte, was er hier mal rausgezogen hat, war ein Wels, 2,18 Meter lang und 80 Kilo schwer. Mag der auch ungefährlich sein, als Schwimmer will man dem eigentlich nicht begegnen.

Wie gesagt, alles tabu. Es sei denn, erzählt Borek, ein Hecht würde sich just in dem Moment in ein Rotauge verbeißen, in dem ich Letzteres aus dem Wasser ziehe. Während ich noch darüber nachdenke, ob das jetzt ein Anfall von Anglerlatein war, öffnet Borek seine Büchsen. Darin befinden sich ein paar Maden, Maiskörner und eine schwer zu identifizierende Mehlpampe. Mais und Made werden mein Köder sein. Alles andere, tote Fische oder künstliche Köder, vor allem die sollen ja unverzichtbar sein, wenn man auf den Hecht geht, ist für mich verboten.

Geduld ist gefragt

Dann zeigt er mir die Angel. Eine sogenannte Stipprute, ein einfaches Ding, ohne viel Schnickschnack, aber überraschend lang, sechs Meter, um genau zu sein. Wenn sie nicht aus Karbon wäre, und deshalb nur 145 Gramm wöge, könnte man sie nicht so leicht handhaben. Es folgt die nächste Lektion: die Wassertiefe vor der Kaimauer ermitteln, an der wir den ersten Fischzug unternehmen.

Es ist eine schöne Stelle. Gegenüber dümpeln ein paar Jachten im Plauer Hafen. Hinter uns steht die ein wenig marode, dabei aber immer noch imposante Fassade des Plauer Schlosses. Nebenan haben ein paar Spaßvögel eine Schaufensterpuppe ins Schilf gestellt. Sie ist nur mit einer Badehose bekleidet, sieht aus den Augenwinkeln erschreckend echt aus. Borek lässt den mit einem Stück Blei beschwerten Haken auf den Seeboden sinken und stellt anschließend die Pose, einen an der Angelschnur befestigten Schwimmer, so ein, dass der Haken knapp über dem Grund hängen wird. Dort befindet sich nämlich das Revier der Rotaugen, manche nennen sie auch Plötze.

Dann kommt etwas, was ich zunächst für eine unfaire Form massiver Bestechung halte, in der Friedfischerei aber offenbar vollkommen legitim ist: Borek formt aus seiner Mehlpampe kleine Teigbällchen und wirft sie ins Wasser. Ich spieße derweil Made und Maiskorn auf den Haken, schon geht es los. Vorsichtiger Blick nach hinten, und mit einem Schwung aus dem Handgelenk schleudere ich Haken und Pose ins Wasser.

Nun ist Geduld gefragt. Erst einmal passiert nämlich nichts. Doch während er noch erklärt, dass es natürlich immer besser ist, wenn man schon im Morgengrauen startet, weil sich die Fische nach der Nachtruhe um ihr Frühstück kümmern, dippt die Pose kurz unter Wasser.

„Wir angeln nicht einfach nur aus Spaß“

Jetzt heißt es mit dem Handgelenk rucken, dann hängt der Fisch am Haken. Anschließend geht es darum, ihn nicht zu schnell und nicht zu langsam aus dem Wasser zu ziehen. Theoretisch wenigstens, denn der Haken ist leer. Das Tempo ist immens wichtig, zögert man mit dem Rucken zu lange, ist er weg. Zu starkes Rucken fügt dem Fisch unnötige Verletzungen zu.

Inzwischen haben sich ein paar ältere Herren eingefunden, die mich aufmerksam beobachten. Ein lässiger Wurf, und schon beim zweiten Mal klappt es besser. Der Fisch hängt am Haken, ein ziemlich kleines Rotauge. Traurige Fischaugen blicken mich an. Borek löst den Fang vorsichtig und entlässt ihn ebenso vorsichtig wieder in den Plauer See. Das findet zwar meinen Beifall, weil mich ganz plötzlich ein schlechtes Gewissen plagt. Aber ist es nicht Sinn der Sache, den Fisch heute zu verspeisen?

„Der Angler“, beginnt Borek zu dozieren, „darf den Fisch nicht fangen, um ihn etwa zu veräußern, sondern nur zur eigenen Verwendung.“ Die Verwendung ist wichtig, selbst wenn beim Angeln natürlich so etwas wie der Jagdinstinkt geweckt wird. „Wir angeln nicht einfach nur aus Spaß“, versichert Borek. Fische, die nicht verwendet werden können, weil sie zu klein, zu alt oder zu jung sind, werden zurückgesetzt. Das Tier im hohen Bogen zurückzuschmeißen, ist auch tabu. Denn das hieße, es unnötigem Stress auszusetzen, ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz.

Den Einwand, dass es für den Fisch eine ziemliche Qual sein muss, so wehrlos am Haken zu hängen, lässt Borek nicht gelten. Die meisten Experten gingen davon aus, dass der Fisch kein Schmerzempfinden hat. Außerdem würden wir nicht beliebig viele Fische aus dem See ziehen. Bei Edelfischen etwa gelte die Regel: nur einer am Tag. Der Fisch in seinem natürlichen Revier habe es allemal besser als das Mastvieh. Dessen Haltung sei doch die ungleich größere Qual, verglichen mit dem kurzen Moment am Haken des Anglers.

Jan Borek kennt das Revier gut

Begrenzte Beute. Zander und Hecht sind für Friedfischer ohne Angelschein tabu.
Begrenzte Beute. Zander und Hecht sind für Friedfischer ohne Angelschein tabu.

© Kitty Kleist-Heinrich

Dummerweise kann der Angler erst nach dem Fang entscheiden, ob dieser Fisch nun der richtige ist. Borek hält meine Beute ebenso wie die drei nächsten Exemplare für nicht groß genug. Sie werden behutsam entlassen. So ergeht es auch den beiden Rapfen, die er aus dem Wasser gezogen hat. Rapfen sind Raubfische, die sich hier an der Oberfläche tummeln, seit Borek seine Teigkugeln versenkt hat. Weshalb wir beschließen, mit seinem kleinen Boot in den Plauer See zu stechen.

Jan Borek kennt das Revier gut, er ist hier aufgewachsen und schon als Kind mit seinem Vater rausgefahren. Jetzt spricht er von der Topografie unter Wasser, als könne er die unsichtbaren Hügel am Grund des Sees tatsächlich sehen. Im Winter etwa zieht der Hecht in die tiefsten Zonen, wird das Wasser wärmer, tummelt er sich weiter oben. Der Zander wiederum ist eher lichtscheu, bevorzugt die trüberen Gewässer.

Borek erzählt von guten und schlechten Seen, vom riesigen Tarpon, den er vor Miami gefangen hat, von Hechten in Schweden, dem Wolfsbarsch vor Irland, vom Karpfen in den Gewässern des französischen Languedoc, von Kanada und Norwegen, den Fischländern schlechthin, die er alle schon bereist hat. Doch auch Brandenburg, wasserreichstes deutsches Bundesland, hat seine Reviere, den Spreewald, die Lausitz, die Uckermark um Lychen oder die Seen um Fürstenberg, er kennt sie alle.

Trotzdem zieht er seinen Köder, einen metallisch bunten Kunstfisch, ein ums andere Mal ohne Ergebnis durch den See. Kein Räuber mag auf den vermeintlich lahmen Fisch anbeißen. Also wirft Borek den Außenborder wieder an, und wir fahren unter der Plauer Brücke hindurch havelabwärts.

Ein Angeltrip kostet um die 300 Euro

Für mich, den Friedfischer, gibt es dabei wenig zu tun. Das macht nichts, das Revier hat seine landschaftlichen Reize. Die Berufsschiffer haben uns verlassen, sie sind über den Plauer See in den Elbe-Havel-Kanal abgebogen, die Havel hingegen wirkt jetzt naturbelassen. Links stecken die Holzstangen im Grund, an denen die Berufsfischer ihre Reusen befestigen, rechts zieht ein Fischadler seine Kreise, es muss also etwas zu fangen geben. Begleitet vom Surren der Leine platscht der Köder immer wieder ins Wasser.

Der Adler lässt Borek kalt, der ist für ihn keine Konkurrenz. Anders verhält es sich mit dem Kormoran. „Wir haben 1000 von denen“, sagt Borek, jeder einzelne fresse ein Pfund Fisch am Tag, und der Kormoran gehöre nicht einmal hierher. Im Moment aber sind es nicht die Vögel, die Boreks Missfallen erregen, sondern drei Kanuten, die unseren Weg kreuzen. Gefolgt von einem Bungalow-Boot. Das sei viel zu viel Unruhe, der Hecht, den er in zwölf Meter Tiefe aufzuspüren hofft, er will nicht beißen.

Wir packen ein und gehen auf einer Landzunge gegenüber Briest an Land. Die Halbinsel haben wir für uns, Borek baut einen Grill auf. Zum Glück hat er gestern einen Zander gefangen, Teile davon will er jetzt grillen. Denn ich soll schmecken, dass so ein selbst gefangener Zander rein gar nichts mit dem Farmfisch zu tun hat, der im Supermarkt als Zanderfilet verkauft und allzu oft auch in der Gastronomie serviert wird.

Der Service gehört zur Tour – wenn man will. So ein Angeltrip mit Borek als Guide kostet um die 300 Euro, wenn zwei Angler an Bord gehen, für den halben Tag sind es 100 bis 150 Euro. Wer da kommt? Die Kunden würden sich aus allen Gesellschaftsschichten zusammensetzen, in der Regel seien es Leute, die viel arbeiten, aber wenig Zeit haben. Zu wenig jedenfalls, um sich ihr Revier selbst zu suchen. Sehr häufig sei auch die Kombination Vater und Sohn, dann gerne mit gemeinsamem Grillen und sogar Übernachtung.

Die Fische müssen getötet werden

Borek hat recht, der Zander schmeckt tatsächlich besser als jener, den man gemeinhin im Laden kauft. Aber mein Ehrgeiz ist geweckt, ich will endlich einen eigenen Fisch fangen. Und so fahren wir zurück ans Plauer Ufer. Ich will einen neuen Versuch, will mit der Stippangel der Plötze nachstellen.

Während wir vor dem Schloss Maß nehmen, die Pose muss wieder auf die richtige Tiefe eingestellt werden, geht ausgerechnet vor meinen Füßen eine kleine Jacht längsseits. Wir müssen weichen, außerdem kommt der Skipper zu uns rüber, ein älterer Herr aus Berlin, um gleich von seinen Angelabenteuern zu erzählen. Und dann beginnt meine Show: Binnen 30 Minuten ziehe ich sieben Plötzen aus dem Wasser, mitleidlos. Denn ich werde am nächsten Tag Gäste haben, die sollen die Fische verkosten. Der Skipper sagt nichts mehr.

Jetzt kommt der schwierigste Teil, die Fische müssen getötet werden. Es gibt nur einen fachgerechten Weg, das zu tun: Erst kriegt das Tier einen Schlag auf den Hinterkopf, um es zu betäuben. Dann muss das Messer direkt ins Herz gestochen werden. Das sitzt zwischen den Brustflossen, ein kleines Stück unterhalb der Stelle, an der die Kehle wäre, wenn der Fisch einen Hals hätte. Anschließend muss die Bauchhöhle aufgetrennt werden, durch einen entschlossenen Schnitt vom After nach oben, damit die Innereien entnommen werden können. Für jemanden, der es gewohnt ist, seine Nahrung im Laden zu kaufen, keine leichte Übung. Zum Glück hilft Borek.

Das Rotauge ist kein Edelfisch. Und gilt als grätenreich. Trotzdem versichern am nächsten Tag alle vier Gäste, nie einen wohlschmeckenderen Fisch gegessen zu haben. Sie haben allerdings auch noch nie einen gefangen.

Der Text stammt aus dem aktuellen Tagesspiegel-Magazin „Brandenburg“ (9,80 Euro). Erhältlich ist es am Kiosk und unter shop.tagesspiegel.de

Reisetipps für den Plauer See

Hinkommen

Mit dem Auto dauert es von Berlin bis nach Plaue rund anderthalb Stunden. Über die A115 geht es an Potsdam vorbei weiter auf der A10 und der A2 Richtung Brandenburg an der Havel. Zum dortigen Bahnhof verkehren von Berlin aus auch regelmäßig Regionalzüge. Ein Ticket für die 50 Minuten lange Strecke kostet ab 6,90 Euro. Aufpassen: Einen Plauer See gibt es auch in Mecklenburg-Vorpommern.

Unterkommen

Der Angelladen „Fishing-pro-Plaue“ vermittelt auf Wunsch eine Unterkunft ab 35 Euro (03381/4108155). Zimmer auch unter schlossplaue.de (ab 54 Euro). Ferienwohnungen bei einem Mindestaufenthalt ab drei Nächte unter fewo-plaue.de (ab 45 Euro) oder fewo-wendsee-plaue.de (ab 52 Euro).

Rumkommen

Geführte Angeltouren am Plauer See kann man bei Jan Borek buchen. Alle Informationen gibt es unter fishing-pro-plaue.de.

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